Die gesellschaftliche Anerkennung von Trans*menschen muss gestärkt und die bestehende Diskriminierung und Ausgrenzung durch das geltende Transsexuellengesetz muss fallen. So die einhellige Meinung der Teilnehmenden am Werkstattgespräch „‘Trans*überfällig’ - die Reform des Transsexuellengesetzes (TSG)” am 7. März 2014. Ich fand die Veranstaltung spannend und wichtig, denn das Werkstattgespräch bot die Möglichkeit für den direkten Austausch zwischen Wissenschaft, Trans*expertinnen in eigener Sache und Politik. Für mich ist klar, ich unterstütze Forderungen nach Akzeptanz der sexuellen Vielfalt, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung bzw. Geschlechtsidentität und dem Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Identität ausdrücklich.
Organisiert wurde das Werkstattgespräch durch das Harriet Taylor Mill-Institut der Hochschule für Recht und Wirtschaft Berlin. Die Vizepräsidentin der HWR Berlin, Prof. Dr. Friederike Maier, betonte in ihrer Begrüßung, dass das Institut bereits viele Veranstaltungen zu den Themen Geschlechtergerechtigkeit und zum Genderdiskurs durchgeführt hat. Sie fand es wichtig, neue Aspekte des Genderdiskurses aufzugreifen. Moderiert wurde das Werkstattgespräch durch Sandra Lewalter vom Harriet Taylor Mill-Institut. Lewalter stellte die Frage voran, wie in Deutschland ein politischer Prozess angestoßen werden kann, der zu einer verfassungskonformen und für Trans*Personen unterstützenden Reform des TSG führt.
Diskriminierungen durch das Transsexuellengesetz
Das geltende Transsexuellengesetz (TSG) sei verfassungswidrig, meinte Laura Adamietz, vom Zentrum für Rechtspolitik an der Universität Bremen. In Vortrag hatte Adamietz das TSG aus verfassungsrechtlicher Sicht bewertet. Die im Gesetz verwendeten Ausdrücke "Transsexuelle" und "Transsexualismus" entsprechen dem Sprachgebrauch der Entstehungszeit (1980). Aber vor allem die konkreten Regelungen sind heute nicht mehr zeitgemäß und widersprechen dem heutigen Stand sowohl des wissenschaftlichen, juristischen und gesellschaftlichen Diskurses. Und vor allem: sie diskriminieren Trans*Menschen.
Eine Reihe von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben das TSG in einen Torso verwandelt. Die letzte Entscheidung des BVerfG vom 11.1.2011 war dabei die substantiell weitreichendste. Danach kann von Menschen mit Transgenderveranlagung nicht erwartet werden, dass sie geschlechtsangleichende Operationen vornehmen lassen oder operativ die Fortpflanzungsfähigkeit revidieren, um rechtlich in ihrem Wunschgeschlecht anerkannt zu werden. Dies verstoße gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und das Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 Abs. 2 GG.
Die Verfassungsexpertin führte aus, das sich das deutsche Recht sich schwer tue Geschlechtsidentität zu normieren. Der Schutz der Geschlechtsidentität ist im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verankert. Adamietz bewertete die Hürden, die Gesellschaft und Rechtssystem dem Ausleben einer normabweichenden Geschlechtsidentität entgegensetzen, als Geschlechtsdiskriminierung. Menschen werden danach bevorzugt oder benachteiligt, ob sie die Erwartung, sich einem von zwei vorausgesetzten und voneinander klar unterschiedenen Geschlechtern, und möglichst dem bei Geburt zugewiesenen, zuzuordnen, erfüllen oder nicht. "Geschlechtsidentität" ist eine Eigenschaft, die alle Menschen tragen, die aber nur dann thematisiert wird, wenn sie von der Norm abweicht und so zur Herausforderung für das Rechtssystem wird.
Aktuell stellt insbesondere das Erfordernis der zwei Sachverständigen-Gutachten eine diskriminierende Hürde für Trans*Menschen dar. Adamietz erwartet für den Fall, dass das Gesetz nicht abgeschafft oder novelliert werde, dass das Bundesverfassungsgericht auch diese Regelung als verfassungswidrig einstuft.
Gegen Fremdbestimmung durch Gutachten
Die durch das geltende TSG vorgeschriebenen zwei Sachverständigen-Gutachten wirken sich diskriminierend für Trans*Menschen aus, betonte Arn Sauer vom TransInterQueer e.V.. Die Menschen erleben die Gutachten als Fremdbestimmung. In seinem Vortrag „Gesetzesinduzierte Diskriminierungen. Das TSG: mehr Schaden als Nutzen?“ übte er scharfe Kritik am geltenden Gesetz und an der Gesetzespraxis.
Als Beispiel führte er die Erkenntnisse aus der Studie von LesMigras aus dem Jahr 2012 aus. In der Studie wurde die institutionelle und strukturelle Gewalt als Folge des Transsexuellengesetzes thematisiert. Des Weiteren wurde in der Studie beanstandet, dass der Weg zur Geschlechtsangleichung viele und komplizierte behördliche Schritte umfasst.
Als konkrete Kritikpunkte von TransInterQueer e.V. benannte Arn Sauer:
- Lange Verfahrensdauer
- Eingeschränkte Verfügungsgewalt (Fremdbestimmung, Willkür, Ungewissheit)
- Diskriminierung durch Begutachtung (Stress-/Prüfungssituation; Grenzüberschreitungen)
- Gesetzesinduzierte Diskriminierung: Fremdbestimmung, psychosoziale Folgen
- TSG (inkl. Begutachtungswesen): “es kommt zu gravierenden psychischen Belastungen, die sich auch auf den Beruf und die sozialen Beziehungen negativ auswirken.”
- Kostenintensiv (“pro Gutachten 2.000 EUR”)
- Probleme mit der Anwendung des Offenbarungsverbotes (TSG § 5) bei Behörden, Arbeitgebern etc. (Anrede, Zeugnisumschreibung)
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2011, die die Operationspflicht als verfassungswidrig einstufte, werden mehr TSG-Verfahren beantragt und durchgeführt wurden (2008: 903; 2011: 1.657).
Perspektivenwechsel ist nötig
Arn Sauer mahnte einen Perspektivenwechsel an. Nötig sei, dass Trans* Expert_innen in eigener Sache anerkannt werden. TransInterQueer e.V. hat konkrete Anforderungen an den Reformprozess des TSG formuliert. Eine TSG-Reform sollte daher eine Abkehr von psychiatrisch-pathologisierender Perspektiven und eine Hinwendung zu „Betroffenen“ - Perspektiven beinhalten. Die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes von Trans*-Personen sollte gewährleistet werden. Daher sollte die Begutachtung und das gerichtlichen Verfahrens abgeschafft werden. Wichtig für die Menschen ist auch die rechtliche Absicherung der Leistungspflicht der Krankenkassen.
Internationaler Vergleich – Argentinien ist Vorbild
In vielen Ländern sind in den letzten Jahren erhebliche Verbesserungen für Trans*Personen erreicht worden. Darauf machte Dr. Julia Ehrt von Transgender Europe aufmerksam. So sind in den Niederlande, Schweden und Portugal viele Diskriminierungen aufgehoben worden.
Während Deutschland 1980 mit der Einführung des TSG eine Vorreiterrolle inne hatte, gibt es mittlerweile in vielen Ländern wesentlich fortschrittlichere Regelungen. Auch in Ländern, in denen man das nicht sofort vermuten würde, zum Beispiel Portugal und Argentinien. Vor allem das Gesetz in Argentinien hob Julia Ehrt hervor. Hier wird das Recht auf Geschlechtsidentität als ein Menschenrecht gesehen und entsprechend ist die Regelung als Schutzgesetz formuliert. Argentinien gilt daher als weltweites Vorbild für die Transgender-Community.
Agendasetting für mehr gesellschaftliche Anerkennung und für eine Reform des TSG
In der Diskussion ging es darum, wie in Deutschland ein politischer Prozess angestoßen werden kann, der zu einer verfassungskonformen und für Trans*Personen unterstützenden Reform des TSG führt. Im Koalitionsvertrag fehlt ein klares Bekenntnis zur Reform des Transsexuellengesetzes. Das war leider gegen die CDU/CSU nicht durchsetzbar. Im Text des Koalitionsvertrages steht lediglich, dass die besondere Situation von trans- und intersexuellen Menschen in den Fokus genommen werden soll.
Immerhin wird der „Nationalen Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogene Intoleranz“ um das Thema Homo- und Transphobie erweitert.
Viele wertvolle Informationen habe ich bei meiner Teilnahme am “Legal Gender Recognition Round Table“ im November letzten Jahres hier in Berlin erhalten. Eingeladen hatten die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und TGEU transgender Europe sowie ILGA, die Internationale Dachorganisation der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans- & Intersex-Verbände. Im Austausch mit Expertinnen und Experten und Aktivistinnen und Aktivisten hat mir wichtige Impulse gegeben. Besonders haben mich die fortschrittlichen Regelungen in Argentinien beeindruckt.
In der Parlamentarischen Versammlung des Europarates werde ich als Mitglied des Ausschusses für Gleichstellung und Nichtdiskriminierung tätig sein. Auch hier sind die Rechte von Trans*Menschen ein wichtiges Thema.
Ich machte deutlich, dass für erfolgreiches Agendasetting das Engagement von Aktivist*Innen von Vereinen und Verbänden wie TransInterQueer e.V. TGEU transgender Europe sowie ILGA, genauso wie fortschrittliche Wissenschaftler*innen nötig ist. Ebenso wie Gerade solche Werkstattgespräche mit dem Dialog zwischen Wissenschaft, Aktivist*innen und Politik sind wichtige Schritte für mehr Öffentlichkeit.
Es ist wichtig, den Kontakt zu den Abgeordneten zu suchen, die für das Thema aufgeschlossen sind und dann gemeinsam zu überlegen, wie wir Mitstreiter*innen finden und gemeinsam eine Strategie über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg zu entwickeln.
Denn wir brauchen eine gemeinsame Strategie für ein neues Gesetz und für mehr gesellschaftliche Anerkennung von Trans*Menschen.