Hauptmenü

Reproduktion: Neue Freiheit, alte Zwänge?

Wer an der FES-Veranstaltung zum Weltfrauentag 2014 teilnahm, hat noch die Aussage in Erinnerung: Die jungen Frauen sind wütend. Wütend, da sie Perfektion in allen Lebens- und Arbeitsbereichen leisten sollen - bei einer 300 Prozent-Anstrengung Lächeln und Kinder inklusive. Wütend, weil sich die gesellschaftlichen Strukturen nicht so verändern, wie es angesichts der Vielfalt der Lebensläufe notwendig ist. Die Frauen sind wütend, da der Glaube „Alles ist möglich“ sich als Lüge entpuppt hat.

Wie stur und an traditionellen Zöpfen hängend manche Menschen sind, zeigt aktuell die Auseinandersetzung zwischen Manuela Schwesig (SPD), Bundesfrauenministerin, und Volker Kauder, CDU-Fraktionsvorsitzender. Angesichts von 22 Prozent Lohnunterschied zu Lasten der Frauen will Schwesig noch in diesem Jahr das im Koalitionsvertrag vereinbarte "Gesetz zur Entgeltgleichheit von Frauen und Männern" auf den Weg bringen. Und was sagt Kauder dazu: "In diesem Jahr wird das nichts mehr". Ohnehin komme nur eine Regelung für Betriebe mit mehr als 500 Mitarbeitern infrage. Die meisten Frauen arbeiten aber in Betrieben mit sehr viel weniger Beschäftigten.

Auf diese und andere Gleichstellung behindernde Faktoren verwies Christina Schildmann in ihrer Eröffnung der Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zum Internationalen Frauentag 2015 hin. Die Veranstaltung im gut gefüllten Atrium der Friedrich-Ebert-Stiftung stand unter dem Titel „Reproduktion: Neue Freiheit, alte Zwänge?“.

Die Leiterin des Forums Politik und Gesellschaft der FES betonte, dass neue Diskriminierungsfaktoren, wie z.B. der Cypersexismus, hinzugekommen sind. Nicht unerwähnt blieb eines der Feindbilder der AfD: die Gleichstellung und Gender Mainstreaming. Kein Wunder also, dass junge Frauen wütend sind.

Auch SoziologInnen beschäftigen sich mit der „überforderten Generation“ der jungen Frauen. Ihr Pragmatismus, ihre Vernunftorientierung, auch ihre Skepsis gegenüber großen Ideen und Heilsversprechen basieren … auf der zunehmenden Einsicht, dass sich trotz einer glücklichen und wohlhabenden Kindheit, hohen Bildungsqualifikationen und einer reichen Gesellschaft das Versprechen der Kindheit vermutlich nicht einlösen lässt, sich ihre Zukunft nach den eigenen Möglichkeiten zu gestalten.".

Nun verspricht der medizinische Fortschritt die Lösung des Vereinbarkeitsdilemmas durch Vertagung: Unter dem Schlagwort »Social Freezing« wird in Deutschland nun eine höchst kontroverse geschlechterpolitische Debatte geführt. Hier scheiden sich die Geister. Ich kenne nur Überzeugte: überzeugt dagegen oder überzeugt dafür.

Reproduktive Rechte als Kardinalthema der Frauenbewegung

Der Kampf um die reproduktiven Rechte war und ist ein Kardinalthema der nationalen und internationalen Frauenbewegung. Die Soziologin Prof. Dr. Elisabeth Beck-Gernsheim zeichnete die Bedeutung der Einführung der Pille vor über 50 Jahren nach und stellt diese in einen Zusammenhang mit Social Freezing. Beck-Gernsheim ist Senior research fellow am Institute for Cosmopolitan Studies der Universität München.

Die eigene Fruchtbarkeit steuern zu können, hat Frauen Selbstbestimmung über ihren Lebenslauf gegeben. Auch die gesellschaftspolitische Bildungsreform, angestoßen durch die SPD, hat zu mehr Wahlfreiheit geführt. Aber der Fortschritt hat seinen Preis, die zeitliche Verschiebung des Kinderkriegens eine Kehrseite: die biologischen Voraussetzungen verändern sich (übrigens auch bei den Männern!), die Fruchtbarkeit lässt mit steigendem Alter nach. Aber die Arbeitswelt hat sich auch verändert: globaler, mobiler, mit immer mehr Tempo, viele Beschäftigungsverhältnisse sind heute risikoreicher und instabiler als früher. Anstelle beschäftigungspolitischer Kontinuität heißten die neuen Gebote Flexibilität und Deregulierung. Hierfür sind die Bedürfnisse von Kindern ein Hemmschuh, das Kind wird zum „Störfall“. Beck-Gernsheim ist überzeugt: Es gibt keinen optimalen Zeitpunkt für ein Kind.

Soll der Kinderwunsch mittels Social Freezing dann später realisiert werden, beginnt eine medizinische (Hormon-)Behandlung. Mit dem Einfrieren der Eizelle ist es schließlich nicht getan, auch finanziell nicht. Die neue Freiheit können nur Frauen mit einem hohen Einkommen nutzen. Auch ist das Erfolgsversprechen, das Kinderkriegen geht mit Social Freezing zu jeder Zeit in Erfüllung, ein Falsches. Nur 8 Prozent der eingepflanzten Eizellen führen tatsächlich zu einer Geburt.

Elisabeth Beck-Gernsheim hat Verständnis für das Vereinbarkeitsdilemma junger Frauen. Sie kritisiert die Gesellschaft mit ihrem Credo: Work now, live later. Oder: Die besten Jahre für die Karriere, die zweitbesten für die Familie.

Vereinbarkeit als ungelöstes Problem

Die anschließende Podiumsdiskussion zwischen Prof. Dr. Elisabeth Beck-Gernsheim und der Autorin und Filmemacherin Sarah Diehl („Die Uhr, die nicht tickt“) mit der Moderatorin Dr. Julia Kropf machte deutlich: die Glaubenssätze „Es gibt einen universellen Kinderwunsch“ und „Zum Kindererziehen braucht es die heterosexuelle Kleinfamilie“ sind nicht für alle Frauen stimmig. Früher habe es geheißen, dass es ein ganzes Dorf brauche, um Kinder zu erziehen - heute ist es die Kleinfamilie. Bemerkenswert sei, dass das Bedürfnis nach anderen Gemeinschaftsformen des solidarischen Zusammenlebens ansteige.

Die Frauen auf dem Podium waren sich einig: Es gibt noch keine Wahlfreiheit für die Frauen. Kinderlosen Frauen ginge es durchaus auch nicht nur um Karriere. Vielmehr geht es um selbstbestimmte Freiräume.

Sarah Diehl stellt die Frage, ob das Social Freezing nicht nur eine der vielen Massnahmen sei, Karriere und Kind zu vereinbaren. Dahinter stecke eine „Logik der kapitalistischen Verwertung“. Sie stellt auch die Frage, ob die Kritik am Social Freezing nicht ehr der Angst vor zu viel weiblicher Unabhängigkeit geschuldet sei als dem Bedürfnis, Frauen zu schützen. Wer hat das Recht auf Reproduktionsmedizin, also auf ein Kind?

Die Veranstaltung berührte viele Aspekte und warf neue Fragen auf. Die Frauenbewegung hat ein altes neues Thema. Und die Politik darf nicht dabei stehen bleiben, das Problem der Vereinbarkeit zwischen den Lebensbereichen nur häppchenweise angehen zu wollen. Herr Kauder, wir Sozialdemokratinnen bleiben am Ball!

Social Freezing bezeichnet das vorsorgliche Einfrieren von unbefruchteten Eizellen ohne medizinischen Grund. Diese Möglichkeit gibt Frauen, die sich ihren Kinderwunsch aktuell nicht erfüllen können (etwa weil ihnen der passende Partner dazu fehlt), größere Chancen auf eine Schwangerschaft jenseits des Alters von etwa 35 Jahren. Ursprünglich war die Eizell-Konservierung für junge, an Krebs erkrankte Patientinnen gedacht, die sich einer Chemotherapie unterziehen müssen.