Wir müssen die Kultursensibilität in jedem Bereich des Gesundheitswesen ausbauen. Ohne diese werden wir das Organspendeverhalten in den MigrantInnen-Communities nicht erhöhen. So mein Fazit aus der sehr informativen Veranstaltung der Berliner Gesellschaft türkischer Mediziner e.V. (BGTM) zum Thema „ORGANSPENDE - ein neues Leben: Widerspruch oder Chance“. Diese fand am 6. November 2013 in der Botschaft der Türkischen Republik in Berlin-Tiergarten statt. Derzeit wird in der Türkei die Woche der Organtransplantation begangen - eine gute Vorlage auch für die Veranstaltung hier. Die Tagung wurde moderiert von Dr. med. Emine Yüksel im Rahmen der gemeinsamen Kooperation des BGTM mit der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales. Mario Czaja, Senator für Gesundheit und Soziales, als auch Emine Demirbüken-Wegner, Staatssekretärin, verwiesen auf die bei vielen Menschen vorhandenen Unsicherheiten, Ängste und vor allem Vorurteile. Das Spenden von Organen sei ein emotional besetztes Thema. Schließlich falle es schwer, sich mit seiner eigenen Endlichkeit oder der von Familienmitgliedern auseinander zu setzen.
Willkommen in der Türkischen Botschaft
Bereits in der Begrüßung verwies Gamze Karslioglu, Gattin des Botschafters der Türkischen Republik, darauf, dass bei der türkeistämmigen Bevölkerung in Deutschland die Organspendebereitschaft niedriger ist als in der Bevölkerung in der Türkei und auch niedriger als im bundesdeutschen Durchschnitt. Gründe liegen u.a. in der mangelnden Aufklärung durch das deutsche Gesundheitssystem als auch die mangelnde Aufklärung über die mehrheitliche Anerkennung des Hirntodes durch islamische Rechtsgelehrte. Dabei ist das Spenden als auch die Annahme von Organen unter den islamischen Gelehrten in großer Mehrheit akzeptiert.
Auch für den Islam ist die Organspende eine Tat der Nächstenliebe
Prof. Dr. Dr. Ilhan Ilkilic ist seit 2012 als erster türkischer Medizinethiker muslimischen Glaubens Mitglied des Deutschen Ethikrates. Er zeigte den Prozess der ethischen Entscheidungsfindung im Islam sehr anschaulich auf. Die Lebendorganspende, die postmortale Organspende als auch die Fragen, ob Muslime Nichtmuslimen spenden können oder Muslime von Nichtmuslimen Organe empfangen dürfen: nach Ansicht von lkilic ist all dieses für muslimische Gläubige möglich.
Derzeit existierten für die türkisch-muslimische Bevölkerungen aber spezielle Probleme:
- eine fehlende bzw. eine unangemessene ärztliche und öffentliche Aufklärung
- sprachliche, soziale, psychologische und kulturelle Barrieren
- Volksglaube und seine (individuellen) religiösen Interpretationen
- Das Leben in der Diaspora / Diskriminierungserfahrungen (das Gefühl Menschen 2. Klasse zu sein)
Ilhan Ilkilic fordert für die Diskussion zur Organspende mehr kultursensible Offenheit und Transparenz, mehr kultursensible Aufklärung, ja geradezu eine kritische Auseinandersetzung, damit das Thema Organspende in all seinen Aspekten überall, vor allem in den Familien, diskutiert wird.
Deutschen Stiftung Organtransplantation
Zur Debatte „Organspende im Schatten des Skandals - Widerspruch oder Chance“ referierte Dr. Detlef Bösenbeck. Er ist geschäftsführender Arzt der Region Nord-Ost der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Dabei befasste er sich überwiegend mit der Frage, wo der potentiell tödliche Mangel an Organspenden seine Ursachen hat und was wir daran ändern können: Eine Ursache liegt in erfreulichen Umständen: Die Medizin macht Fortschritte, sodass nicht mehr so viele Menschen beispielsweise an Hirnblutungen und Schlaganfällen versterben. Auch die Zahl der früher klassischen OrganspenderInnen, die Unfalltoten, ist in den vergangenen Jahrzehnten drastisch gesunken. Dennoch gibt es weiterhin selbstverständlich Sterbende und Verstorbene auf Intensivstationen, deren Organe für eine Spende geeignet wären. Gerade hier sind bei den Gesprächen Empathie und eine gute Kommunikation mit den Angehörigen von Nöten.
In 2013 sind etliche gesetzliche Bestimmungen in Kraft getreten, u.a. die Einsetzung von Transplantationsbeauftragten in den Krankenhäusern. Diese sollen über eine spezielle Ausbildung verfügen, um in einer Situation der Trauer und des Schocks mit den Angehörigen über eine Organspende zu reden. Dr. Bösenbeck vermisst aber die Kontrolle des tatsächlichen Geschehens in den Krankenhäusern. Zunehmend mehr Menschen wenden sich gegen lebensverlängernde Maßnahmen, die nicht zur Genesung führen. Somit erreichten viele mögliche SpenderInnen nicht mehr das Stadium des Hirntodes. Da häufig keine entsprechende Patientenverfügung oder aber auch ein Organspendeausweis existiert, erfolgt ein frühes Therapieende vor dem Hirntod.
Detlef Bösenbeck forderte eine bessere Ausbildung der MedizinerInnen für die Gespräche mit den Angehörigen. Es gäbe positive Einfluss-Faktoren für eine Zustimmung. Diese seien auszubauen, u.a. müsse die Sinnhaftigkeit der Organspende deutlicher gemacht werden können, müsse im Klinikalltag auch die entsprechende Zeit, Empathie und Atmosphäre herrschen.
Psychische Faktoren entscheiden über den Erfolg einer Transplantation mit
„Leben mit dem Spenderorgan - Widerspruch oder Chance“ darauf ging PD Dr. med. Meryam Schouler- Ocak in ihrem Referat ein. Als Leitende Oberärztin der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig Krankenhaus verwies sie immer wieder auf psychische Faktoren als notwendige Belastungen aber auch Erfolgsursachen beim Leben vor und vor allem nach einer Transplantation. Mit Vehemenz forderte sie mehr Hilfen in der Muttersprache bei der Versorgung von MigrantInnen. Die interkulturelle Kompetenz von ÄrztInnen und TherapeutInnen wird immer wichtiger. Bei der medizinischen Betreuung von Migrantinnen sind die Unterschiede in Sprache und Kultur von enormer Bedeutung. Sie prägen die Compliance, prägen das Arzt-PatientInnen-Verhältnis. Gerade bei psychischen Erkrankungen sei es bei der Diagnostik und Therapie wichtig, kulturelle Prägungen zu berücksichtigen und dafür Kultur- beziehungsweise muttersprachliche SprachvermittlerInnen einzusetzen. Auch Informations- und Merkblätter in der Muttersprache der Migranten seien unabdingbar. Hier müssten sich die Krankenkassen bewegen!
DKMS: Die deutsche Knochenmarkspenderdatei
Die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) wurde von ihrem Direktor Stephan Schumacher vorgestellt. Ziel der DKMS ist die Bekämpfung von Blutkrebs. Die erst 1991 gegründete Datenbank ist die größte Stammzellspenderdatei der Welt und weist mittlerweile mehr als zwei Millionen potenzielle LebendspenderInnen aus. Erfreulich ist, dass sehr viele der SpenderInnen aus Deutschland kommen, es gibt auch mehr als 100.000 türkischstämmige SpenderInnen. Über 500 von ihnen hätten bereits für an Blutkrebs erkrankte PatientInnen vermittelt werden können.
Neues aus der Herztransplantationschirugie
Über Bewährtes und Neues in der Herztransplantationschirurgie berichtete Prof. Dr. Hüseyin Ince. Seit dem 1. Oktober 2013 ist er neuer Chefarzt für Innere Medizin - Kardiologie und konservative Intensivmedizin im Vivantes Klinikum im Friedrichshain. Er stellte heraus, dass im Jahre 2020 Herzerkrankungen und die Depression die überwiegenden Krankheitsbilder sein werden. Durch die Einführung der katheter-basierten Verfahren eröffnen sich den schwerkranken HerzklappenpatientInnen neue Therapieoptionen, wenn diese keine geeigneten KandidatInnen für eine offene Herzoperation sind. Nicht allein die Herzklappenerkrankung sondern der gesamte Patient /die gesamte Patientin müsse dabei im Mittelpunkt der Behandlung stehen. Die multidisziplinäre Zusammenarbeit sei in der Zukunft die entscheidende Arbeitsform - alles sei nur in Teamarbeit zu gewährleisten. Ab April 2014 übernimmt Prof. Dr. Hüseyin Ince darüber hinaus den Chefarztposten der Klinik für Kardiologie, Allgemeine Innere Medizin und konservative Intensivmedizin im Klinikum Am Urban.