„Die Zukunft ist offen - voll neuer Möglichkeiten, aber voller Gefahren“ - so lautet der erste Satz des sozialdemokratischen Grundsatzprogramms, wie es die Delegierten des Bundesparteitages im Hamburger Grundsatzprogramm unter der Überschrift „Fortschritt und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert“ beschlossen haben. Der Absatz wird wie folgt fortgesetzt: „Deshalb müssen Fortschritt und soziale Gerechtigkeit demokratisch erkämpft werden. Den Menschen verpflichtet, in der stolzen Tradition des demokratischen Sozialismus, mit Sinn für Realität und mit Tatkraft stellt sich die deutsche Sozialdemokratie in der Welt des 21. Jahrhunderts ihren Aufgaben. Für dauerhaften Frieden und für die Sicherung der ökologischen Lebensgrundlagen. Für eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft. Für die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller Menschen – unabhängig von Herkunft und Geschlecht, frei von Armut, Ausbeutung und Angst.“
„Die Zukunft ist offen - voll neuer Möglichkeiten, aber voller Gefahren“ lautete auch der erste Satz der Rede von Dr. Joseph Muscat, Premierminister von Malta bei der Veranstaltung „Mehr soziale Demokratie für Europa“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung hielt der maltesische Premier am 4. Februar 2015 eine Rede “Challenges for the development of a social, just and open society in the European Union” in der FES-Reihe Eminent Lecture Series „Mehr soziale Demokratie für Europa“. Sein Beitrag wurde kommentiert von Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt.
Joseph Muscat ist seit März 2013 Premierminister von Malta und Vorsitzender der 1921 gegründeten sozialdemokratischen Malta Labour Party (MLP; maltesisch Partit Laburista, PL). Er führte die sozialdemokratische Partit Laburista zum Wahlsieg. In seinem Statement erinnerte Muscat, dass die SPD vor 55 Jahren ihr Godesberger Programm beschlossen hatte und sich damit programmatisch neu ausrichtete. Das 2007 beschlossene Hamburger Programm wurde unter gänzlich anderen Rahmenbedingungen beschlossen. Während das Godesberger und das Berliner Programm unter dem Eindruck des Kalten Krieges entstanden sind, wurde das Hamburger Programm in einer anderen internationalen Konstellation geschrieben. Für Muscat bringt dieses der Satz: „Die Zukunft ist offen – voll neuer Möglichkeiten, aber voller Gefahren“ deutlich zum Ausdruck. Er leitet daraus ab: „Wir brauchen mehr Offenheit für neue Ideen!“.
Gute ökonomische Entwicklung auf Malta
Im Jahr 2014 feierte Malta mehrere Jubiläen: 50 Jahre Unabhängigkeit, 40 Jahre Republik und 10 Jahre Beitritt in die Europäische Union. Und Malta erzielte 2014 ein Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent. Das liegt deutlich über dem EU-Durchschnitt. Muscat hob hervor, dass Malta gut durch die Wirtschaftskrise durchgekommen ist und auch die Arbeitslosigkeit mit 5,8 Prozent auf einem europaweit sehr niedrigen Stand liegt. Er betonte, dass dieser Erfolg nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis harter Arbeit und kluger politischer Strategien ist. So zielt die maltesische Wirtschaftspolitik darauf ab, attraktiv für ausländische Direktinvestitionen zu sein. Das betrifft vor allem die Felder von industriellen, internetbasierten und finanziellen Dienstleistungen sowie Logistik.
Für Malta ist Deutschland traditionell ein großer Handelspartner. Malta erzielt sogar einen Handelsbilanzüberschuss, das heißt Malta exportiert mehr Produkte nach Deutschland als es aus Deutschland importiert. In Malta sind 50 deutsche Unternehmen aktiv, zum Beispiel Lufthansa oder Playmobil.
Für Muscat bildet Wirtschaftswachstum die Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit und BürgerInnenrechte. Bereits in den 70er Jahren führte die maltesische Labour Partei den Mindestlohn ein. Aktuell kämpft die Labour Party arbeitsmarktpolitisch insbesondere gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse.
Große Fortschritte in der Menschenrechts- und Gleichstellungspolitik
In der Menschenrechtspolitik macht Malta dank der Labour-Regierung große Fortschritte im Bereich der Gleichstellung und Antidiskriminierung: Dies betrifft die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Trans*Menschen und intersexuellen Menschen. Malta hat mit dem „Civil Unions Act 2013“ die zivilrechtliche Lebenspartnerschaft eingeführt und somit die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften inklusive Adoptionsrecht vollzogen. Außerdem ist die Verfassung um das Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung einer Person ergänzt worden. Im Personenstandsrecht hat Malta neben männlich/weiblich die dritte Kategorie x für intersexuelle Menschen eingeführt.
Die Istanbul-Konvention des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt hat Malta bereits unterzeichnet – Deutschland ist noch nicht soweit.
Ein weiteres Topthema der sozialdemokratischen Regierung ist aktuell die rechtliche und faktische Inklusion von Menschen mit Behinderungen.
Gelebte Europäische Solidarität
Aufgrund seiner geografischen Nähe zu Libyen und Tunesien nimmt Malta überproportional viele Flüchtlinge auf. Hier forderte Premier Muscat mehr europäische Solidarität ein. Selbstverständlich sei es wichtig, sich dem Konflikt in der Ukraine zuzuwenden. Dieses dürfe aber nicht dazu führen, dass der Süden und die europäischen Nachbarschaftspolitik im Mittelmeerraum vernachlässigt werden.
In seinem Statement zur Rede Muscats bedankte sich Staatsminister Michael Roth für die aktive Flüchtlingspolitik in Malta. Er betonte, dass Europa für viele der Flüchtlinge ein Hoffnungsversprechen darstelle. Die ursprüngliche Bedeutung des Namens von Malta (Malet) sei „sicherer Hafen“. Malta hat aufgrund seiner geografischen Lage den größten Migrationsdruck innerhalb der Europäischen Union. Es braucht aber mehr europäische Hilfe. Derzeit nehmen sechs EU-Länder mehr als drei Viertel der Flüchtlinge auf und zehn EU-Länder nehmen so gut wie gar keine Flüchtlinge auf. „Wir brauchen einen solidarischen Verteilungsschlüssel in Europa“, forderte Roth, der sich nach Größe, Bevölkerungszahl und wirtschaftlicher Aufnahmefähigkeit bemisst. Von herausragender Bedeutung sei auch, dass innerhalb der EU die gleichen humanitären Standards für Flüchtlinge eingehalten werden.
Neustart der europäischen Nachbarschaftspolitik
Sowohl Muscat als auch Roth waren sich einig, dass es einen Neustart der europäischen Nachbarschaftspolitik braucht. Unser Blick darf sich nicht ausschließlich ostwärts Richtung Ukraine richten, betonte Roth. Wir müssen unser Augenmerk auch Richtung Süden lenken. Derzeit gleitet Libyen in einen gefährlichen Staatszerfall hinein. Bei der Neuausrichtung der europäischen Nachbarschaftspolitik kann Malta als ein Brückenkopf der Europäischen Union zu den Maghreb-Staaten eine sehr wichtige Rolle spielen.
Fazit: Malta kann mithelfen, dass Europa solidarischer und gerechter wird, denn in Europa kommt es nicht nur auf die Größe eines Landes an!