Am 8. Oktober 2014 hatte die Friedrich-Ebert-Stiftung zur Fachkonferenz Frauenrechte eingeladen. Hintergrund der Konferenz sind die internationalen Abkommen zum Schutz von Frauen bei Menschenhandel und zum Schutz vor Gewalt. Klar ist, Deutschland ist aufgefordert seine Gesetze so zu gestalten, dass sie den Abkommen entsprechen. Uneinigkeit hingegen herrscht in der Frage, wie deutsches Recht ausgestaltet sein muss.
Bedauerlicherweise fanden die Podien zu den beiden Themen parallel statt. Daher kann an dieser Stelle nur auf das Podium zur so genannten Istanbul-Konvention des Europarates eingegangen werden. Deutschland hat 2011 das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt CETS No. 210, so der offizielle Name der Konvention, unterzeichnet. Deutschland hat das Papier aber noch nicht ratifiziert. Denn ratifiziert werden nach deutschem Recht nur internationale Abkommen, die in nationales Recht umgesetzt werden bzw. wurden.
Am 8. Oktober hat die Friedrich-Ebert-Stiftung zur Fachkonferenz Frauenrechte eingeladen. Hintergrund der Konferenz sind die internationalen Abkommen zum Schutz von Frauen bei Menschenhandel und zum Schutz vor Gewalt. Klar ist, Deutschland ist aufgefordert seine Gesetze so zu gestalten, dass sie den Abkommen entsprechen. Uneinigkeit hingegen herrscht in der Frage, wie deutsches Recht ausgestaltet sein muss.
Bedauerlicherweise fanden die Podien zu den beiden Themen parallel statt. Daher kann an dieser Stelle nur auf das Podium zur so genannten Istanbul-Konvention des Europarates eingegangen werden. Deutschland hat 2011 das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt CETS No. 210, so der offizielle Name der Konvention, unterzeichnet. Deutschland hat das Papier aber noch nicht ratifiziert. Denn ratifiziert werden nach deutschem Recht nur internationale Abkommen, die in nationales Recht umgesetzt werden bzw. wurden.
Deutschland muss noch „gesetzgeberische Hausaufgaben“ erfüllen
Vor einer Ratifikation der Istanbul-Konvention muss Deutschland noch „gesetzgeberische Hausaufgaben“ erfüllen. In Artikel 36 des Abkommens heißt es:
“ Artikel 36 - Sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung
1 Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass folgendes vorsätzliches Verhalten unter Strafe gestellt wird:
a) nicht einverständliches, sexuell bestimmtes vaginales, anales oder orales Eindringen in den Körper einer anderen Person mit einem Körperteil oder Gegenstand;
b) sonstige nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen mit einer anderen Person;
c) Veranlassung einer Person zur Durchführung nicht einverständlicher sexuell bestimmter Handlungen mit einer dritten Person.
2 Das Einverständnis muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden.
3 Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Absatz7 1 auch auf Handlungen anwendbar ist, die gegenüber früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen oder Partnern im Sinne des internen Rechts begangen wurden.“
Artikel 36 der Istanbul Konvention stellt also auf die Nichteinvernehmlichkeit von sexuellen Handlungen ab. Diese sind unter Strafe zu stellen. Im Gegensatz dazu fordert das deutsche Strafrecht beim § 177 StGB (Sexuelle Nötigung/Vergewaltigung) die Einwirkung von Gewalt, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder die Ausnutzung einer schutzlosen Lage. Außerdem wird der § 177 StGB durch die ständige Rechtsprechung so eng ausgelegt, dass kaum eine angezeigte Vergewaltigung zur Verhandlung kommt. Die Verurteilungsrate ist noch sehr viel geringer. Diese Umstände bedeuten: Frauen zeigen Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen überhaupt nur zu einem geringen Prozentsatz an, da sie sich nicht so viel von einer Anzeige versprechen. Dass Täter auf diese Weise straffrei bleiben, ist ein Skandal!
15 Staaten haben die Istanbul Konvention ratifiziert
Noch vor Beginn der Podien stellte Johanna Nelles, Referentin der Generaldirektion Demokratie des Europarates unter der Fragestellung: „Gibt es Änderungsbedarf im Sexualstrafrecht europäischer Länder?“ fest, dass die Konvention eine längere Zeit zur Umsetzung benötigen würde. Derzeit hätten 15 Staaten die Konvention ratifizieren können. Sie begleite und unterstütze die Staaten in ihrem Bemühen das nationale Recht entsprechend der Konvention auszugestalten. Es gibt unterschiedliche „Baustellen“ in den Ländern. Beratungsbedarf gäbe es aber in vielen Staaten über die Ausgestaltung des nationalen Rechtes, um zu einer Anpassung im Rahmen des Artikel 36 zu kommen. Es gibt mittlerweile viele unterschiedliche Wege dazu in Europa. Sie reichen von Strafrechtsnormänderungen, über Qualifizierungen bis zu Auslegungsanweisungen zum jeweiligen Vergewaltigungsparagrafen. Deshalb sei es gut, dass Deutschland die Schutzlücke erkannt hat und nun nach einem Weg zur Anpassung des nationalen Rechtes sucht.
Forderung aus der Praxis der Beratungsstellen
Beratungsstellen für Frauen, die Opfer von sexualisierter Gewalt sind, fordern schon lange, dass der § 177 StGB geändert wird. Sie wissen aus der Praxis: Dieser Paragraf ist untauglich. Das zeigte auch der erste Podiumsbeitrag deutlich. Frau Hallanga, Traumatherapeutin der Frauenberatungsstelle Düsseldorf, berichtete aus ihrer Arbeit mit vergewaltigten und traumatisierten Frauen. Sie bemängelte, dass sie in ihrer Arbeit viel Zeit dafür aufwenden müsse, den Frauen zu verdeutlichen, dass eine Strafanzeige wegen Vergewaltigung nur in wenigen Fällen zur Verurteilung führt und dass der Prozess - sofern es überhaupt zu einer Anklage kommt - oftmals eine Retraumatisierung hervorrufen würde. Die betroffenen Frauen können es nicht verstehen und kaum nachvollziehen, dass das von ihnen Erlebte nicht strafrechtlich sanktioniert werden könne, da der § 177 so eng ausgelegt wird. Frau Hallanga forderte in ihrem Statement neben der Reformierung des § 177 auch obligatorische Fortbildungen für Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte zur Vermeidung traumatischer Erlebnisse im Ermittlungsverfahren und der Strafverfolgung.
Die Schutzlücke ist real und nachgewiesen
Das zweite Statement kam von Christine Clemm, Rechtsanwältin und Strafverteidigerin. Sie ist beteiligt an einer Fallanalyse https://www.frauen-gegen-gewalt.de/nachricht/items/bff-legt-fallanalyse-zu-schutzluecken-im-sexualstrafrecht-vor.html , die vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) zusammengestellt wurde. Sie verwies nachdrücklich darauf, dass der deutsche Vergewaltigungsparagraf 177 StGB Schutzlücken aufweist. Das hätte die Fallanalyse eindeutig ergeben. In der Fallanalyse sind viele Fälle aufgeführt, die von Fachleuten als strafwürdig erachtet werden - dennoch aber nicht für eine Anklage und Verurteilung ausreichen. Auch Christine Clemm fordert eine Reformierung des §177. Dabei muss auf die Einvernehmlichkeit der sexuellen Handlungen abgestellt werden. „Einvernehmlichkeit“ ist auch das zentrale Element von Artikel 36 der Istanbul Konvention.
Staatsanwaltschaften brauchen klare Rechtslage
Das dritte Statement erfolgte durch Oberstaatsanwältin Sabine Kräuter-Stockton, Saarbrücken. Frau Kräuter-Stockton ist seit Jahren beruflich mit Sexualstraftaten beschäftigt. Sie beklagte, dass sie und auch ihre KollegInnen mit Sachverhalten beschäftigt seien, die sie für strafwürdig halten. Aber dennoch seien sie gezwungen die Verfahren einzustellen, da eine Anklage keine Aussicht auf Erfolg hätte. Die BGH-Rechtsprechung mit ihrer sehr engen Auslegung führe dazu, dass in Deutschland strafwürdiges Verhalten nicht geahndet wird.
Die zu befürchtenden Retraumatisierungen der Opfer machen es unmöglich, einfach einmal bei einem Fall, bei dem es ein strafwürdiges Verhalten aber z.B. keine andauernde Gewaltausübung oder aufgrund von Angst keine Widerstandshandlungen des Opfers gibt, „auszuprobieren“, ob eine Anklage Erfolg hätte und auch einer höherinstanzlichen Überprüfung Stand hält.
Frau Kräuter-Stockton fordert eine klare Rechtslage. Sie lehnt Auslegungsanweisungen, mit denen in anderen Staaten zur Ratifizierung der Istanbul Konvention gearbeitet wird, ab. In Deutschland herrscht die richterliche Unabhängigkeit. Auslegungsanweisungen hätten hier keinen Bestand und würden die Rechtslage nicht verbessern.
Die Sicht des Bundesjustizministeriums
Das Bundesministerium der Justiz wurde zu einem Kommentar zu den drei Statements aufgefordert. Dafür war Herr Dittmann, Leiter der Strafrechtsabteilung des Ministeriums, der vor seiner Tätigkeit im BMJV selbst ein Richteramt ausgeübt hat, anwesend. Herr Dittmann räumt zwar eine Strafrechtslücke des §177 StGB ein. Diese ist aber eher ein „Rechtsanwendungspraxisfehler“, also ein Fehler der Rechtsprechung, aber kein Fehler des Gesetzes selbst. Das BMJV setze sich mit der Notwendigkeit der Neufassung des § 177 im Rahmen der Istanbul Konvention auseinander, denke aber auch über eine konzeptionelle Neuüberlegung des Sexualstrafrechts nach. Derzeit sind die Bundesländer jeweils zu einer Stellungnahme aufgefordert. Nach deren Eingang würde weitergearbeitet. Leider machte Herr Dittmann - auch auf Nachfragen aus dem Publikum - keine Aussagen über einen Zeitrahmen der Neufassung des § 177 oder der Neukonzeptionierung des Sexualstrafrechts. Er räumte aber ein, dass er sich eine Anpassung des deutschen Strafrechts an die Istanbul Konvention vorstellen könne: dass es einen Grundtatbestand (fehlende Einvernehmlichkeit) geben und dazu einen qualifizierenden Tatbestand (z.B. unter Gewaltausübung oder unter Drohung) geben könne. Der Umgang mit den Opfern von Vergewaltigungstaten sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Fazit der Diskussion: Nein ist Nein - nur Ja ist JA
Therapeutin, Rechtsanwältin und Staatsanwältin sind aus ihren unterschiedlichen Perspektiven jeweils zum selben Ergebnis gelangt: Der § 177 StGB weist Schutzlücken auf, die zur Ratifizierung der Istanbul Konvention geschlossen werden müssen. Dabei ist auf die „Nichteinvernehmlichkeit“ von sexuellen Handlungen abzustellen. Nur so ist den Anforderungen der Istanbul Konvention genüge getan.
Gesamtgesellschaftlich würde eine Änderung des § 177 StGB deutlich machen, dass nur diejenigen sexuellen Handlungen, die von beiden SexualpartnerInnen einvernehmlich vorgenommen werden, straffrei sind. „Nein ist Nein“ hätte dann endlich die Bedeutung, die es schon immer haben sollte.
Manuela Harling, Wahlkreismitarbeiterin und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen Tempelhof-Schöneberg
Deutschland muss noch „gesetzgeberische Hausaufgaben“ erfüllen
Vor einer Ratifikation der Istanbul-Konvention muss Deutschland noch „gesetzgeberische Hausaufgaben“ erfüllen. In Artikel 36 des Abkommens heißt es:
“ Artikel 36 - Sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung
1 Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass folgendes vorsätzliches Verhalten unter Strafe gestellt wird:
a) nicht einverständliches, sexuell bestimmtes vaginales, anales oder orales Eindringen in den Körper einer anderen Person mit einem Körperteil oder Gegenstand;
b) sonstige nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen mit einer anderen Person;
c) Veranlassung einer Person zur Durchführung nicht einverständlicher sexuell bestimmter Handlungen mit einer dritten Person.
2 Das Einverständnis muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden.
3 Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Absatz7 1 auch auf Handlungen anwendbar ist, die gegenüber früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen oder Partnern im Sinne des internen Rechts begangen wurden.“
Artikel 36 der Istanbul Konvention stellt also auf die Nichteinvernehmlichkeit von sexuellen Handlungen ab. Diese sind unter Strafe zu stellen. Im Gegensatz dazu fordert das deutsche Strafrecht beim § 177 StGB (Sexuelle Nötigung/Vergewaltigung) die Einwirkung von Gewalt, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder die Ausnutzung einer schutzlosen Lage. Außerdem wird der § 177 StGB durch die ständige Rechtsprechung so eng ausgelegt, dass kaum eine angezeigte Vergewaltigung zur Verhandlung kommt. Die Verurteilungsrate ist noch sehr viel geringer. Diese Umstände bedeuten: Frauen zeigen Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen überhaupt nur zu einem geringen Prozentsatz an, da sie sich nicht so viel von einer Anzeige versprechen. Dass Täter auf diese Weise straffrei bleiben, ist ein Skandal!
15 Staaten haben die Istanbul Konvention ratifiziert
Noch vor Beginn der Podien stellte Johanna Nelles, Referentin der Generaldirektion Demokratie des Europarates unter der Fragestellung: „Gibt es Änderungsbedarf im Sexualstrafrecht europäischer Länder?“ fest, dass die Konvention eine längere Zeit zur Umsetzung benötigen würde. Derzeit hätten 15 Staaten die Konvention ratifizieren können. Sie begleite und unterstütze die Staaten in ihrem Bemühen das nationale Recht entsprechend der Konvention auszugestalten. Es gibt unterschiedliche „Baustellen“ in den Ländern. Beratungsbedarf gäbe es aber in vielen Staaten über die Ausgestaltung des nationalen Rechtes, um zu einer Anpassung im Rahmen des Artikel 36 zu kommen. Es gibt mittlerweile viele unterschiedliche Wege dazu in Europa. Sie reichen von Strafrechtsnormänderungen, über Qualifizierungen bis zu Auslegungsanweisungen zum jeweiligen Vergewaltigungsparagrafen. Deshalb sei es gut, dass Deutschland die Schutzlücke erkannt hat und nun nach einem Weg zur Anpassung des nationalen Rechtes sucht.
Forderung aus der Praxis der Beratungsstellen
Beratungsstellen für Frauen, die Opfer von sexualisierter Gewalt sind, fordern schon lange, dass der § 177 StGB geändert wird. Sie wissen aus der Praxis: Dieser Paragraf ist untauglich. Das zeigte auch der erste Podiumsbeitrag deutlich. Frau Hallanga, Traumatherapeutin der Frauenberatungsstelle Düsseldorf, berichtete aus ihrer Arbeit mit vergewaltigten und traumatisierten Frauen. Sie bemängelte, dass sie in ihrer Arbeit viel Zeit dafür aufwenden müsse, den Frauen zu verdeutlichen, dass eine Strafanzeige wegen Vergewaltigung nur in wenigen Fällen zur Verurteilung führt und dass der Prozess - sofern es überhaupt zu einer Anklage kommt - oftmals eine Retraumatisierung hervorrufen würde. Die betroffenen Frauen können es nicht verstehen und kaum nachvollziehen, dass das von ihnen Erlebte nicht strafrechtlich sanktioniert werden könne, da der § 177 so eng ausgelegt wird. Frau Hallanga forderte in ihrem Statement neben der Reformierung des § 177 auch obligatorische Fortbildungen für Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte zur Vermeidung traumatischer Erlebnisse im Ermittlungsverfahren und der Strafverfolgung.
Die Schutzlücke ist real und nachgewiesen
Das zweite Statement kam von Christine Clemm, Rechtsanwältin und Strafverteidigerin. Sie ist beteiligt an einer
Fallanalyse, die vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) zusammengestellt wurde. Sie verwies nachdrücklich darauf, dass der deutsche Vergewaltigungsparagraf 177 StGB Schutzlücken aufweist. Das hätte die Fallanalyse eindeutig ergeben. In der Fallanalyse sind viele Fälle aufgeführt, die von Fachleuten als strafwürdig erachtet werden - dennoch aber nicht für eine Anklage und Verurteilung ausreichen. Auch Christine Clemm fordert eine Reformierung des §177. Dabei muss auf die Einvernehmlichkeit der sexuellen Handlungen abgestellt werden. „Einvernehmlichkeit“ ist auch das zentrale Element von Artikel 36 der Istanbul Konvention.
Staatsanwaltschaften brauchen klare Rechtslage
Das dritte Statement erfolgte durch Oberstaatsanwältin Sabine Kräuter-Stockton, Saarbrücken. Frau Kräuter-Stockton ist seit Jahren beruflich mit Sexualstraftaten beschäftigt. Sie beklagte, dass sie und auch ihre KollegInnen mit Sachverhalten beschäftigt seien, die sie für strafwürdig halten. Aber dennoch seien sie gezwungen die Verfahren einzustellen, da eine Anklage keine Aussicht auf Erfolg hätte. Die BGH-Rechtsprechung mit ihrer sehr engen Auslegung führe dazu, dass in Deutschland strafwürdiges Verhalten nicht geahndet wird.
Die zu befürchtenden Retraumatisierungen der Opfer machen es unmöglich, einfach einmal bei einem Fall, bei dem es ein strafwürdiges Verhalten aber z.B. keine andauernde Gewaltausübung oder aufgrund von Angst keine Widerstandshandlungen des Opfers gibt, „auszuprobieren“, ob eine Anklage Erfolg hätte und auch einer höherinstanzlichen Überprüfung Stand hält.
Frau Kräuter-Stockton fordert eine klare Rechtslage. Sie lehnt Auslegungsanweisungen, mit denen in anderen Staaten zur Ratifizierung der Istanbul Konvention gearbeitet wird, ab. In Deutschland herrscht die richterliche Unabhängigkeit. Auslegungsanweisungen hätten hier keinen Bestand und würden die Rechtslage nicht verbessern.
Die Sicht des Bundesjustizministeriums
Das Bundesministerium der Justiz wurde zu einem Kommentar zu den drei Statements aufgefordert. Dafür war Herr Dittmann, Leiter der Strafrechtsabteilung des Ministeriums, der vor seiner Tätigkeit im BMJV selbst ein Richteramt ausgeübt hat, anwesend. Herr Dittmann räumt zwar eine Strafrechtslücke des §177 StGB ein. Diese ist aber eher ein „Rechtsanwendungspraxisfehler“, also ein Fehler der Rechtsprechung, aber kein Fehler des Gesetzes selbst. Das BMJV setze sich mit der Notwendigkeit der Neufassung des § 177 im Rahmen der Istanbul Konvention auseinander, denke aber auch über eine konzeptionelle Neuüberlegung des Sexualstrafrechts nach. Derzeit sind die Bundesländer jeweils zu einer Stellungnahme aufgefordert. Nach deren Eingang würde weitergearbeitet. Leider machte Herr Dittmann - auch auf Nachfragen aus dem Publikum - keine Aussagen über einen Zeitrahmen der Neufassung des § 177 oder der Neukonzeptionierung des Sexualstrafrechts. Er räumte aber ein, dass er sich eine Anpassung des deutschen Strafrechts an die Istanbul Konvention vorstellen könne: dass es einen Grundtatbestand (fehlende Einvernehmlichkeit) geben und dazu einen qualifizierenden Tatbestand (z.B. unter Gewaltausübung oder unter Drohung) geben könne. Der Umgang mit den Opfern von Vergewaltigungstaten sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Fazit der Diskussion: Nein ist Nein - nur Ja ist JA
Therapeutin, Rechtsanwältin und Staatsanwältin sind aus ihren unterschiedlichen Perspektiven jeweils zum selben Ergebnis gelangt: Der § 177 StGB weist Schutzlücken auf, die zur Ratifizierung der Istanbul Konvention geschlossen werden müssen. Dabei ist auf die „Nichteinvernehmlichkeit“ von sexuellen Handlungen abzustellen. Nur so ist den Anforderungen der Istanbul Konvention genüge getan.
Gesamtgesellschaftlich würde eine Änderung des § 177 StGB deutlich machen, dass nur diejenigen sexuellen Handlungen, die von beiden SexualpartnerInnen einvernehmlich vorgenommen werden, straffrei sind. „Nein ist Nein“ hätte dann endlich die Bedeutung, die es schon immer haben sollte.
Manuela Harling, Wahlkreismitarbeiterin und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen Tempelhof-Schöneberg