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Menschenrechtskommissar fordert stärkere „Investitionen in die Menschenrechte“

Anlässlich seines mehrtägigen Deutschlandbesuchs traf der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, am 6. Mai 2015 die Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft. Der 1949 gegründete Europarat mit Sitz in Straßburg, dem derzeit 47 Staaten angehören, setzt sich vor allem für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ein.

In den Tagen zuvor besuchte Nils Muiznieks Ersteinrichtungen- und Übergangswohnheime für Flüchtlinge und AsylbewerberInnen, Einrichtungen zur Stärkung der Menschenrechte in Deutschland wie das Deutsche Institut für Menschenrechte, die Antidiskriminierungstelle des Bundes sowie zahlreiche Nichtregierungsorganisationen in verschiedenen Bundesländern. Des weiteren führte er Gespräche mit BeamtInnen des Bundesnachrichtendienstes, des Innenministeriums und mit der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Aydan Özoğuz.

Die untersuchten Schwerpunktthemen während seines Besuches waren

  • Migration und Integration
  • Rassismus und Intoleranz
  • Situation der Menschenrechtsinstitutionen.

Über die Verfolgung und Inhaftierung zahlreicher prominenter MenschenrechtsaktivistInnen in der Kaukasus-Republik Aserbaidschan äußerte sich Muiznieks besorgt. Unter ihnen sind auch zahlreiche ExpertInnen, die mit dem Europarat und anderen internationalen Organisationen zusammengearbeitet hätten - darauf habe bereits der Strässer-Report über Politische Gefangene in Aserbaidschan hingewiesen. Der heutige Beauftragte für Menschenrechte der Bundesregierung, Christoph Strässer, hat in seiner aktiven Zeit im Europarat einen kritischen Bericht bezüglich der Menschenrechtspolitik Aserbaidschans verantwortet. Muiznieks verwies ebenfalls darauf, dass in einer Reihe der 47 Mitgliedländer des Europarats - vor allem in Russland und Ungarn - kritische JournalistInnen und NGO-VertreterInnen zunehmend eingeschüchtert bzw. unter fragwürdigen Bedingungen strafrechtlich verfolgt werden.

Auch in Deutschland einen menschenrechtlich begründeten Flüchtlingsschutz umsetzen

Der Menschenrechtskommissar betonte, dass die Europäische Union sich zu einem menschenrechtlich begründeten Flüchtlingsschutz bekennt. Hierzu bildet die Europäische Union einen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, in dem das gemeinsame Europäische Asylsystem geregelt werde. Die Dublin II - Bestimmungen seien eine Fiktion, „they doesn´t work“. Nils Muiznieks plädiert für ein europäisches Quotensystem, nur so könne ein solidarisches und funktionierendes System bei der Aufnahme von Flüchtlingen geschaffen werden. Er votiert für europaweite „Minimalstandards“ bei der Integration insbesondere in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung und Zugang zum Arbeitsmarkt. Es sei notwendig, die Aufnahme und die Integration der AsylbewerberInnen zu verbessern - etwa durch Sprachkurse. Die ärztliche Versorgung in einigen Bundesländern sei "problematisch".

Das Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse des Staates, Migration zu steuern und den individuellen Schutzinteressen der Flüchtlinge ließe sich nicht einfach auflösen. Deutschland könne seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen im Umgang Schutzsuchenden nur dann gerecht werden, wenn es die Menschen als Individuen fest im Blick behalte und die Würde eines jeden einzelnen Menschen achte.

Er registriere, dass sich diesbezüglich in Deutschland in den vergangenen 20 Jahres vieles positiv entwickelt habe. Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte und die regelmäßigen Demonstrationen gegen eine angebliche "Islamisierung" Europas seien aber  "klare Anzeichen" für ein Anwachsen der Intoleranz bis hin zum Fremdenhass in Deutschland. Seitens der Bundesregierung müssten aber noch deutlich mehr Anstrengungen im Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit erfolgen.

Stärker in eine „Infrastruktur der Toleranz“ investieren

Deutschland muss mehr in eine „Infrastruktur der Toleranz“ investieren. Regelrecht schockiert zeigte sich der Menschenrechtskommissar über die „kleine Ausstattung“  personeller als auch finanzieller Art sowohl beim BAMF, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, als auch bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Er plädiert für mehr Unabhängigkeit des Amtes vom Staat und für ein Antidiskriminierungsgesetz, welches sich nicht nur auf den privaten Sektor bezieht.

Die Existenz und die Morde der rechtsextremen terroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) habe eine "institutionelle Voreingenommenheit und andere ernste Unzulänglichkeiten bei Polizei und Sicherheitsdiensten" an den Tag gebracht. Diese Erkenntnis habe in Deutschland wie eine „Atombombe im Kopf“ eingeschlagen - Muiznieks vermisste aber noch konkrete Konsequenzen: Die strafrechtliche Verfolgung von rassistisch motivierten Taten müsse durch konkrete Maßnahmen verbessert werden. Notwendig seien auch klare Anleitungen für Polizei und StaatsanwältInnen sowie Fortbildungskurse für RichterInnen.

Stärkung der Menschenrechtsinstitutionen und mehr Kontrolle der Geheimdienste

Die Justiz habe in anderen EU-Staaten größere Möglichkeiten, die Arbeit der Geheimdienste zu kontrollieren und gegebenenfalls einzuschränken, erklärte Menschenrechtskommissar Nils Muiznieks. Er hält die Kontrolle der Geheimdienste in Deutschland für unzureichend und fordert eine Stärkung des Kontrollsystems. Die parlamentarischen Kontrollgremien hätten nicht genug Befugnisse, außerdem hätten sie nicht genügend MitarbeiterInnen mit ExpertInnenwissen, um ihrer Rolle wirklich gerecht zu werden. In den Niederlanden haben die KontrolleurInnen jederzeit das Recht, Geheimdienst-Einrichtungen zu besuchen, dort mit MitarbeiterInnen zu sprechen und alle Akten einzusehen. Dies sei wichtig, damit die Abgeordneten wüssten, ob sie ein vollständiges Bild erhalten hätten oder nur das, was ihnen die Dienste zeigen wollen.

Hintergründe

Der Kommissar für Menschenrechte des Europarats unterstützt die Mitgliedstaaten des Europarats dabei, Mängel im System des nationalen Menschenrechtsschutz zu beheben. Hierzu unternimmt er Länderbesuche und veröffentlicht Berichte. Er fördert zudem die Erziehung zu Menschenrechtsbewusstsein, erteilt Ratschläge und Auskunft zu Fragen des Menschenrechtsschutzes und fördert die Arbeit nationaler Ombudspersonen. Die Amtszeit beträgt sechs Jahre. Seit April 2012 amtiert Nils Muižnieks (Lettland) als Menschenrechtskommissar. Er besuchte Deutschland zuletzt im Dezember 2013, um sich über die Situation syrischer Flüchtlinge zu informieren.

2014 war ein schlechtes Jahr für die Menschenrechte in Europa

In seinem Jahresbericht 2014 zieht der Menschenrechtsbeauftragte des Europarates für das vergangene Jahr eine düstere Bilanz: "2014 war ein schlechtes Jahr für die Menschenrechte in Europa". Tausende Menschen seien zu Tode gekommen - bei der Flucht über das Mittelmeer oder auch bei den Kämpfen in der Ostukraine. In einem Europa, das sich selbst als Raum der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie preise, hätten diese Menschen nicht sterben dürfen. Er kritisierte, dass viele europäische Staaten zu wenig hätten, um die Mittelmeer-Flüchtlingstragödie zu vermeiden.

Bekämpfung jeder Form von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

Interessierte können sich in Bezug auf bereits vorhandene legislative und exekutive Maßnahmen zur Bekämpfung jeder Form von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auch anhand der von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI)  veröffentlichten Länderberichte sachkundig machen. Jeder Mitgliedstaat wird einer nach dem anderen turnusmäßig darauf untersucht. Der letzte ECRI-Bericht über Deutschland wurde 2014 veröffentlicht. Die neue fünfte Runde der Länderberichte konzentriert sich auf vier Themen, die alle Mitgliedstaaten betreffen: (1) Rechtsfragen, (2) Hassreden, (3) Gewalt, (4) Integrationspolitik und eine Reihe von Unterthemen, die mit einem dieser vier Themen verbunden sind. In diesem Zusammenhang werden in der fünften Prüfungsrunde auch die  nach der vierten Prüfungsrunde gemachten Empfehlungen nachverfolgt, die nicht oder nur teilweise umgesetzt wurden.