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11. Wohnzimmer-Gespräch: „Eine sehr gute Wirtschaft ist was anderes als eine sehr gute Politik“

„Es ist nicht gerade alltäglich, einmal eine Politikerin  "zum Anfassen" zu erleben. Wir alle waren ausgesprochen angetan von Ihren aufschlussreichen Informationen und der anregenden Diskussion, die wir in entspannter Atmosphäre und in aller Offenheit mit Ihnen führen konnten. Wir alle empfanden unser Treffen als eine Bereicherung.“

So die Abschlussworte der Gastgeberin Dr. Maria Papavassiliou, die mich am Sonntag, den 18. August 2013, in ihr Schöneberger Zuhause zu einem politischen Gespräch eingeladen hat. Ich danke Maria und Werner für den herzlichen Empfang, danke den KollegInnen und FreundInnen der Familie für eine lebhaft-kritische Diskussion. Besonders bereichernd war die interkulturelle Zusammensetzung der fast ausschließlich aus Frauen bestehenden Diskussionsrunde.

Sichere Arbeitsplätze für alle - auch in der Gesundheitswirtschaft
Angesichts der Tatsache, dass die meisten Anwesenden in der Gesundheitswirtschaft tätig sind und ich Gesundheitspolitikerin bin, war die Diskussion schnell von der Situation einzelner Beschäftigungsgruppen bzw. von Gesundheits-Themen beherrscht.

Die Frauen haben zumeist ein naturwissenschaftliches Studium wie Chemie oder Biologie absolviert, einige sogar promoviert, hatten aber im Anschluss - wohl auch aus Gründen, die heute den Tatbestand der Diskriminierung erfüllen - keine wissenschaftliche Anstellung gefunden und deshalb eine Zusatzqualifikation als Geprüfte Pharmareferentin erworben. „Das war so in den Achtzigern/Neunzigern: Die studierten Männer mit ausländischen Pass wurden Taxifahrer, die studierten Frauen mit ausländischem Pass Pharmareferentinnen.“

Die immer neuen Rahmenbedingungen in der Gesundheitspolitik erfordern ständiges Sich-neu-einstellen, die zunehmend weltweit orientierten Firmenmärkte für Unsicherheit hinsichtlich des eigenen Arbeitsplatzes. Deutlich spürbar war die Befürchtung, bei einem Verlust ihrer Arbeitsstelle keinen „normalen“ sozialversicherungspflichtigen Vertrag mehr zu bekommen sondern nur noch zeitlich befristete Werkverträge mit schlechteren Bedingungen. Sie berichteten von Firmen, die den gesamten Außendienst entlassen und dafür LeiharbeiterInnen eingestellt haben. Oftmals seien diese früher ebenfalls in der Branche tätig gewesen, hätten dann aus den unterschiedlichsten Gründen aufgehört oder aufhören müssen (Kündigung, Gesundheit, ..) - nur um dann durch das Jobcenter in die Branche mit schlechteren Arbeitsbedingungen und geringerer Bezahlung „zurückzukehren“.  

Arbeitsmarktpolitik
Wir SozialdemokratInnen wollen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit, gleichen Lohn zwischen der Stammbelegschaft und LeiharbeiterInnen, zwischen Männern und Frauen.

Wir wollen auch eine aktive Arbeitsmarktpolitik, eine verbesserte Arbeitsvermittlung und vor allem die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit aufbrechen. Deshalb werden wir
-    die finanziellen Mittel für die aktive Arbeitsförderung erhöhen - Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen hat hier über zwei Milliarden Euro eingespart,
-    jedem/jeder Langzeitarbeitslosen ein zumutbares Angebot auf dem ersten Arbeitsmarkt machen,
-    für Langzeitarbeitslose mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen einen „sozialen Arbeitsmarkt“ bzw. öffentlich geförderte Beschäftigung, die Qualifizierungsmaßnahmen und pädagogische Betreuung beinhaltet, schaffen,
-    die Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung umwandeln: Mehr Beratung, mehr Qualifizierung und Weiterbildung.

Zur „Guten Arbeit“ gehört eine neue Ordnung. Die Anwesenden befürworten den flächendeckenden Mindestlohn, ihnen neu meine Aussage, dass der Mindestlohn in den allermeisten europäischen Ländern längst üblich ist. Um Lohndumping zu vermeiden, sind europäische Regulierungsmaßnahmen zur Vermeidung von Steuerdumping notwendig.

Einigkeit herrscht darin, dass wir menschenwürdige Arbeitsbedingungen für alle wollen: Die in den Kernarbeitsnormen der ILO definierten Mindeststandards müssen weltweit durchgesetzt werden. Wir SozialdemokratInnen fordern die Kopplung von EU-Handelsabkommen an die Einhaltung und Überwachung der ILO-Kernarbeitsnormen. Freihandel darf nicht zum Einfallstor für Lohn- und Sozialdumping werden. Die Förderung von fairen Produktions- und Handelsbedingungen sind Teil sozialdemokratischer Außenpolitik, die wir als Friedenspolitik verstehen. Unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind Grundlage und Richtschnur sozialdemokratischer Politik - national und international.

Gesundheit für alle - in Deutschland und global
Mit unserem SPD-Modell der solidarischen Bürgerversicherung wollen wir eine Zwei-Klassen-Medizin zwischen GKV- und PKV-Versicherten, zwischen ländlichen und städtischen Regionen, aber auch zwischen Stadtteilen wie Schöneberg Nord und Grunewald stoppen. Wir wollen dass die Krankheit und nicht die Versicherungskarte einer gesetzlichen Krankenkasse bzw. eines privaten Krankenversicherungsunternehmen über die Zügigkeit der Terminvergabe entscheidet. Wir wollen keine Kopfpauschalen! Vielmehr wollen wir eine tatsächliche Parität bei der Finanzierung von Gesundheits- und Pflegeleistungen durch die Arbeitgeber und die ArbeitnehmerInnen. Eine gute Gesundheitsversorgung muss für alle bezahlbar bleiben. Alle sind versichert und alle bekommen die gleichen guten Leistungen. Damit sich alle im Notfall aufeinander verlassen können und niemand im Alter in die Armutsfalle mit extremen Krankenversicherungsbeiträgen gerät. Wie schwer es ist von der privaten wieder zu der gesetzlichen Krankenversicherung zu wechseln ist es den Betroffenen nur zu bekannt, ab 55 Jahre ist es gar nicht mehr möglich.

Mit unserer Bürgerversicherung wollen wir Schluss machen mit der Aufteilung in GKV- und PKV-Versicherten: Wir bieten PKV-Versicherten für ein Jahr den Wechsel in die Bürgerversicherung an. Bei bestehenden Verträgen können sie aber auch in der PKV bleiben. Es handelt sich also um ein „rauswachsendes System“. Abgesehen von den im Lebenslauf stark ansteigenden Kosten, stehen gerade PKV-Versicherte in der Gefahr einer medizinischen Überversorgung, nicht immer steht das PatientInnenwohl im Mittelpunkt.

Einig waren sich alle über die Bedeutung von Vertrauen in der Arzt-PatientInnen-Beziehung. Dieses Vertrauen hat augenblicklich Risse. Der Wunsch nach einer Patientenquittung ist bereits heute geltendes Recht. Gesetzlich Versicherte können diese bei ihrem Arzt, ihrer Ärztin abfordern.

PKV heißt aber: Arztrechnungen bar bezahlen und für viele Armut im Alter wegen der drastisch steigenden Prämien. Wenn sie das nicht mehr bezahlen können, müssten die Steuerzahler einspringen. Ein Bombengeschäft für Versicherungskonzerne. Ein schlechter Deal für alle Versicherten.

Möglicherweise aufgrund der verschiedenen Herkünfte, möglicherweise auch aufgrund der Erfahrung, dass Gesundheitspolitik auch Wirtschafts- und Arbeitspolitik ist: Es wurde auch darüber diskutiert, welche Konsequenzen die Verhandlungen der Europäischen Union mit den USA über ein transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) haben. Wir SozialdemokratInnen fordern auf jeden Fall, dass die Bundesregierung sich bei den Verhandlungen hartnäckig dafür einsetzt, die in Europa geltenden Rechte im Rahmen des gesundheitlichen VerbraucherInnenschutzes zu erhalten. Wir unterstützen das Freihandelsabkommen, wollen aber keinesfalls, dass eine Aufweichung der Regularien für die Anmeldung und Überprüfung von neuen Produkten seitens der Pharmakonzerne erfolgt. Für uns steht PatientInnensicherheit vor Profit! Wir wollen unsere höheren Standards u.a. auch bei Medizinprodukten behalten.

Bildungspolitik
Ein dritter Themenschwerpunkt war die lebensbegleitende Bildungspolitik: Es ging um Finanzierung weiterer Berufsausbildungen, die Anerkennung ausländischer Abschlüsse, den Abbau von Diskriminierung, um den drohenden Fachkräftemangel.

In Deutschland sind die Bildungs- und Aufstiegschancen für Kinder und Jugendliche in der Schule, der Ausbildung oder an der Uni noch immer, je nach sozio-ökonomischen Hintergrund der Eltern, sehr ungleich verteilt. Wir wollen in Bildung investieren, schrittweise ab 2014 bis zu 20 Milliarden Euro zusätzlich. Wir fordern: bessere Schulen und mehr LehrerInnen. Die Ganztagsschule ist ein Erfolgsmodell - für mehr Zeit zum gemeinsamen Lernen. Zusammen mit den Ländern wird die SPD schrittweise jedem, jeder, der/die es möchte, einen Ganztagsplatz anbieten - egal wo und in welcher Schulform.

Bund und Länder müssen dafür enger zusammenarbeiten. Für beste Bildung, gebührenfrei von der Kita bis zu Uni. Junge Menschen brauchen die Chance, einen guten Beruf zu erlernen. Darum wird die SPD eine Berufsausbildungsgarantie schaffen. Gleichzeitig wollen wir die Qualität der Ausbildung gemeinsam mit den Gewerkschaften und Arbeitgebern steigern.

Vertrauen - ein Bindeglied zwischen Bürgerinnen und Politik
Die Diskussion war sehr lebendig und vertrauensvoll. Die Erwartungen an die PolitikerInnen sind hoch. Es sei nun mal so: „Eine sehr gute Wirtschaft ist was anderes als eine sehr gute Politik“. Gefordert wird Glaubwürdigkeit. Mensch möchte vertrauen können. Maria, unsere Gastgeberin betonte, dass viele Bürgerinnen und Bürger weder die Zeit noch die Möglichkeit haben, sich um Alles zu kümmern.  Deshalb brauchen sie Politikerinnen und Politiker, denen sie vertrauen können. Ich hoffe, das Vertrauen Marias und ihrer FreundInnen gewonnen zu haben, hoffe, dass sie der Politik der SPD trauen.

Herzlichen Dank an Maria und Werner für die Einladung und die Möglichkeit, den Anwesenden meine Standpunkte und die der SPD erläutern zu können. Ich habe auf jeden Fall wieder viel gelernt.