Kultur kann Berührungsängste abbauen, Begegnungen ermöglichen und Verständnis für Flüchtlingen fördern. Das zeigte das Opernprojekt "Così fan tutte" mit syrischen Flüchtlingen am 21. Februar 2015 im Berliner Radialsystem. Vor der abendlichen Aufführung nahm ich der Podiumsdiskussion „Integration durch Kultur teil“. Danach fand ein kulturelles Vorprogramm mit Gedichten, Gesängen und szenischen Aufführungen der aus Syrien stammenden Flüchtlinge statt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Stuttgarter Verein Zuflucht Kultur e.V.
Fast zehn Millionen Menschen sind meist unter traumatischen Umständen auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Einige von ihnen haben in Deutschland ein vorübergehendes Zuhause gefunden.
Integration durch Kultur - Begegnungen mit Flüchtlingen schaffen
Mit diesem richtungsweisenden Opernprojekt setzt sich der Verein Zuflucht Kultur e.V. für das Gelingen von Begegnung ein. Gemeinsam erarbeiten professionelle KünstlerInnen, BürgerInnen und Flüchtlinge die Mozartoper "Così fan tutte" für die Bühne. Das Projekt führt Menschen unterschiedlicher Herkunft mit dem gemeinsamen Ziel der Aufführung zusammen. Jenseits sprachlicher und kultureller Barrieren gibt es den Mitwirkenden die Möglichkeit, ihrem Schicksal künstlerisch Ausdruck zu verleihen. "Così fan tutte" setzt Beteiligung gegen Langeweile, Austausch gegen Schweigen, Interesse gegen Ignoranz und Verblendung. Viele der zur Aufführung nach Berlin gereisten 72 syrischen Flüchtlinge leben erst seit wenigen Monaten in Oggelsbeuren (Landkreis Biberach, Baden-Württemberg).
Bitte Deutsche bewahrt euren Frieden
Der syrische Chor Zuflucht hatte mit seiner Friedensbotschaft für die ganze Welt bereits einen viele Menschen bewegenden Auftritt in der Fernsehsendung „Die Anstalt“. Sichtlich bewegt waren auch viele der Zuhörenden bei diesem Lied, so auch die von mir eingeladenen Gäste von Al Nadi - Treffpunkt, Beratung und Kurse für arabische Frauen und von der Assyrischen Union Berlin e.V..
Integration durch Kultur
Zum Rahmenprogramm der Opernaufführung gehörte die Podiumsdiskussion zum Thema „Integration durch Kultur“ mit PolitikerInnen vieler Parteien sowie Ahmad Osman, IT-Spezialist, syrischer Flüchtling aus dem Landkreis Biberach. Moderiert wurde die Diskussion von Cornelia Lanz und Dr. Simon Deichsel. Cornelia Lanz ist Opernsängerin und Vorsitzende des Vereins Zuflucht Kultur e.V. Die Veranstaltung wurde gefördert von der Friedrich-Ebert-, der Friedrich-Naumann- und der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Ich bedanke mich bei den vielen Ehrenamtlichen bundesweit, die für Begegnungen mit Alteingesessen und Neuankommenden sorgen. Richtig ist, dass diese Begegnungen nicht allein durch Ehrenamtliche geleistet werden können. Es müssen auch strukturelle Formen gefunden werden, um diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung zu bewältigen.
Zu den Menschenrechten gehört die kulturelle Teilhabe. Darauf verwies eine der GründerInnen der Kulturloge Berlin. Kultur gebe uns die Kraft miteinander zu leben. Daher sei es unverzichtbar, kulturelle Räume zu schaffen, zu denen alle Menschen Zugang haben. Das von Kulturschaffenden gegründete Bündnis MY RIGHT IS YOUR RIGHT - Für die Rechte von Geflüchteten geht im März dieses Jahres erstmals in größerem Rahmen an die Öffentlichkeit. Die Zivilgesellschaft wird am 21. März, dem „Internationalen Tag gegen Rassismus“, zu Aktionen für einen humanen und respektvollen Umgang mit Geflüchteten in Berlin aufgerufen. Für mich ist der vom Bezirksamt Schöneberg im Jugend Museum Schöneberg praktizierte Ansatz, Kinder und Jugendliche als ProduzentInnen ihrer Geschichte wahrzunehmen, ein gewichtiger struktureller Ansatz.
Leider gingen in der Diskussion auf dem Podium die Potentiale von Kunst und Kultur und der sie schaffenden Personen sehr schnell „verloren“. Es wurde „grundsätzlich“ diskutiert zu Themen, die in den kommenden Monaten auch die Debatten im Deutschen Bundestag bestimmen werden, u.a.:
- ein neues Zuwanderungsrecht
- europäische und deutsche Migrationspolitik
- die weitere Unterstützung von Kommunen
- sichere Herkunftsländer.
Deutlich differenzierbar nach „rechts“ und „links“ waren die jeweiligen Haltungen der PolitikerInnen. Ich fand es gut, dass diese Ritualisierung seitens des Publikums kritisiert wurde. Es gab auch die Ermahnung, dass Flüchtlinge nicht danach eingeschätzt werden dürften, ob sie mehr oder weniger „nützlich“ sind. Sie alle sind Menschen in Not.
Ein Fazit war: Es braucht eine breite politische Debatte darüber, was denn eigentlich die „deutsche Identität“ ist. Vielleicht können uns die Fragen der EinwanderInnen und der Neuankommenden bei dieser Definierung helfen. Ein Sozialarbeiter verwies darauf, dass ein interkultureller Ansatz in allen Bereichen notwendig sei. Viele Jugendliche mit Migrationsbiografie fühlten sich nicht angenommen. Notwendig sei das Anstreben einer inklusiven Gesellschaft. Gewünscht wird eine demokratische Integrationskultur. Deshalb seien Projekte wie Arrivo Berlin, eine Ausbildungs- und Berufsinitiative zur Integration von geflüchteten Menschen in den Berliner Arbeitsmarkt, bedeutsam. Flüchtling sein ist kein Beruf.
Sprache macht Politik
Kunst und Kultur wird von allen als sehr bedeutsame Möglichkeit der Begegnung aber auch die Positionierung angesehen. Wie bedeutsam Kultur ist, zeige sich daran, dass „Kultur“ als Begrifflichkeit überall auftauche: Willkommens- und Akzeptanzkultur, Multikulti, Leitkultur um nur einige zu nennen.
Sind Flüchtlinge in Deutschland eine „Last“ bzw. eine Belastung oder eine Bereicherung? Ist Deutschland das „Flüchtlingsheim Europas“? Auf jeden Fall gilt: Mit Sprache wird Politik gemacht! Wer nur auf die absoluten Zahlen sieht, unterschlägt wesentliche Informationen: Richtig ist, dass Deutschland in absoluten Zahlen die meisten Flüchtlinge in Europa aufnimmt, unter Einbeziehung zum Beispiel der EinwohnerInnenzahl in Europa (je nach Berechnung) aber erst am fünfter, sechster, siebter Stelle liegt. Selten erwähnt wird auch: Von den laut UN-Flüchtlingskommissariat rund zehn Millionen vor dem Bürgerkrieg in Syrien fliehenden Menschen bleiben die meisten in den Nachbarstaaten. So hat der Libanon mit seinen rund vier Millionen EinwohnerInnen mehr als eine Million Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, Tendenz steigend. Wir in Deutschland sind noch sehr sehr weit davon entfernt, dass bald mehr als ein Drittel der Wohnbevölkerung Flüchtlinge sind. Von wirklicher Überforderung kann im Libanon gesprochen werden, aber nicht in einem Staat von über 80 Millionen Menschen wie in Deutschland. Damit möchte ich auf keinen Fall die Sorgen in den Kommunen kleinreden - wir haben hier gemeinsam Lösungen zu finden.
So schnell wie von einigen von Überforderung gesprochen wird, so schnell schwingt auch eine Aufteilung in „willkommene“ und „weniger willkommene“ Flüchtlinge mit. Im Jahr 2014 wurden 202.834 Asylanträge, gestellt. Ich lehne weitere Diskussionen zur Bestimmung sicherer Herkunftsländer ab.
Cosi fan tutte
In der 1790 im Wiener Burgtheater erstmals aufgeführten, ob ihres Inhalts durchaus umstrittenen Oper „Cosi fan tutte“ von Wolfgang Amadeus Mozart müssen zwei junge Paare erkennen, dass es in der Liebe keine Grenzen gibt und dass auch vermeintliche Grundpfeiler wie die Ehe nicht unumstößlich sind. Es geht also um Liebe, Treue und Verrat, um Liebschaften, Affären und Ehebruch. Am Ende steht aber ein Loblied in C-Dur: Glücklich sei der Mensch, der alles nur von der besten Seite nimmt und trotz der Wechselfälle des Lebens, über die er lacht, die Ruhe bewahrt.
Für diese Inszenierung wurde die Handlung aus dem Neapel des 18. Jahrhunderts in eine heutige Flüchtlingseinrichtung verlegt. Das Ensemble besteht aus professionellen KünstlerInnen und rund 30 syrischen Flüchtlingen, einige kümmern sich um Bühnenbild oder die Beleuchtung oder um die Maske. Andere treten auch selber als SängerInnen auf, da immer wieder syrische Tänze und Lieder in die Oper eingestreut sind. Jenseits sprachlicher und kultureller Barrieren hatten die Mitwirkenden so die Möglichkeit, ihrer Geschichte künstlerisch Ausdruck zu verleihen. "Così fan tutte" setzt Beteiligung gegen Langeweile, Austausch gegen Schweigen, Interesse gegen Ignoranz und Verblendung.