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Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten

Rede vom 29.11.2012 zur Eindämmung von Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) anlässlich der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten:

 

 


 

 

Link zum Video in der Mediathek des Deutschen Bundestages



Mechthild Rawert (SPD):

Herr Luczak, das war ja wohl der Versuch des Scharfschießens. Er ist allerdings gescheitert. Ihre Ausführungen zum Richterrecht haben ganz deutlich gemacht, dass das Patientenrechtegesetz eigentlich wenig klärt. Denn wenn Sie jetzt in der abschließenden Beratung schon darauf setzen, dass die Zukunft aufgrund unklarer gesetzli­cher Regelungen aus Urteil an Urteil an Urteil an Urteil besteht, kann ich nur sagen: Gesetz gescheitert!

(Beifall bei der SPD – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie hätten mir einmal zuhören sollen, Frau Kollegin!)

Es ist das Gesetz der vertanen Chancen. Schwarz-Gelb stellt sich nicht auf die Seite der Patientinnen und Patienten, sondern es ist so – die Berliner Zeitung hat heute so getitelt, es ist vorhin auch schon zitiert worden –, dass hier ein Ärzteschutzprogramm verabschiedet wird. Nicht, dass uns hinterher wieder vorgeworfen wird, wir als Opposition seien gegen die Mediziner. Nein, dem ist nicht so. Wir sind aber gegen Regelungen, die Patienten nicht schützen und die vor allen Dingen ihre Rechte nicht stärken.

(Beifall bei der SPD)

Denn wir müssen eines wahrnehmen, und zwar das Leben und die Wirklichkeit des Lebens. Die Fehlerquote liegt im Promillebereich, ja. Nach seriösen Schätzungen sterben andererseits rund 17 000 Menschen im Jahr an Kunstfehlern. Darauf gibt Ihr Gesetz null Komma null Antwort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Minister Bahr, Sie selber haben es auch schon angesprochen: Sie haben von einer generellen Beweislastumkehr gesprochen, die Sie nicht wollen. Frau Aschenberg-Dugnus wird sicherlich gleich darauf noch eingehen. Ich frage mich: Wo ist denn der Sturm der Ärzte und Ärztinnen? Ich hätte erwartet, dass sich auch die Mediziner viel stärker auf die Seite der Patienten und Patientinnen gestellt hätten, um deren Rechte zu stärken.

Deswegen sage ich – auch als Antwort auf die erste Rednerin –: Dieses Gesetz zerstört Vertrauen, und dieses Vertrauen ist ein kostbares Gut. Hier haben Sie versagt.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme auf einen speziellen Punkt zurück, nämlich auf die individuellen Gesundheitsleistungen. Wir reden hier von einem Markt, der schon 2010 1,5 Milliarden Euro umfasste. Wir Sozialdemokraten hatten diesbezüglich einen Antrag zur Eindämmung der individuellen Gesundheitsleistungen vorgelegt. Es geht nicht nur um 1,5 Milliarden Euro, sondern um 18,5 Millionen Einzelgeschäfte in Praxen. Das ist also ein Markt, den es sich genauer anzuschauen und vor allen Dingen zu regulieren lohnt.

Was war am Anfang in Ihrem Patientenrechtegesetzentwurf zu IGeL-Leistungen enthalten? Null Komma null. Nichts!

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie machen ja beim Lesen Fehler!)

Insofern hat unser Antrag Sie noch ganz schön auf Trab gebracht. Darüber bin ich froh, und darauf bin ich stolz, auch aus der Sicht der Opposition heraus.

(Lachen der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/CSU])

Denn die individuellen Dienstleistungen, für die nach Ih­ren Vorstellungen in den Praxen gezahlt werden soll, be­rühren das, was mancher Mann meint, wenn er sagt: Man will nur mein Bestes, nämlich das Portemonnaie.

Wir wollten eine Bedenkzeit und die Trennung der Leistungen insofern, dass IGeL-Leistungen nicht zusammen mit gesetzlich-versicherten Leistungen verkauft werden,

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das geht doch an den Erfordernissen der Praxen völlig vorbei!)

weil wir sicherstellen wollen, dass der Arzt oder die Ärztin vertrauenswürdig bleiben und nicht plötzlich als An­bieter von Selbstzahlerdienstleistungen auftreten.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ein Schwachsinn!)

Der Patient oder die Patientin soll nicht plötzlich zum Kunden oder zur Kundin degradiert werden.

All das beantworten Sie ausschließlich damit, dass es jetzt eine bessere Aufklärung hinsichtlich der Finanzierung dieser individuellen Gesundheitsleistungen geben soll.

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ein mündiger Patient, Frau Kollegin! – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Haben Sie schon mal was vom mündigen Patienten gehört?)

– Ja, ich danke Ihnen für dieses Stichwort. – Das Stichwort mündiger Patient oder mündige Patientin hat bei dem gesamten Theater, wie ich es nennen möchte, eine große Rolle gespielt, als es darum ging

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Schreien Sie doch nicht so!)

– Sie können das noch besser –, dass das Wirtschaftsministerium die Schulungen für Ärzte und Ärztinnen be­zahlt hat, damit auch das medizinische Fachpersonal mehr Marketingschulungen erhält. In den Antworten des Ministeriums auf meine Fragen war ständig vom mündigen Patienten und der mündigen Patientin die Rede. Aber davon, dass die einen geschult werden – sogar mit öffentlichem Geld –, damit der Patient besser ausgenommen werden kann und mehr Abzocke möglich ist, sagen Sie nichts, wenn es um Ihr Lieblingsbild des mündigen Patienten und der mündigen Patientin geht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ein Schwachsinn!)

Ich glaube, ich bin eine mündige Frau. Wenn ich krank bin, geht es mir aber nicht darum, vorher noch ein medizinisches Studium in Kurzfassung abzulegen, sondern dann möchte ich geheilt werden.

(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn Sie krank sind, dann brauchen Sie auch keine IGeL-Leistungen!)

Dann bin ich gerne bereit, nicht nur hilfsbedürftig zu erscheinen, sondern auch Hilfe in Anspruch zu nehmen.

(Abg. Dr. Erwin Lotter [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Mit anderen Worten: Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wurde leider auch von der Verbraucherschützerin verraten, um es so zu sagen. Frau Aigner als oberste Verbraucherschützerin hat eine Studie „Untersuchungen zum Informationsangebot zu Individuellen Gesundheitsleistungen“ vorgelegt. Wen wundert es, dass in dieser Studie jede Kritik und jede Annahme, die Grundlage für unseren Antrag „Individuelle Gesund­heitsleistungen eindämmen“ war, bestätigt worden ist? Auch Herr Zöller fordert eigentlich eine Bedenkzeit. Was ist aus der Bedenkzeit geworden? Null Komma null.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Rawert.

Mechthild Rawert (SPD):
Einen Moment.

(Heiterkeit bei der SPD)

Die Informationen in den Arztpraxen sind nicht aussagekräftig genug und haben zu viele Defizite. Das einzig Wertvolle ist derzeit der IGeL-Monitor. Darauf verweisen wir alle. – Entschuldigung.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Erlauben Sie jetzt noch eine Nachfrage, wie man in diesem Fall sagen muss, des Kollegen Dr. Lotter von der FDP?

Mechthild Rawert (SPD):
Er steht ja schon.

(Heiterkeit bei der SPD)

Dr. Erwin Lotter (FDP):
Schon die ganze Zeit.

Mechthild Rawert (SPD):
Wir sind ja beide nicht so hochgewachsen.

Dr. Erwin Lotter (FDP):
Ich bin ja so unscheinbar. Danke, dass Sie die Frage noch zulassen. – Frau Kollegin Rawert, wenn ein Patient zu mir kommt, um sich von mir behandeln zu lassen, und er mich bei der Behandlung fragt: „Herr Doktor, gegen meine Kniegelenksarthrose habe ich mal homöopathische Spritzen bekommen, die mir hervorragend geholfen haben. Könnte ich sie wieder bekommen?“ – das ist eine sogenannte IGeL-Leistung –, dann muss ich ihm sagen: Ja, das können wir machen, aber warten Sie bitte erst 24 Stunden; kommen Sie morgen um 17 Uhr wieder, dann kann ich es machen. – Dann denkt der Patient doch: Ich glaube, mein Doktor spinnt jetzt völlig.

Würden Sie mir zustimmen, dass das, was Sie fordern, völlig unrealistisch ist?

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das kann man mit Ja beantworten!)

Mechthild Rawert (SPD):
Ich bin sehr erfreut, dass Sie als Arzt einem Patienten von heute auf morgen einen Termin um 17 Uhr anbieten.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das ist eine absolute Ausnahme und hat überhaupt nichts mit der alltäglichen Praxis zu tun. Die individuellen Gesundheitsleistungen werden in der Regel – wir reden hier nicht von sportmedizinischen oder reisemedizinischen Untersuchungen – von Ärztinnen und Ärzten angeboten. Das zeigt: Ihr Beispiel ist lebensfremd und nicht Grundlage dieser Diskussion.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Heinz Lanfermann [FDP]: Dass Sie überhaupt noch zum Arzt gehen, ist wirklich erstaunlich!)

– Herr Lanfermann, auch Ihnen wünsche ich noch viele Arztbesuche und so gute Erfahrungen, wie sie Herr Lotter gemacht hat.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)