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Stolpersteine für psychisch Erkrankte - „Unsere Verantwortung heute heißt Inklusion“

„Gedenken - Erinnern - Mahnen“: Ich danke der Pinel gGMbH, einem Träger der psychosozialen Versorgung im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, für die Verlegung der drei Stolpersteine zum Gedenken an die Schönebergerin Martha Jentsch (geb. Dame) aus der Ebersstraße 72, an den Schöneberger Helmut Deutschmann aus der Feurigstraße und den Schöneberger Gustav Gatzke aus der Eythstr. 69. Die drei Personen waren auch der Mittelpunkt der Gedenkfeier „Erinnern wir uns“ am 10. September 2013 im Pinellodrom: Sie waren alle während der nationalsozialistischen Terrorherrschaft PatientInnen in den Wittenauer Heilanstalten in Berlin. Von dort aus wurden sie 150 Kilometer weiter östlich in die Tötungsanstalt Meseritz-Obrawalde gebracht und ermordet. Alle drei sind Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie. Ihr Leben galt den Nazis als „lebensunwert“.

Unsere gemeinsame Verantwortung heißt Inklusion!

Wir gedenken - wir erinnern - wir mahnen – und wir tragen für das Heute und Morgen Verantwortung: Unsere gemeinsame Verantwortung heißt Inklusion! So meine Botschaft in meinem Grußwort. Die Schaffung einer inklusiven Gesellschaft ist unser aller Aufgabe. Das A und O für eine inklusive Gesellschaft liegt in der Schaffung von mehr Teilhabe. Es geht um eine bessere Partizipation von Menschen mit Handicaps in allen Bereichen: sei es in der Kita, den Schulen, Universitäten, Ausbildungseinrichtungen, im Beruf oder Sport. Ich will, dass wir die umfassenden Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention in allen gesellschaftlichen Feldern besser und mit mehr Nachdruck umsetzen.

Mit Aussonderung muss Schluss sein!
Inklusion beginnt im Kopf jedes Einzelnen und jeder Einzelnen mit der Bereitschaft offen zu sein für Andere. Daran müssen wir alle gemeinsam arbeiten. Noch fällt vielen Menschen der Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen, mit Behinderungen schwer. Häufig liegt es daran, dass sie, dass wir den gemeinsamen Dialog nicht gelernt haben. Viele haben keinen gemeinsamen Umgang miteinander eingeübt. Wir haben Barrieren im Kopf. Jahrzehntelang wurden Menschen mit Behinderung aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen.

Selbstbewusst vertreten heute Menschen mit Behinderungen den Anspruch auf „Nichts über uns - ohne uns“. Die UN-Behindertenkonvention gebietet uns, Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen herzustellen - und das ist gut so! Wir wollen eine inklusive Gesellschaft.

Tempelhofer Ausstellung „Töten aus Überzeugung“
Ich weiß nicht, der Irrglaube von der Unterteilung in wertes und unwertes Leben - die NS-Euthanasie - etwas damit zu tun hat, dass uns heute noch der Umgang mit Menschen mit Behinderungen so schwer fällt. Fest steht aber, dass das Schicksal von Menschen mit Behinderung und deren Familien in der Aufarbeitung der NS-Zeit bisher leider nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Vielen Menschen ist nicht bekannt, dass der Ort an dem die geheime Zentraldienststelle der Nationalsozialisten stand, mitten in Berlin war. In der „Tiergartenstraße 4“ wurde die systematische Massentötung psychisch kranker und geistig behinderter Menschen unter der beschönigenden Überschrift „Euthanasie" geplant und organisiert. Noch weniger Menschen wissen, welche grausamen Taten sich hinter dem Kürzel „T4-Aktion“ verbergen.

Deshalb bin ich dankbar, dass Herr Gollnow, Fachsozialarbeiter bei Pinel, sich dieses Unrechts mit der heutigen Stolpersteinverlegung und der Ausstellung „Töten aus Überzeugung“ angenommen hat. Die Ausstellung ist bis Ende Oktober 2013 im Rathaus Tempelhof zu sehen.

Gelichzeitig kann man sich auf der Website „gedenkort T4.eu“ über die nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde an 300.000 Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischen Erkrankungen informieren.

Stolpersteine für Gustav Gatzke, Martha Jentsch, Helmut Deutschmann – ihre Biografien

Die Stolpersteine für

  • Gustav Gatzke aus der Eythstr. 69,
  • für Martha Jentsch geb. Dame aus der Ebersstraße 72
  • und für Helmut Deutschmann aus der Feurigstraße

rufen das Schicksal der Menschen, die von den Nazis als unwert zu Leben klassifiziert wurden, zurück ins Gedächtnis.

Martha Jentsch geb. Dame
Martha Jentsch wurde am 10.12.1880 in Wriezen an der Order geboren. Sie wohnte in der Ebersstraße 72 in Berlin-Schöneberg. Im Jahr 1907 heiratete sie einen Ingenieur, vorher hatte sie im Laden der Eltern gearbeitet. Sie war Hausfrau und bekam 1912 einen Sohn. Ihre Schwester versorgte sie mit.

Seit dem Herbst 1941 litt sie an einer Depression, wegen der sie mehrmals im Berliner Krankenhaus Westend und in einem Privatkrankenhaus in Bernau in Behandlung war. Ende März 1942 wurde sie auf Anweisung eines Schöneberger Arztes in die Heilanstalten Wittenau eingewiesen. Die von einem Arzt bei ihrer Aufnahme niedergeschriebene Lebensgeschichte lässt vermuten, dass Martha Jentsch stark an den Auswirkungen des Krieges litt. Ihre Depressionen seien nach einem vergeblichen Versuch, Kleider zu kaufen, aufgetreten. Mit ihrer Einweisung nach Wittenau war sie offenbar nicht einverstanden. Sie hatte aber starke Schuldgefühle gegenüber anderen Frauen, die „ihren Mann stehen. Zur Behandlung ihrer Depression wurde bei Martha Jentsch eine Opiumkur durchgeführt, die aber nicht wirksam war. Mitte des Jahres 1943 wurde sie in der Patientenakte als gesund beschrieben, weshalb sie am 13.07.1943 als gebessert nach Oebisfelde zu ihrem Sohn entlassen wurde. Damit war Martha Jentsch aber nicht einverstanden und es kam zu Unstimmigkeiten zwischen ihr und ihrem Sohn. Dieser brachte sie im November 1943 wieder nach Wittenau, worüber Martha Jentsch „sehr empört“ war. Sie vermutete, dass ihr Ehemann sie mit einer jüngeren Frau betrüge und sich ihrer entledigen wolle. Laut Diagnose des Aufnahmearztes zeigte sie keinerlei Krankheitssymptome, trotzdem wurde sie am 06.04.1944 nach Meseritz-Obrawalde verlegt. Nur fünf Tage später soll sie an einer Lungenentzündung erkrankt sein, an der sie am 17.05.1944 verstorben sein soll. Es steht zu vermuten, dass Martha Jentsch Opfer der in Meseritz-Obrawalde verübten Morde durch die Gabe von Überdosen von Medikamenten wurde.

Gustav Gatzke
Gustav Gatzke wurde am 25.07.1870 in Nimptsch im Kreis Bromberg in Westpreußen geboren. Als sein Beruf wurde Maschinenputzer angegeben. Er arbeitete auch als Lokomotivheizer. Gustav Gatzke war Vater von acht Kindern. Er wohnte in der Eythstraße 69 in Berlin-Schöneberg.

1940 wurde er wegen seiner Alkoholkrankeit entmündigt. Als 1944 seine Frau starb, wurde er im Januar dieses Jahres in die Wittenauer Heilstätten gebracht. Der aufnehmende Arzt bezeichnete ihn in seiner Eingangsdiagnose als „uneinsichtig“ und notierte, dass Gustav Gatzke seinen Vormund beschuldigt hätte, dass dieser ihn nur deshalb habe einweisen lassen, um ihn „um die Wohnung zu bringen“. Noch im Februar 1944 wurde er in ein Pflegeheim im Kreis Niederbarnim überstellt, nach kurzer Zeit aber wieder nach Wittenau zurückgebracht. Gustav Gatzke wurde als ruhiger Patient beschrieben. Er drängte auf seine Entlassung und wollte unbedingt wieder in seiner Wohnung leben, was ihm aber aufgrund einer Anordnung des Berliner Polizeipräsidenten verweigert wurde.

Am 26. April 1944 wurde er in die Landesanstalt Meseritz-Obrawalde überstellt. Aus den wenigen Einträgen, die dort noch in die Krankenakte gemacht wurden, geht hervor, dass er in eine Art Hungerstreik trat und dadurch auffiel, dass er „viele Wünsche äußerte“. Er starb nur wenig später am 05.05.1944. Es steht zu vermuten, dass er Opfer der in Meseritz-Obrawalde verübten Morde durch die Gabe von Überdosen von Medikamenten wurde.

Helmut Deutschmann
Helmut Deutschmann wurde am 01.01.1921 geboren. Er hatte keinen Beruf und wohnte in der Feurigstraße bei seinen Eltern. Sein Vater Otto war Arbeiter bei der BVG.

Am 09.01.1943 wurde er von einem Straßenbahnschaffner aufgegriffen, als er in Rahnsdorf in die Straßenbahn nach Woltersdorf stieg, ohne Geld bei sich zu haben. Der Schaffner übergab ihn der Polizei, die ihn zuerst in ein Polizeigefängnis brachte. Dort wurde er auf seinen Geisteszustand hin untersucht. Das Ergebnis -„gemeingefährliche Geisteskrankheit“- führte dazu, dass er in die Wittenauer Heilanstalten gebracht wurde. Der Aufnahmearzt stellte fest, dass Helmut Deutschmann taubstumm war und weder lesen noch schreiben konnte. Seine Mutter setzte schließlich durch, dass er am 09.02.1943 entlassen wurde und wieder zu Hause wohnen konnte. Nach ihrem Tod Anfang des Jahres konnte sein Vater nicht mehr für ihn sorgen. Er wurde erneut nach Wittenau gebracht. Helmut Deutschmann galt als „schwieriger“ Patient, da er nicht lautsprachlich kommunizieren konnte. So wurde er am 11.03.1944 zur Verlegung nach Meseritz-Obrawalde vorgeschlagen, was am 26.04.1944 auch geschah. Nur einen Tag später starb er dort.

Es steht zu vermuten, dass Helmut Deutschmann Opfer der in Meseritz-Obrawalde verübten Morde durch die Gabe von Überdosen von Medikamenten wurde.

Die Stolpersteine, die nun vor den ehemaligen Wohnhäusern liegen, bringen die Namen dieser Opfer zurück an die Orte ihres Lebens und machen ihr Schicksal sichtbar. Sie zeigen, dass die nationalsozialistischen Verbrechen überall stattgefunden haben. Sie zeigen, dass die Nazis in alle Lebensbereiche eingegriffen haben.

Die Stolpersteine sind unausweichlich. Sie mahnen uns! Und Sie erinnern uns.