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Bürgerversicherung: gerecht und vernünftig!

„Sozialdemokratische Gesundheitspolitik orientiert sich an den Patientinnen und Patienten, nicht an Interessengruppen im Gesundheitswesen. Wir wollen eine gute medizinische Versorgung für alle Bürgerinnen und Bürger verlässlich sichern und finanzieren“ - so unser im SPD-Regierungsprogramm formulierter Anspruch. Bei der Bundestagswahl am 22. September geht es auch um die Frage, wem das deutsche Gesundheitswesen vorrangig nutzen soll: der privaten Versicherungswirtschaft und den Ärzteverbänden oder den Patientinnen und Patienten? Für mich ist klar: Das PatientInnen- und Beschäftigtenwohl muss Orientierungspunkt aller Entscheidungen sein!

Genau dieses Spannungsfeld wurde auf meiner Fraktion-vor-Ort-Veranstaltung am 4. September 2013 zum Thema „Die Bürgerversicherung: vernünftig und gerecht!“ diskutiert. Den über vierzig Gästen standen Knut Lambertin, Leiter der Arbeitsgruppe Gesundheitspolitik und Pflege im sozialpolitischen Ausschuss beim DGB-Bundesvorstand, und ich als Mitglied des Gesundheitsausschusses Rede und Antwort. Moderiert wurde die Veranstaltung von Cansel Kiziltepe, Direktkandidatin für Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost.

Die Bürgerversicherung: vernünftig und gerecht!

Die Besucherinnen und Besucher meiner Veranstaltung interessierten sich vor allem für die finanzielle Ausgestaltung unserer Bürgerversicherung. Cansel Kiziltepe machte auf polemisierende Sprüche von Schwarz-Gelb gegen die Bürgerversicherung wie „Einheitskasse“, „nimmt PatientInnen Wahlfreiheit“, „ruiniert die niedergelassenen Ärzte“, „weniger Lohnnebenkosten“ aufmerksam und stellte die provokante Frage: „Wie erklärt die SPD der Bevölkerung den Vorteil einer solidarischen Finanzierung?“

Gleich die erste Teilnehmerin bemängelte ihre schlechten Erfahrungen mit Fachärzten und legte den Finger in die Wunde: „Durch die Warterei beim Arzt hat eine gesetzlich Versicherte tatsächlich das Gefühl, Bürgerin zweiter Klasse zu sein.“ Knut Lambertin dazu: „Was die Wartezeiten angeht, verhalten sich die Fachärzte unethisch. Wartezeiten sollten nicht mit dem Versicherungsstatus zu tun haben, denn letztendlich entscheiden die Ärzte allein, wen sie wann an die Reihe nehmen.“ Das Bild einer unbegrenzten Freiheit träfe eher für GKV- als für PKV-Versicherte zu: „Wenn man die Wahlfreiheit unter den gesetzlichen Krankenkassen den nicht transferierbaren Altersrückstellungen bei PKV-Unternehmen gegenüberstellt, werden die wahren Grenzen zwischen den beiden Gesundheitssystemen offensichtlich.“

Schon diese Beispiele machten deutlich, dass zur Steigerung der Attraktivität der Bürgerversicherung eine Aufklärungskampagne starten muss, dass es auch mehr Aufklärung über die wirklichen Unterschiede von privater und gesetzlicher Krankenversicherung bedarf. Ich nehme den Ansporn der TeilnehmerInnen für noch mehr Überzeugungsarbeit für die Bürgerversicherung mit: „Denn sie ist es wert!“

Wie sieht die Finanzierung der Bürgerversicherung aus?

Die SPD-Bundestagsfraktion steht für ein solidarisches Gesundheitswesen, in dem alle die bestmögliche medizinische, pflegerische und rehabilitative Versorgung bekommen - ambulant und stationär. Dazu gehören auch qualitative Verbesserungen im Gesundheitswesen und in der Pflege. Chancengleichheit in der gesundheitlichen Versorgung ist keine Privatsache. Wir setzen uns für eine solidarische Finanzierung ein, die auch in Zukunft sicherstellt, dass alle Menschen angemessen therapiert werden und wohnortnahen Zugang zu modernen Behandlungsmethoden haben.

Wir werden die tatsächliche Parität wieder herstellen: Der derzeit niedrigere, „eingefrorene“ Beitrag der ArbeitgeberInnen soll wieder die gleiche Höhe haben wie der Beitrag der ArbeitnehmerInnen. Tatsächliche Parität bedeutet, die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze bei den Arbeitgebern, um auch außertarifliche Boni-Zahlungen für die abzuführenden Beiträge geltend zu machen. Zur Finanzierung des Gesundheitswesen sollen auch weiterhin Steuergelder eingesetzt werden. So wird die Einnahmebasis verbreitert und für mehr finanzielle Stabilität gesorgt: Wir stärken so die Solidarität zwischen den hohen und den niedrigen Einkommen. Wir wollen diese einkommensabhängige Finanzierung auch für die Pflegeversicherung und lehnen „Kopfpauschalen“ und weitere privat zu zahlende Zuzahlungen ab. Unser Konzept: Alle neu zu versichernden Bürgerinnen und Bürger werden automatisch in die auf der GKV basierende Bürgerversicherung aufgenommen. Den Privatversicherten bieten wir an, sich innerhalb eines Jahres zu entscheiden, ob auch sie in die Bürgerversicherung wechseln oder weiterhin privatversichert bleiben wollen. Für uns ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dafür zu sorgen, dass sich alle Menschen auf medizinische Hilfe bzw. eine würdevolle Pflege verlassen können - unabhängig vom eigenen Geldbeutel oder der sozialen Lage!

Die SPD-Bundestagsfraktion setzt mit der Bürgerversicherung der Zwei-Klassen-Medizin ein Ende. Eine einheitliche Honorarordnung für die ÄrztInnen und Ärzte wird für die gleiche Behandlung sorgen. Anreize, PatientInnen nach der GKV- bzw. PKV-Versicherungskarte zu unterscheiden, entfallen dank des Grundsatzes „gleiches Geld für gleiche Arbeit“. In der Bürgerversicherung entscheidet allein die Schwere der Krankheit über Art und Schnelligkeit der Behandlung. Ein einheitliches Honorarsystem für private Krankenversicherungsunternehmen und gesetzliche Krankenkassen wirkt somit dem Anreiz entgegen, Privatversicherte bei der Vergabe von Facharztterminen zu bevorzugen. Es entfällt auch ein Standortanreiz: Es macht keinen Sinn mehr, sich vorrangig in Regionen mit hohem Privatversicherungsanteil niederzulassen. So sorgen wir für eine gleichmäßigere flächendeckende Versorgung.

Die gesetzliche Krankenversicherung ist das Herzstück unseres sozialen Sicherungssystems und der Bürgerversicherung. Abgesehen vom erfolgreichen Prinzip der Umlagefinanzierung hat sich der 2009 eingeführte Gesundheitsfonds zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung in der Finanz- und Wirtschaftskrise als stabil und zukunftssicher erwiesen. Mit ihrem kapitalgedeckten Geschäftsmodell haben einzelne private Krankenversicherungsunternehmen aufgrund von Finanzmarktspekulationen viel Geld verloren. Dabei handelt es sich um Geld, das von den Versicherten als Altersrückstellung eingezahlt wurde. Eine der Folgen sind weitere Prämienerhöhungen zusätzlich zu den mit zunehmendem Alter steigenden Prämien. In meinen BürgerInnensprechstunden suchen mich zunehmend privatversicherte BürgerInnen auf, die ihre drastisch steigenden PKV-Prämien nicht mehr bezahlen können.

Knut Lambertin, DGB-Bundesvorstand, verdeutlichte diese Entwicklung zu Lasten der PKV-Versicherten am Beispiel der aufkommenden Krise der Lebensversicherer. Diese bedienen sich ebenfalls eines kapitalgedeckten Geschäftsmodells, um die zugesagte Garantieverzinsung der Lebensversicherung zu erwirtschaften. Die als Folge der Finanzkrise von der Europäischen Zentralbank vorgenommene Leitzinssenkung macht es den Lebensversicherern allerdings schwer, ihre vertraglich zugesicherten Versprechen einzuhalten. Daher bieten führende Versicherungsunternehmen bereits jetzt Produkte an, die einen Teil der Beiträge an den Aktienmärkten investieren. Diese Entwicklung trifft für alle Versicherungen mit Kapitaldeckung zu.

Eine solche „Zockerei“ ist für unser Gesundheitswesen unzumutbar und verantwortungslos. Die Absicherung in der privaten Krankenversicherung erfolgt nicht generationenübergreifend. Schon allein wegen der Gefahr einer schleichenden Altersarmut ist die Bürgerversicherung mehr als nötig.

Die Bürgerversicherung ist keine Einheitsversicherung

Die SPD-Bundestagsfraktion wird die Bürgerversicherung als Kranken- und Pflegeversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger einführen. Dadurch entsteht keine Einheitskasse. Vielmehr schaffen wir für alle bestehenden ca. 140 gesetzlichen Krankenkassen und 43 privaten Versicherungsunternehmen einheitliche Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie ihre Leistungen anbieten können. Somit bleibt der Preis- und Leistungswettbewerb im deutschen Gesundheitswesen erhalten, indem die Krankenkassen ihren Beitragssatz wieder selbst bestimmen sollen. Jede und jeder kann also weiterhin eine Krankenkasse nach den eigenen Wünschen auswählen.

Schwarz-Gelb hat mit einkommensunabhängigen Zusatzbeiträgen die „Kopfpauschale“ eingeführt und damit eine legale Ungleichbehandlung festgeschrieben: Die Sekretärin zahlt für Gesundheitsleistungen genauso viel wie ein Top-Manager. Diese „Kopfpauschale“ schaffen wir wieder ab. Wettbewerb vollzieht sich so nicht auf Kosten der medizinischen Leistungen, da der gesetzlich festgelegte Leistungskatalog ausschließlich evidenzbasierte Leistungen umfasst. Zusatzversicherungen, wie es sie heute schon für Zahnersatz oder gehobenen Service im Krankenhaus gibt, bleiben weiterhin möglich.

Die SPD-Bundestagsfraktion hält zudem grundsätzlich am Sachleistungsprinzip als Grundpfeiler eines solidarischen Gesundheitswesens fest. Dementsprechend wird jeder Arztbesuch nach einheitlichen Sätzen bezahlt. Das ist gerecht. Auch Knut Lambertin unterstrich diesen Umstand: „Unser gesetzliches Gesundheitssystem ist gut. Alle haben direkten Zugang zu ärztlicher Versorgung, ohne dabei in Vorkasse gehen zu müssen. So muss sich niemand überlegen, ob er oder sie sich einen Arztbesuch leisten kann oder nicht“. Darüber hinaus zeigen Vergleiche immer wieder, dass das Sachleistungsprinzip hilft, die Ausgaben zu begrenzen. Auch die Wirtschaftlichkeit ist eine Maxime der gesetzlichen Krankenversicherung. Zunehmend beklagen private Krankenversicherer massive Kostensteigerungen für medizinisch nicht notwendige Leistungen.

Das Konzept der Bürgerversicherung soll zu einer allgemeinen Bürgersozialversicherung führen, das nicht nur die Krankenversicherung neu gestaltet, sondern auch die Pflegeversicherung. Hieran arbeiten wir intensiv, damit sie fit für den demografischen Wandel ist und die Bedürfnisse der Pflegepatientinnen und -patienten und ihrer Angehörigen umfasst aufgreift. Verbessern wollen wir auch die Situation der Pflegefachkräfte: Berechtigte Erwartungen auf bessere Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen müssen berücksichtigt werden.

Ich bedanke mich bei Knut Lambertin, Cansel Kiziltepe und allen Teilnehmenden für die anregende Diskussion.