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„Wer einen Menschen rettet, rettet die gesamte Menschheit“

Entscheiden Sie sich, bürden Sie die wichtige Entscheidung, ob Sie Organe spenden, nicht ihren Angehörigen auf. Sondern treffen Sie selbst ihre Entscheidung. Das ist die Botschaft, die von der Diskussionsveranstaltung „Organspende – Entscheidung für das Leben“ ausging.

Information und Aufklärung waren das Ziel der Fraktion vor Ort Veranstaltung am 10. Juni 2015, die an einem ungewöhnlichem Ort stattfand – der Sehitlik Moschee. Die Idee, hier eine Veranstaltung zum Thema Organspende durchzuführen, hängt damit zusammen, dass ich am 7. Dezember 2014 an der Trauerfeier in der Sehitlik Moschee für Muhammet Eren eingeladen war. Dem zweijährigen Muhammet Eren war eine Herztransplantation von der zuständigen Prüfungskommission versagt worden, weil so schwerwiegende Erkrankungen an anderen Organen vorlagen, dass eine Transplantation nicht erfolgen konnte. Die Hintergründe können in meinem Artikel nachgelesen werden.

Auf meine Anfrage, die Veranstaltung in der Sehitlik-Moschee durchzuführen, sagte der Gemeindevorsitzende Ender Cetin sofort zu und erklärte sich zudem bereit, über das Thema Organspende aus islamischer Perspektive zu referieren. Dr. Detlef Bösebeck, Geschäftsführender Arzt der Deutschen Stiftung Organtransplantation Region Nordost, stellte die Chancen und Risiken der Organspende dar. Das Leben mit einem fremden Organ schilderte eindrucksvoll Gudrun Ziegler, sie ist Vorstandsvorsitzende des Forums Organtransplantation Berlin e.V.

Viele von uns kennen Menschen, die mit fremden Organen leben oder auch gespendet haben. Stellvertretend sei hier als prominentes Beispiel Außenminister Frank Walter Steinmeier genannt, der eine Niere für seine Frau spendete.

Spendenbereitschaft ist seit 2012 gestiegen

Im Jahr 2012 haben wir uns im Deutschen Bundestag fraktionsübergreifend für die Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz entschieden. Jede/r BürgerIn soll sich für oder gegen eine Organspende entscheiden. So wird seitdem jede/r ab dem 16. Lebensjahr aktiv von der Krankenkasse angeschrieben und über die Möglichkeit der Organspende informiert. Die aktuelle Umfrage „Einstellung, Wissen und Verhalten der Allgemeinbevölkerung zur Organ- und Gewebespende in Deutschland“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ergab jetzt folgendes Bild. Waren es im Jahr 2012 nur 22 Prozent, so besaßen im Jahr 2014 bereits 35 Prozent einen Organspende-Ausweis. Dabei sind Frauen die Vorreiterinnen, 38 Prozent aller Frauen haben einen Organspendeausweis, während es bei den Männern nur 31 Prozent sind. Auch die Spendebereitschaft ist unverändert hoch - sie liegt bei 80 Prozent. In der Umfrage der BZgA wurde aber auch deutlich, dass Information und Aufklärung weiterhin in großem Umfang nötig sind. Denn 57 Prozent der Befragten fühlen sich zum Thema Organ- und Gewebespende weniger gut bis schlecht informiert. Vermutlich ein Grund für die Diskrepanz zwischen der Spendebereitschaft von 80 Prozent der Bevölkerung und den real 38 Prozent, die einen Organspendeausweis besitzen.

Im Transplantationsgesetz von 2012 wurde weiterhin beschlossen, dass die Entnahmekrankenhäuser Transplantationsbeauftragte bestellen müssen, die die Organspende in der jeweiligen Klinik organisieren und überwachen. Sie koordinieren die Arbeit mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) und führen die psychologisch schwierigen Gespräche mit den Angehörigen der verstorbenen SpenderInnen.

Seit 2012 haben LebenspenderInnen Anspruch gegenüber der Krankenkasse des Organempfängers auf Krankenbehandlung, Vor- und Nachbetreuung, Rehabilitation, Fahrtkosten und Krankengeld. Im Falle der Arbeitsunfähigkeit erhalten sie auch Lohnfortzahlung. Die Kosten muss die Krankenkasse der OrganempfängerInnen übernehmen. Bekommen die Spender gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit der Organübertragung, steht dafür nun die gesetzliche Unfallversicherung ein.

Darüber hinaus tritt die SPD ein für die Einführung eines deutschlandweiten wissenschaftlichen Registers zur Qualitätskontrolle. Auch das Bonussystems für ÄrztInnen, die Transplantationen durchführen, soll reformiert und die Zahl der Transplantationszentren begrenzt werden.

Über 3.000 Menschen wurde letztes Jahr durch Organspenden ein neues Leben geschenkt. Doch jeden Tag sterben Menschen, während sie auf ein lebensnotwendiges Spenderorgan warten. Sie sind auf die Bereitschaft anderer Menschen angewiesen, im Falle ihres Todes ihre Organe zu spenden. Über 10.000 Menschen stehen dafür auf den Wartelisten.

Organspende - Chance oder Risiko?

Über 10.000 Menschen warten auf ein Spenderorgan, davon etwa 8.000 auf eine Niere, machte Dr. Bösebeck in seinem Vortrag deutlich. Seit 1963 wurden in Deutschland über 116.000 Organe transplantiert. Durch eine Organspende konnte vielen schwerkranken Menschen geholfen werden, deren eigene Organe versagten, sei es durch Krankheit oder einen Unfall. Die Transplantation ist häufig die einzige Therapie, die das Leben dieser Menschen noch retten kann oder deren Lebensqualität verbessern kann. Niemand kann etwas für seine/ihre Erkrankung. Aber es besteht die medizinische Möglichkeit jede/n zu retten, doch es fehlt an Organen, weil die Spendenbereitschaft zu niedrig ist. Laut der aktuellen Umfrage der BzGA würden sich 85 Prozent ein Spenderorgan transplantieren lassen. Organspende kann als ein Akt der menschlichen Solidarität und Nächstenliebe verstanden werden.

Auf die oft gestellte Frage, wird im Ernstfall alles für mich getan, wenn ich einen Organspendeausweis trage, erklärte Bösebeck, dass die Lebensrettung immer das erste Ziel ist. Er fügte hinzu, nur nach guter Therapie sind Organe überhaupt transplantierbar. Es müssen zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod feststellen, diese sind nicht an der Entnahme und Übertragung beteiligt. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation organisiert in Absprache mit dem Krankenhaus und den Transplantationszentren die Organentnahme und den Organtransport. Dabei ist der würdevolle Umgang mit den Verstorbenen oberstes Gebot. Die Organe werden sorgfältig konserviert und zügig zu den Transplantationszentren transportiert.

In der Diskussion wurden Ängste geschildert, dass zum Beispiel der Hirntod falsch diagnostiziert werden könnte. Hier erzählte Dr. Bösebeck eine Geschichte, wo der Organspendeausweis dem potenziellen Spender das Leben rettete. Der Patient lag mit Hirnblutung auf der Intensivstation, der dortige Arzt stellte den Hirntod fest und leitete das Verfahren zur Organspende ein. Der nun gerufene Spezialist untersuchte den Patient erneut und stellte fest, dass die Lebensrettung doch noch möglich ist, mit dem Ergebnis, dass der Patient heute noch lebt.

Das Alter der/s SpenderIn spielt keine Rolle, es kommt allein auf die Funktionsfähigkeit des jeweiligen Organs an. Ausscheidekriterien für SpenderInnen sind z.B. akute Tuberkulose, HIV oder Krebserkrankungen, die weniger als 5 Jahre zurückliegen.

Wie wird entschieden wer auf der Transplantationsliste das Organ bekommt? Die Kriterien für eine Organspende sind Erfolgsaussichten und die Dringlichkeit.

 „Leben mit einem fremden Organ? Wie ist das? Nun ja, ich lebe es gerade!“

Eindrucksvoll schilderte Gudrun Ziegler ihr Leben mit einem Spenderorgan. Sie war berufsbedingt an Hepatitis erkrankt. Es ist ein Unterschied zwischen dem Wissen, jeder stirbt irgendwann und ich werde in 3 Monaten sterben, betonte Gudrun Ziegler. Sie erzählte anschaulich, wie das Warten auf lebensrettenden Anruf ihr Leben bestimmte, verbunden mit der ständigen Angst, das Telefon im entscheidenden Moment nicht zu hören.

Es ist eine Illusion, dass mit nach der Transplantation eine vollkommen gesunde Person in das Leben zurückkehrt. So bestimmen lebenslange Medikation ihr Leben und ohne eine gehörige Portion Selbstdisziplin funktioniert das nicht. Besonders schwierig sei der Übergang von der Überversorgung im Krankenhaus zum eigenverantwortlichen Leben. Hier ist das Zusammenspiel zwischen PatientInnen, HausärztInnen und Klinik besonders wichtig. PatientInnen und Angehörige benötigen emotionale und psychologische Betreuung.

Sie empfindet Dankbarkeit, dass ihr ein Weiterleben ermöglicht wurde, deswegen hat sie das Forum Organtransplantation Berlin e.V. ins Leben gerufen. Das ist eine Initiative von Betroffenen, Transplantierten und TransplantationsmedizinerInnen.

Bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation können anonyme Dankesbriefe von der Menschen hinterlassen werden, die ein Spenderorgan erhalten haben.

„Wer einen Menschen rettet, rettet die gesamte Menschheit“

Die Sichtweise auf das Thema Organspenden aus islamischer Perspektive stellte Ender Cetin vor. Es besteht Konsens unter den muslimischen Gelehrten, dass Organspende nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht sei, betonte der Gemeindevorsitzende der Sehitlik Moschee. So beziehen sich die islamischen Gelehrten auf eine Sure im Koran: „Und wenn ihn jemand erhält, so ist es, als ob er alle Menschen am Leben erhalten hätte“ (Sure 5; Vers 32). Danach sieht zum Beispiel die türkische Religionsbehörde die Widerspruchslösung mit dem Koran vereinbar an.

Weiter führte Cetin aus, dass ein Mensch stirbt, aber die Erinnerung an ihn lebt auch durch eine Organspende weiter. Aber es braucht noch mehr Aufklärung und Information unter den Muslimen über die Vereinbarkeit der Organspende mit dem Islam. So gibt es den Volksglaube: „Komme ich noch ins Paradies, wenn ich mit dem Organ eines Sünders lebe?“. Diese Ansicht ist falsch, weil die Seele im Vordergrund steht und nicht der vergängliche Körper. In der Türkei wird seit 2005 für Organspenden in den Freitagspredigten geworben.

Entscheiden Sie sich!

Treffen Sie selbst die wichtige Entscheidung, ob Sie Organe spenden und bürden sie diese Entscheidung nicht ihren Angehörigen auf. Die Entscheidung sowohl für als auch gegen eine Organspende bedeutet eine wichtige Entlastung für die Angehörigen. Den dazu notwendigen Organspendeausweis können Sie auf der Seite Organspende-Info der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bestellen.

Wenn alle, die potenziell spenden würden, auch einen Organspendeausweis ausfüllten, gäbe es auch keine Diskussionen mehr über Vergabe und Beschwerden über das „System“. Denn dann wären genügend Spenderorgane vorhanden und die Kriterien zur Vergabe wären nicht mehr nötig.

Führung durch die Sehitlik Moschee

Zu Beginn der Veranstaltung wurden die Teilnehmenden durch den Gemeindevorsitzenden der Sehitlik Moschee durch die Moschee geführt. Er erzählte viel Wissenswertes zur Geschichte. So bestand bereits vor dem Bau der Moschee ein türkischer Friedhof, der bereits 1866 angelegt wurde. Die Moschee selbst wurde zwischen 1999 und 2005 erbaut und besteht ausschließlich aus Baumaterialien aus der Türkei. In der Moschee selbst gibt es keine Abbilder von Allah noch anderen Personen, wie dem Propheten Mohammed. Zu sehen sind aber eine Anzahl von Zitaten aus dem Koran. Allah wird außerdem durch einige seiner 99 Namen in der Moschee dargestellt zum Beispiel durch Licht. Weitere Namen sind: der Erbarmer, der Kräftige oder der Ernährende. Ein wichtiges Merkmal im Islam ist das Reinheitsgebot. Um Spinnen zu verscheuchen befinden sich deshalb am großen zentralen Kronleuchter echte Straußeneier, weil Spinnen, einer Volksweisheit nach, den Geruch dieser nicht mögen. In der Sehitlik Moschee gibt es keine Regelung, dass Männer und Frauen getrennt beten müssen - viele ziehen das aber vor. Ender Cetin betonte, dass in seiner Moschee auch Nicht-Muslime und Muslima willkommen sind, ebenso wie Homosexuelle. Für ihn stellt der Islam und Homosexualität keinen Widerspruch da. Viele TeilnehmerInnen zeigten sich sichtlich imponiert von den liberalen Einstellungen seitens des Gemeindevorstandes.

 

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Dr. Bösebeck Organspende_Chance oder Risiko 10.6.2015.pdf3.06 MB
Vortrag Gudrun Ziegler.pdf175.18 KB