Am 8. Mai 2015 jährte sich zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges. Trotz zahlreicher Gedenkfeiern zur Befreiung Deutschlands und Europas vom Nationalsozialismus gibt es noch immer Bevölkerungsgruppen, die aus dem kollektiven Gedächtnis herausfallen. Ich meine die Besatzungskinder, die in Deutschland zwischen 1945 und 1955 bis zu 250 000 geborenen Kinder, die eine einheimische Frau zur Mutter und einen Besatzungssoldaten aus den USA, der Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich zum Vater haben. In Österreich, wo es ebenfalls Besatzungszonen gab, sind es mindestens 20 000 Kinder. Bei den meisten dieser Besatzungskinder steht in ihrer Geburtsurkunde „Vater unbekannt“. Ihr Schicksal war häufig mit gravierenden Tabuisierungen in ihrem familiären und sozialen Umfeld verbunden.
Am 7. und 8. Mai 2015 führten die Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Elke Kleinau und Prof. Dr. Ingvill C. Mochmann, Professorin für internationale Politik am GESIS-Leibniz Institut für Sozialwissenschaften, Vizepräsidentin für Forschung an der Cologne Business School in Köln, die Fachtagung „Besatzungskinder und Wehrmachtskinder - Auf der Suche nach Identität und Resilienz“. Hier thematisierten WissenschaftlerInnen jeweils aus Sicht ihrer Disziplin (Geschichts-, Politik-, Erziehungs- und Literaturwissenschaft) Bedingungen und Folgen des Aufwachsens von Besatzungs- und Wehrmachtskindern in Nachkriegseuropa. Außerdem kamen auf der Tagung auch Betroffene zu Wort. Viele haben ihren Vater aus den USA, Großbritannien, Frankreich oder der früheren Sowjetunion nie kennengelernt. Sie berichteten und reflektierten, wie es aus ihrer Sicht gewesen ist, als „Kind des Feindes“ aufzuwachsen.
Ziel der Tagung war das Aufzeigen der bis heute präsenten Spuren des Krieges in den europäischen Gesellschaften und eine Klärung, wie auch weiterhin die nachfolgenden Generationen davon beeinflusst werden. Eine wichtige Frage war auch, was mensch aus der Vergangenheit lernen und wie das gewonnene Wissen genutzt werden kann, um die Situation der Kinder des Krieges in heutigen Krisenregionen zu verbessern. Leider konnte ich nur am ersten Tag teilnehmen.
Ich bin dankbar, dass ich auf dieser Tagung ein Grußwort halten durfte. Es wird Zeit, dass die internationale, europäische und deutsche Öffentlichkeit für das Thema „Besatzungskinder und Wehrmachtskinder“ Sensibilität zeigt.
In den einzelnen Beiträgen wurde aufgezeigt, dass die einzelnen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg sehr unterschiedlich im Umgang mit den Kindern ihrer Soldaten umgingen. Sehr unterschiedlich sind auch die Erfahrungen, die die „Kinder des Krieges“ in Kindheit und Jugend erlebt haben und ihre dazugehörigen Bewältigungsstrategien.
Literaturhinweis
Denjenigen, die an Lebensgeschichten und eine entsprechende zeitgeschichtliche und politische Einordnung interessiert sind, möchte ich folgenden Literaturtipp geben:
Ute Baur-Timmerbrink, Wir Besatzungskinder - Töchter und Söhne alliierter Soldaten erzählen, 2015, ISBN: 978-3-86153-819-6
Ute Baur-Timmerbrink, selbst Besatzungskind, unterstützt Menschen bei der Suche nach ihrem Soldatenvater und hat bisher etwa 200 Familienzusammenführungen begleitet. Im Mittelpunkt ihres Buches stehen Porträts von Besatzungskindern aus Deutschland und Österreich. Zwei Beiträge von Expertinnen geben Auskunft über das Verhältnis zwischen Besatzungssoldaten und Bevölkerung 1945 - 1955 und stellen die neuesten Forschungsergebnisse zu den psychosozialen Belastungen von Besatzungskindern vor.