Erklärung der Abgeordneten Mechthild Rawert
zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU/SPD zur Regierungserklärung „Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS“ gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages am 01.09.2014
Die heutige Entscheidung stellt mich vor ein unauflösbares Dilemma. Auf der einen Seite steht der Grundsatz, auf präventive Friedensarbeit und Diplomatie zu setzen und keine Waffen in Krisengebiete zu liefern. Andererseits können wir dem Morden nicht tatenlos zusehen.
Eine mit unseren ethischen Grundsätzen zu vereinbarende widerspruchsfreie Lösung ist nicht möglich. Einerseits könnten Waffenlieferungen die Zeit des Mordens durch den IS verkürzen. Andererseits könnten Waffenlieferungen unüberschaubare Konsequenzen haben und – wenn die Rüstungsgüter in falsche Hände geraten - neue Konflikte auslösen oder verschärfen.
Konsens ist: Humanitäre Hilfe, diplomatische Arbeit gegen die Versorgung des IS mit Geld und Waffen und die internationale Abstimmung unseres Handelns sind die entscheidenden Instrumente unserer Friedenspolitik.
Gerade weil wir vor einem Dilemma stehen, respektiere ich das Abstimmungsverhalten aller Kolleginnen und Kollegen. Denn wir alle verfolgen das gleiche Ziel - das Morden in der Region zu beenden.
Mit der heutigen Debatte und Abstimmung im Deutschen Bundestag folgen wir einer wichtigen Forderung der Berliner SPD. Aufgrund der möglichen Konsequenzen von Waffenlieferungen hat die Berliner SPD beschlossen, dass die Lieferung von Rüstungsgütern in Krisengebiete eine den Auslandseinsätzen vergleichbar einschneidende Maßnahme darstellt. Folglich muss der Tragweite friedens- und sicherheitspolitisch bedeutsamer Interventionen - wie der Neuaufnahme von deutschen Lieferungen von Rüstungsgütern an bzw. in Länder, die sich in akuten oder potentiellen Konflikten befinden – mit einem Parlamentsvorbehalt Rechnung getragen werden.
Internationale Abstimmung – UN-Beschluss vorantreiben
Entscheidend für eine dauerhafte Konfliktlösung ist es, mit den Staaten in der Region ein gemeinsames Vorgehen abzustimmen. Auch für die Lieferung von Rüstungsgütern sollte deshalb ein Beschluss des UN-Sicherheitsrates angestrebt werden.
Deutschland würde in diesem Falle seine Bereitschaft erklären, die Kämpfer gegen den IS mit Waffen zu unterstützen - gemeinsam mit anderen Europäern und einem UN-Mandat. Gleichzeitig muss ein groß angelegtes humanitäres Hilfsprogramm zur Rettung der Flüchtlinge und Verletzten gestartet werden - vor Ort und auch hier in Europa.
Da sich der IS offensichtlich jeglicher diplomatischen Erreichbarkeit entzieht, müssen wir auf jene Staaten einwirken, die den Zufluss von Geld und Waffen an den IS ermöglichen. Auch hier kann ein UN Mandat helfen - internationale Abstimmung ist unverzichtbar. Wir appellieren an Russland, einen entsprechenden Beschluss mitzutragen oder wenigstens zu tolerieren.
Waffen geraten leicht in falsche Hände
Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass Waffen aus Deutschland ein wirksames und schnelles Mittel sein werden, den IS zu stoppen. Unsere Erfahrung lehrt, dass dies in vielen Fällen nicht auf Dauer gelingt.
Aus guten Gründen hat die SPD-geführte Regierung sich nicht am Irak Krieg beteiligt. Diesen Weg, von der deutschen Bevölkerung auf breiter Basis getragen, sollten wir fortsetzen und Krisengebiete grundsätzlich nicht mit Waffen versorgen - einen Präzedenzfall, der diesen Grundsatz gefährdet, wollen wir nicht schaffen.
Das beharrliche Bemühen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier um diplomatische Lösungen und die Initiative des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel zur Begrenzung der Rüstungsexporte müssen weiter gestärkt werden.
Integrierte Friedensstrategie
Nötig ist eine integrierte, präventive Friedensstrategie. Dies erfordert eine strikte Trennung humanitärer und ziviler Hilfe einerseits sowie militärischen Eingreifens und Waffenlieferungen andererseits.
Deutsche humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in großem Stil
Nach allem, was wir aus den uns zugänglichen Quellen erfahren, geht der IS mit kaum zu überbietender Grausamkeit vor. Hundertausende Flüchtlinge sind Opfer einer humanitären Katastrophe. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen.
Notwendig ist eine Politik der Deeskalation aus der Position eines glaubhaften und ehrlichen Vermittlers heraus. Es ist eine wichtige Aufgabe für Deutschland, den Flüchtlingen im Nordirak zur Seite zu stehen. Deutsche humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge in wirklich großem Stil zu leisten.
Geld-Quellen des Krieges austrocknen, Profiteure von Waffengeschäften und Kriegen ächten
Die Mischung aus religiösem Fanatismus und politischen Allmachtphantasien des IS wurde erst durch den Zufluss von Geld und Waffen militärisch-terroristisch virulent. Hier rächt sich der weltweit außer Kontrolle geratene Waffenhandel. Deshalb gilt es zunächst, diesen Zufluss von Geld und Waffen an den IS zu stoppen und auf die Geldgeber des IS einzuwirken, die finanzielle und materielle Unterstützung des IS einzustellen.
Zivilen Friedensdienst stärken
In der aktuellen Debatte betone ich besonders die Bedeutung der zivilen Konfliktbearbeitung, wie die Stärkung des Zivilen Friedensdienstes (ZFD). Dieser gilt als ein Erfolgsmodell der Kooperation von staatlichen und nichtstaatlichen Trägern der Entwicklungs- und Friedensarbeit. ZFD-Fachkräfte unterstützen weltweit in Krisenregionen örtliche Partnerorganisationen dabei, Grundlagen für einen nachhaltigen Frieden zu schaffen.
Das Dilemma, in dem wir uns zwischen „Keine Waffen in Krisengebiete und Friedensarbeit“ auf der einen und „nicht zusehen wie gemordet wird“ auf der anderen Seite befinden, können wir mit der anstehenden Entscheidung nicht auflösen. Im Augenblick sind wir eher Getriebene der Entwicklungen. Die Perspektive aber muss sein, eine präventive und von Diplomatie getragene Friedenspolitik zu gestalten. Für sein aktives Eintreten für eine solche Politik danke ich unserem Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
In Erwägung all dieser Gründe stimme ich dem Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU/SPD zur Regierungserklärung „Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS“ gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages am 01.09.2014 nicht zu.