„Sie haben einen Vogel“ - so wäre die Antwort gewesen, wenn jemand Rosi vor 10 Jahren gesagt hätte, dass sie Schreibwettbewerbes gewinnen und für eine selbst geschriebene Geschichte ausgezeichnet werden würde. Rosi hatte am Schreibwettbewerb 2013 des Bundesverbandes für Alphabetisierung und Grundbildung e.V. unter dem Motto „Das kann ich jetzt“ teilgenommen. Am 25. November 2013 wurden drei Gewinnerinnen, darunter eine Berlinerin, in einer beeindruckenden Feierstunde im BASE_camp der E-Plusgruppe ausgezeichnet. Diese unterstützt den Schreibwettbewerb und damit funktionale AnalphabetInnen schon seit Jahren.
Bundesweit waren TeilnehmerInnen aus Lese- und Schreibkursen für Erwachsene aufgerufen, Texte für den Schreibwettbewerb "Das kann ich jetzt" zu verfassen. Die erste Vorauswahl aus den hunderten Einsendungen trafen drei VorständlerInnen des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung e.V. Danach hatte eine Jury, bestehend aus Thilo Fellmer, Kinderbuch-Autor und ehemaliger Betroffener, Heio von Stetten, Schauspieler, Harald Geywitz, Leiter Government Relations und Jugendschutzbeauftragter der E-Plus Gruppe, die schwierige Aufgabe sich für fünf Texte zu entscheiden. Über die Facebook-Seite des Bundesverbandes für Alphabetisierung und Grundbildung e.V. wurden dann die drei PreisträgerInnen ermittelt. Eine dreitägige Reise nach Berlin mit einer Begleitperson war der Gewinn.
Mein Respekt vor dem Mut und der Lernleistung der Preisträgerinnen
Sehr bewegend waren die Lebensgeschichten der Frauen. Sie haben mit viel Mut und Ausdauer und auch mit Unterstützung in den Lerngruppen, als Frauen im Alter bereits über 40 begonnen, ihre Lese- und Schreibfähigkeiten auszubauen. Ihre Erzählungen wurden vom Schauspieler Heio von Stetten, „Botschafter für Alphabetisierung 2013“, vorgetragen.
7,5 Millionen Erwachsene in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben
7,5 Millionen Erwachsene haben so geringe Lese- und Schreibkenntnisse, dass sie als funktionale AnalphabetInnen gelten. Das ist das Ergebnis der Studie „leo. - Level-One“, die 2010 im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung als erste Studie in Deutschland die Größenordnung des funktionalen Analphabetismus unter der erwerbsfähigen Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren untersucht hat. Funktionale AnalphabetInnen können zwar einzelne Sätze lesen oder schreiben, nicht jedoch zusammenhängende Texte verstehen. Doch mehr als vierzehn Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung ist betroffen. „Nur etwa 20.000 von ihnen besuchen Lese- und Schreibkurse“, so der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V. Hinzukommen 13,3 Millionen Menschen, die Bücher, Zeitungen, Gebrauchsanweisungen oder Behördenschriftstücke nur langsam und fehlerhaft lesen und verstehen. Das entspricht rund 26 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung. Die Thematik ist also kein sogenanntes Randgruppen-Problem, wie viele gerne glauben möchten. Fakt ist, dass eine fehlende Grundbildung ein hohes Armutsrisiko für die betroffenen Menschen bedeutet. Häufig verbergen sie von Kindes- und Jugendbeinen an ihre Lese- und Schreibschwächen, isolieren sich, aus Angst bloßgestellt zu werden.
Mehr gesellschaftliche Teilhabe für alle
Dass der Kampf gegen Bildungsarmut unbedingt aufgenommen und ausgebaut werden muss, hat die SPD in ihrem Antrag „Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland fördern - Für eine nationale Alphabetisierungsdekade“ deutlich gemacht. Dieses Anliegen wurde auch in die aktuellen Koalitionsverhandlungen eingebracht. Die Alphabetisierungskampagne soll von Bund und Ländern zu einer Dekade der Alphabetisierung weiterentwickelt werden. Wir wollen die Kursplätze für Alphabetisierung und Grundbildung an den Volkshochschulen und bei weiteren Trägern erhöhen. Außerdem sollten mehr Texte in „Einfacher“ und „Leichter Sprache“ veröffentlicht werden. Der Bundestag müsse hier auch selbst als gutes Beispiel vorangehen und entsprechend Informationen und Materialien in „Einfacher Sprache“ anbieten.
Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Menschen, die Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben, zu unterstützen. Hier liegt auch eine Aufgabe der Wirtschaftsunternehmen und der Arbeitgeber, aber auch der Betriebs- und Personalräte vor Ort, sich hier zu engagieren. Niemand darf ausgegrenzt werden, ein jeder Mensch hat Talente.