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"Zeichen setzen - Mut machen" - Flüchtlinge in Deutschland

Unter dem Motto "Zeichen setzen - Mut machen" - Flüchtlinge in Deutschland fand am 15. November 2014 im Johanna und Jochen Klepper-Haus, Berlin-Mariendorf, bereits zum 7. Mal ein von Berliner Nagelkreuzzentren vorbereiteter „Versöhnungstag“ statt.  

Im Namen der Vorbereitungsgruppe wurden wir von Klaus Wirbel herzlich begrüßt, ebenso von Pfarrer Olaf Köppen, Ev. Kirchengemeinde Mariendorf. Die sich anschließende von Wolfgang Niemeyer gestaltete Andacht beschäftigte sich anhand des ausdrucksvollen Bildes "Ich war fremd - ihr habt mich aufgenommen" der Künstlerin Anne-Lise Hammann Jeannot mit Fragen wie „Wie kann jede und jeder einzelne von uns zu einer Kultur des Willkommens beitragen? Wie wertschätzt eine Aufnahmegesellschaft, was Menschen aus einem anderen Land, einer anderen Kultur mitbringen?“.

„Ein Flüchtling ein Migrant, aber nicht jeder Migrant ein Flüchtling“

Dr. Albrecht Klein, Amnestie International, verdeutlichte in hervorragender didaktischer Art allen Anwesenden, dass „ein Flüchtling ein Migrant, aber nicht jeder Migrant ein Flüchtling“ sei. Er klärte Begrifflichkeiten, verwies auf die Ursachen der Fluchtgründe, beschrieb Fluchtwege, erläuterte die jeweiligen Staatsgrenzen wie zum Beispiel beim Flughafen-Asylverfahren - und immer wieder die rechtlichen Gegebenheiten, in denen sich der Flüchtling statusmäßig hier in Deutschland bzw. in Europa befindet. Albert Klein fordert einen legalen Zugang zu Europa. Und was passiert wenn der Mensch in Deutschland anerkannt ist? Welche Vorkehrungen sind getroffen? An welchen können wir uns beteiligen? Er informierte uns über den Königsteiner Schlüssel, über die Anerkennungsverfahren von Flüchtlingen, und darüber, dass die Mitwirkung der meisten Flüchtlinge an den vielen staatlichen Stellen groß ist.

Nach Europa, nach Deutschland kommen vergleichsweise wenige Flüchtlinge

Zu meinem Input gehörten u.a. folgende Aussagen: Nach Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe befinden sich weltweit fast 51,2 Millionen Menschen auf der Flucht. Neun von zehn Flüchtlingen (86 Prozent) leben in Entwicklungsländern, da die meisten Flüchtlinge lediglich in ein angrenzendes Nachbarland fliehen. 33,3 Millionen Menschen sind sogenannte Binnenvertriebene. Sie fliehen innerhalb ihres eigenen Landes, ohne dabei internationale Landesgrenzen zu überschreiten. 16,7 Millionen von ihnen gelten nach völkerrechtlicher Definition als Flüchtlinge. Als Flüchtling im Sinne des Völkerrechts wird die Person definiert, die sich aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung außerhalb des Staates aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er bzw. sie besitzt, sowie Staatenlose, die sich deshalb außerhalb ihres gewöhnlichen Aufenthaltsstaates befinden.

Die globalen Statistiken vom UNHCR zeigten mit Stand Ende 2013 die sieben größten Herkunftsländer von Flüchtlingen auf:

Afghanistan - 2,5 Millionen

Syrien - 2,4 Millionen

Somalia - 1,1 Millionen

Sudan - 649.300

Demokratische Republik Kongo - 499.500

Myanmar - 479.600

Irak - 401.400

Und auch die fünf größten Aufnahmeländer von Flüchtlingen:

Pakistan - 1,6 Millionen

Iran - 857.400

Libanon - 856.500

Jordanien -  641.900

Türkei - 609.900

Diese Zahlen zeigen das dramatische Ausmaß von Flucht und Vertreibung aus der Heimat. Sie zeigen auch, dass Deutschland und die Europäische Union vor gewaltigen Aufgaben stehen, um Menschen vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Sexualität, politischer Überzeugung oder Angehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu schützen. Deutschland und die Europäische Union insgesamt dürfen die Augen davor nicht verschließen.

Unter den größten Aufnahmeländern ist kein Land der Europäischen Union bzw. kein Schengen-Vertrags-Land. In die Europäische Union bzw. nach Deutschland kommen vergleichsweise wenige Flüchtlinge.

Aufnahme von Flüchtlingen wird gesamtgesellschaftlich begrüßt

In den letzten 20 Jahren hat sich gesamtgesellschaftlich ein Wandel vollzogen. „Wir haben unsere Herzen geöffnet“. Ich nehme bei sehr vielen BürgerInnen die Bereitschaft zum Helfen wahr. Und dafür bin ich dankbar. Dass es dennoch Ewiggestrige gibt, Menschen gibt, die keinen Abstand nehmen können von Parolen wie „Das Boot ist voll“ und „mehr Flüchtlinge können wir nicht aufnehmen“ ist auch eine Wahrheit. Aber ich will hoffen: Die ersteren sind die Mehrheit.

Rechtslage und Realität für Flüchtlinge

In Deutschland bekommen Personen eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Flüchtling anerkannt werden. Sie müssen für die Antragsstellung in einem Erstaufnahmelager wohnen. Nach 3 Monaten endet diese Verpflichtung und es folgt eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften oder Wohnungen.

Aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen kam es gerade in den Erstaufnahmelagern in den vergangenen Monaten zu katastrophalen Zuständen. So waren mehrere Erstaufnahmelager kurzfristig geschlossen, weil sie schlichtweg überfüllt waren. Die SachbearbeiterInnen kamen mit der Bearbeitung der Anträge nicht mehr hinterher. Dies empfinde ich als beschämend. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kann ich keine Vorwürfe machen. Wir alle - insbesondere die Politik - hätten aufgrund der Vorkommnisse in Syrien, im Irak und anderswo sehr wohl abschätzen können, dass die Kapazitäten für Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland nicht (mehr) ausreichend sind.  Sie sind in den 90er Jahren reduziert worden.

Die SPD hat in den Koalitionsverhandlungen mit der Union Verbesserungen im Flüchtlingsrecht erreichen können. Das betrifft:

  • Die Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge und Geduldete nach bereits 3 Monaten
  • Sprachkurse
  • Stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelungen für langjährige Geduldete
  • Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen aus dem Ausland
  • Weitgehende Abschaffung der Residenzpflicht
  • Besserer Schutz von Jugendlichen im Asylverfahrensrecht

Verbesserungen im Asylbewerberleistungsgesetz

  • Die Kosten für Wohnung und Heizung werden vom Bund übernommen. Die Länder und Kommunen entscheiden über die Form der Leistungsausgabe an die Flüchtlinge.
  • Sachleistungen - zum Beispiel in Form einer Gemeinschaftsverpflegung, Putzmitteln oder Bekleidung - bei der Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften sind unter Berücksichtigung des konkreten Bedarfsindividuell festzusetzen.
  • Allen Menschen, die als Flüchtlinge aus Drittstaaten nach Deutschland gekommen sind, steht auch Bargeld zu.
  • AsylbewerberInnen, die außerhalb von Erstaufnahmeeinrichtungen leben, können die Leistungen zum Lebensunterhalt vollständig über Geldleistungen erhalten. Diese Geldleistungen setzen sich aus dem Bargeldbedarf und dem notwendigen Bedarf(Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege, Gebrauchs- und Verbrauchsgüter) zusammen. Alleinstehenden außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen steht für den notwendigen Bedarf 212 Euro und ein Bargeldbedarf von 140 Euro monatlich zu.
  • Die sogenannte Wartefrist - Zeit, in der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden - wird von 48 Monaten deutlich auf 15 Monate gekürzt. Zukünftig werden also schneller Leistungen entsprechend der Sozialhilfe gewährt.
  • Kinder und Jugendliche erhalten vom ersten Tag ihres Aufenthaltes Leistungen für Bildung und Teilhabe.
  • Menschen mit humanitärem Aufenthaltstitel, die bereits länger als 18 Monate in Deutschland leben oder Opfer von Menschenhandel und Arbeitsausbeutung sind, steht bei Bedürftigkeit Grundsicherung oder Sozialhilfe zu. Der Bund übernimmt diese Kosten. Länder und Kommunen werden 2015 voraussichtlich um 31 Millionen Euro, 2016 um 43 Millionen Euro entlastet.
  • Flüchtlinge mit gesundheitlichen Problemen haben in Notfällen ein Recht auf Versorgung - auch wenn sie nicht krankenversichert sind. ÄrztInnen und Krankenhäuser sind verpflichtet zu helfen. Die Leistungsträger sind in der Pflicht, die Kosten zu erstatten.

Vorsorgend in Stabilität und Frieden investieren

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier fordert eine „Investierende Außenpolitik“ und benennt dazu drei Schwerpunkte:

Erster Schwerpunkt ist die Stärkung von Staatlichkeit. Die fragilen Staaten von heute sind die Krisenherde von morgen. Ihre staatlichen Funktionen (Justiz, Verwaltung, Gesundheit, Bildung) sollen ertüchtigt werden. „Wir wollen das Immunsystem dieser Staaten stärken - ihre eigene Abwehrkraft.“

Zweiter Schwerpunkt ist die Stärkung regionaler und multilateraler Strukturen zur Friedenssicherung. Ein Beispiel ist unsere wachsende Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union (AU), bei der wir zum Beispiel afrikanische Polizisten für Peacekeeping-Missionen ausbilden.

Der dritte Schwerpunkt liegt auf der Friedensmediation und friedlichen Konfliktlösung. Zum Beispiel beim Nationalen Dialog in der Ukraine, beim neu geschaffenen Ministerium zur Versöhnung in Mali, im erbitterten Nahost-Konflikt und der Zusteuerung auf eine Zwei-Staaten-Lösung.

Asyl in der Kirche e.V. Berlin       

Bernhard Fricke, Vorsitzender des Vereins Asyl in der Kirche e.V. Berlin, erläuterte das Selbstverständnis und die Aktivitäten die die ökumenische Initiative Asyl in der Kirche seit 1983 in Berlin leistet. "Der Verein Asyl in der Kirche setzt sich zum Ziel, Flüchtlinge unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Religion oder Weltanschauung zu unterstützen, auf ihre Lage aufmerksam zu machen, ihre Interessen öffentlich zu vertreten und zu einer Verständigung zwischen ihnen und der hiesigen Bevölkerung beizutragen. In der Wahrnehmung seiner Aufgaben handelt der Verein aus christlicher Verantwortung. Er versteht sich als ökumenischer Zusammenschluss und tritt für religiöse Toleranz ein." (aus der Satzung des Vereins)

Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF)  

Dr. Martin Müller-Follert, Kirchenkreis Tempelhof, verwies auf die zahlreichen Aktivitäten, die das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF). So beteiligt sich das EJF aktuell an der Berliner Kampagne "Vermieten Sie Wohnraum - helfen Sie Flüchtlingen!". Außerdem ist das EJF Betreiber der Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen Senioreneinrichtung „Georg-Kriedte-Haus“ in Lichtenrade. Seit dem 18. September sind hier die ersten Menschen, Erwachsene und viele Kinder, untergebracht. Bis zum  Frühjahr soll Platz für bis zu 250 Menschen geschaffen werden. Derzeitig kommt die Hälfte der Flüchtlinge aus Serbien und Bosnien, die andere Hälfte kommt aus Syrien, Afghanistan und weiteren Staaten der arabischen Welt. Diese Gruppe der Flüchtlinge wird sich in der nächsten Zeit deutlich erhöhen.

Notunterkunft für Flüchtlinge und Asylsuchende

Sehr kompetent und umfassend beantwortete Frau Martina Brieske, Notunterkunft für Flüchtlinge und Asylsuchende, die vielen Fragen zur Lebensrealität von Flüchtlingen in einer der ersten Anlaufstellen in Deutschland.

Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland

Ich danke den Mitgliedern der Nagelkreuzbewegung für diesen Versöhnungstag. Sie haben dazu beigetragen, dass BürgerInnen ausführliche Informationen erhielten verbunden mit der Überlegung „Was können wir tun?“

Trotz der völligen Zerstörung Coventrys durch deutsche Fliegerangriffe wurden hier 1942 die Völker zu Vergebung und Versöhnung aufgerufen. So entstand die mittlerweile weltweit agierende Nagelkreuz-Bewegung.