Zum 1. Januar 2015 werden sowohl das verabschiedete Pflegestärkungsgesetz 1 als auch das vom Kabinett vorgelegte „Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf“ in Kraft treten. Das Pflegestärkungsgesetz 2 mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und dem damit verbundenen gleichberechtigten Anspruch von Leistungen für Menschen mit körperlichen, psychischen und geistigen Einschränkungen sowie das Pflegeberufegesetz stehen für 2015 an.
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund setzt sich für die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, für eine gute pflegerische Versorgung und gute Beschäftigungsbedingungen in der Pflege ein. Unter dem Motto „Wie weiter in der Pflege? - Eine Standortbestimmung zur geplanten Reform der Pflegeversicherung“ beschäftigten sich daher am 29. Oktober 2014 ExpertInnen des DGB und aus der Politik sowie PraktikerInnen mit der Frage „Was haben die pflegebedürftigen Menschen, ihre Angehörigen und die Beschäftigten in der Pflege zu erwarten?“.
Gutes muss auch gut umgesetzt werden
Annelie Buntenbach, Mitglied im geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand, anerkennt eine Weiterentwicklung in der Pflegeversicherung. Der DGB begrüßt die Stärkung der ambulanten Versorgung sowie den Ausbau bestehender Betreuungsleistungen für alle Pflegebedürftigen, insbesondere für demenzkranke Menschen, begrüßt den Ausbau und die Flexibilisierung in der häuslichen Pflege sowie den Ausbau der Hilfen zur Weiterführung des Haushalts und den Ausbau der Zuschüsse für Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen und die Vereinfachungen der Antragsvoraussetzungen bei der Anschubfinanzierung für ambulant betreute Wohnformen. Dadurch sichere die Pflegeversicherung mehr Selbstständigkeit und Teilhabe für viele pflegebedürftige Menschen.
Damit diese neuen Leistungen aber auch bei den Menschen ankommen, müssten noch einige Bedingungen erfüllt werden:
- „Wir brauchen klare Qualitäts- und Zulassungskriterien für die Anbieter niedrigschwelliger Betreuungs- und Entlastungsleistungen. Und diese müssen im Sinne eines Qualitätsmanagements auch kontrolliert und ggf. sanktioniert werden können.
- Wir brauchen eine flächendeckende Versorgung mit Pflegestützpunkten. Notwendig ist nämlich eine leicht zugängliche Beratung, die die Leistungsberechtigten über die unterschiedlichen Möglichkeiten informiert.
- Die neuen Leistungen sollten evaluiert werden, damit bei den nächsten Reformschritten nachgesteuert werden kann.“
Weitere Schritte in der Pflegeversicherung werden angemahnt
Kritisiert wird, dass die mit 4% auf Basis der letzten drei Jahre im SGB XI erstmals erfolgende Dynamisierung der Leistungsbeträge unzureichend sei. Die im Zeitraum von 1999 bis 2008 entstandenen Realwertverluste würden nicht berücksichtigt. Diese führen im Rahmen eines „Teilleistungsgesetz“ zu immer höheren Eigenanteilen an den Pflegeleistungen für die pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen. Pflegebedürftigkeit stelle daher für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen eine reale Armutsbedrohung dar. „Der DGB fordert deshalb den Ausgleich des vollen Kaufkraftverlustes für die Versicherungsleistungen.“
Kritisiert wird der auf ausdrücklichen Wunsch von CDU/CSU im Rahmen des Pflegestärkungsgesetzes 1 verabschiedete Pflege-Vorsorgefonds. „Nach dem Rohrkrepierer Pflege-Bahr wird jetzt auch noch ein rein symbolischer und sinnloser Vorsorgefonds geschaffen. Es dürfe auch nicht sei, dass das Geld am Ende nicht für die Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs ausreiche. Schließlich gehe es „um Menschenwürde und um Gerechtigkeit“.
Kritisiert wird die noch fehlende Umsetzung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Dieser soll die komplexen Leistungsregelungen neu strukturieren, ergänzende Sonderleistungen integrieren und die Inanspruchnahme von Hilfen in der Kombination der verschiedenen Möglichkeiten für die Menschen überschau- und handhabbar gestalten. Die Forderung: „Spätestens ab dem Januar 2017 muss der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff in der Praxis angekommen sein.“
Pflege: Beschäftigte brauchen tariflichen Schutz und gute Bezahlung
Als Ursachen für den Fachkräftemangel in der Pflege werden die unzureichende Personalbemessung, die bescheidene Entlohnung und die extrem belastenden Arbeitsbedingungen benannt. Begrüßt werden die mit dem Pflegestärkungsgesetz 1 beabsichtigten Verbesserungen in der Betreuungsrelation im voll- und teilstationären Bereich von 1:24 auf 1:20. Begrüßt wird auch, dass die Tarifbindung bei Vergütungsverhandlungen zwischen Pflegekassen und Pflegeeinrichtung nicht mehr unwirtschaftliches Handeln gelten.
Annelie Buntenbach fordert darüber hinaus bundeseinheitlich verbindliche und angemessene Vorgaben für die Personalbemessung sowie eine Ausbildungsumlage unter allen Arbeitgebern in der Pflege. Ausbildungsbetriebe dürfen keine Kostennachteile haben. Anwerbebemühungen für ausländisches Pflegepersonal könne die Arbeitsüberlastung, Stress, Minutenpflege und Lohndumping nicht beheben.
Einsatz des DGB für die Pflege
Für den DGB lauten die Forderungen weiterhin:
- ein gleichberechtigter Zugang für demenzkranke Menschen zu den Pflegeversicherungsleistungen
- ein flächendeckend vorhandenes Angebot von geeigneten Pflege- und Betreuungsleistungen für alle pflegebedürftigen Menschen und Entlastungsangebote für deren Angehörige
- bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in der Pflege und
- eine solidarische und nachhaltige Finanzierung. Das Ziel bleibt daher die Bürgerversicherung auch für die Pflege.
Pflege: Beschäftigte brauchen tariflichen Schutz und gute Bezahlung
Auch Karl-Josef Laumann, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten und Bevollmächtigter für Pflege, betonte die herausragende Bedeutung der Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffes. Diese werde noch in dieser Legeislaturperiode umgesetzt. Die Erhöhung des Beitragssatzes um insgesamt 0,5 Prozent sei richtig. Die beabsichtigte Reform sei mit höheren Kosten sowohl in der häuslichen und ambulanten, der teilstationären, der stationären Pflege begleitet. Die Umstellung vom derzeitigen auf ein neues System sei eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Er hofft, dass 2015 die Gesetzgebung zur Reform der Pflegeversicherung abgeschlossen wird und somit eine Umstellung des Pflegesystems in 2017 machbar sei. Unbestritten sei es, dass weitere Anstrengungen notwendig seien, um den Fachkräftemangel zu beheben. Konkret nannte er die Einführung einer generalistischen Ausbildung, um das Ansehen des Berufsbildes in der Altenpflege zu stärken, sowie eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte.
Pflegereform: Akute Probleme teils nicht angegangen
Prof. Dr. Andreas Büscher, Hochschule Osnabrück, mahnte an, dass einige akute Probleme nicht angegangen würden: u.a. eine Attraktivitätssteigerung des Pflegeberufs ebenso wie eine bessere Information für Leistungsempfangende und die Bildung von lokalen Netzwerken in der Pflege. Stark ausgebaut werden müssen die Möglichkeiten der Beratung und Information u.a. zur Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege. Außerdem plädierte er für die „generalistische Pflegeausbildung“ in der Kranken- und Altenpflege.
In der Pflege ist noch vieles zu tun
Gernot Kiefer, Vorstandsmitglied des GKV-Spitzenverbandes, betonte die Notwendigkeit einer soliden durch Feldstudien abgesicherte Umsetzung des neuen Begriffs der Pflegebedürftigkeit, um ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten und für die Kassen einen koordinierten Übergang ins neue System zu ermöglichen. Verbessert werden müsse auch die finanzielle Ausstattung der Kommunen, damit diese ihrer Aufgabe zur Bereitstellung der entsprechenden Infrastruktur besser nachkommen können.
Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes, bestätigte, dass der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff das System der Pflege grundlegend ändern wird. Das System werde damit für alle Beteiligten gerechter und leichter nachvollziehbar. In den meisten Fällen käme es bei der Neueinstufung von Pflegebedürftigen zu einer für die Betroffenen besseren Einstufung kommen. Die Bestandteile einer „großen Pflegereform“ muss von der Politik zügig und sorgfältig umgesetzt werden.
Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, kritisierte die nicht ausreichende Pflege-Infrastruktur in den Kommunen. Die unzureichende Dynamisierung der Pflegeleistungen sei der Grund dafür, warum die Zahl der Sozialhilfeempfangenden unter den Leistungsempfangenden der der Pflegeversicherung weiter ansteige. Er plädierte dafür, auch Gelder aus der Pflegeversicherung für die Verbesserung der Infrastruktur in der Pflege zu nutzen.
Herbert Weißbrod-Frey, Leiter des Bereichs Gesundheitspolitik bei ver.di, unterstrich die positiven Aspekte der neuen Pflegereform, u.a. die gesellschaftlich akzeptierte Beitragserhöhung sowie die Vorgabe Tariftreue nicht mehr als „unwirtschaftlich“ zu betrachten. Er kritisierte aber auch den Vorsorgefonds als „unnütz“, da das Geld heute zur Finanzierung der Pflege-Infrastruktur gebraucht werde.
Die Vorträge von Prof. Andreas Büscher: "Bestandsaufnahme. Pflegereform aus wissenschaftlichem Blickwinkel. Was fehlt noch?", von Werner Hesse, Paritätischer Wohlfahrtsverband: "Perspektiven für eine gute pflegerische Versorgung", von Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes: "Wie läuft die Vorbereitung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs? sind auf der Homepage des DGB nachzulesen