Wohnzimmergespräch am 01.09.2015 zum Thema Hauswirtschaft und Pflege
„Hauswirtschaft - das ist ein bisschen kochen, Wäsche waschen und putzen - das kann jeder, und jede sowieso. Das ist doch schnell gemacht“. Das sind gängige Antworten auf die Frage, was hinter dem Beruf Hauswirtschaft steckt, wenn nicht sogar zuerst die Gegenfrage kommt: „Das ist ein Beruf?“
Ja, Hauswirtschafter/in ist ein Ausbildungsberuf. Ein Beruf, der nichts mit den üblichen Vorurteilen zu tun hat. Die Kompetenzen einer HauswirtschafterIn reichen von der Verpflegung, Textilreinigung und Raumgestaltung bis hin zur „selbstständigen Planung und Bearbeitung fachlicher Aufgabenstellungen in der hauswirtschaftlichen Versorgung und Betreuung“ und Personalplanung- und -anleitung. So vielfältig wie die Kompetenzen der HauswirtschaftlerInnen sind auch die Tätigkeitsfelder, in denen diese arbeiten können.
Häusliche Versorgung im Umfeld einer pflegebedürftigen Person
Eines dieser Felder umfasst im Wesentlichen alle hauswirtschaftlichen Hilfsleistungen im Umfeld des pflegebedürftigen Menschen. Diese häusliche Versorgung ist neben der Grundpflege Bestandteil des Sozialgesetzbuches (SGB) XI und gehört zur häuslichen Pflege. Leistungsträger ist die Pflegekasse.
Welche Rolle spielt der Beruf Hauswirtschafter/in in stationären Einrichtungen der Altenhilfe und der Pflege? Fakt ist, dass die Themen Qualität und Personalausstattung in der Hauswirtschaft bei aktuellen Diskussionen über Qualitätssicherung und Personalbedarfsbemessung in der stationären Pflege bislang eher eine untergeordnete Rolle spielen. Dabei zeigen Untersuchungen zur Zufriedenheit von HeimbewohnerInnen, dass die Gesamtzufriedenheit mit den Leistungen einer Pflegeeinrichtung auch maßgeblich von der Qualität der hauswirtschaftlichen Dienstleistungen im Heim beeinflusst ist. Der Personalbedarf umfasst Hauswirtschaftliche und pflegerische Tätigkeiten im jeweils engen Sinne als auch Tätigkeiten im Schnittstellenbereich. Diese sind aber häufig undefiniert. Eine der Ursachen ist auch, dass die Rahmenverträge nicht aller Bundesländer Stellen der HauswirtschafterIn vorschreiben.
So wie die Pflege gewinnt auch die Hauswirtschaft in Zeiten des demographischen Wandels immer mehr an Bedeutung. Fakt ist aber auch: Der Bedarf steigt, die Nachfrage nach diesem Beruf sinkt. Laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) entfielen im Jahr 2014 nur 0,5 Prozent der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge auf den Bereich der Hauswirtschaft (2.433)(2015, S. 31). In Berlin waren es sechs Auszubildende im Jahr 2014 (2015, S. 32). Die Hauswirtschaft als Beruf befindet sich somit inmitten eines geladenen Spannungsfelds zwischen hochaktueller Relevanz und potentiellem Aussterben.
Wohnzimmergespräch „Hauswirtschaft und Pflegestärkungsgesetz - neue Chancen?
Diese paradoxe Spannung war es auch, die mich als Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestags am 1. September 2015 zu einem „Wohnzimmergespräch“ mit dem Thema „Hauswirtschaft und Pflegestärkungsgesetz - neue Chancen?“ sogar über die Grenzen meines Wahlkreises in den Nachbarortsteil Wilmersdorf lockte. Eingeladen hatten Thomas Elsweyer und Susanne Hornauer, beide tätig für elsweyer+hoffmann, Agentur für Kommunikation, Marketing und Design. Um dem Imageproblem des Berufs Hauswirtschaft entgegenzutreten, organisiert die Agentur Projekte und Berufsberatungen, um Jugendliche dafür zu begeistern. Außerdem konnte sie kürzlich ein Modellprojekt zum Thema Hauswirtschaft initiieren.
In guter Atmosphäre wurde zum Thema „Hauswirtschaft und Pflegestärkungsgesetz - neue Chancen?“ mit ExpertInnen aus der Berufsbildung, der AOK Nordost und mehreren Berufsverbänden engagiert und kontrovers diskutiert:
- Stephanie Gefeller, Betriebsleiterin Hauswirtschaft der Immanuel Diakonie und ist ehrenamtlich beim Berufsverband Hauswirtschaft e.V engagiert.
- Susanne Hornauer von der Agentur elsweyer+hoffmann und mittlerweile seit fast zwei Jahren Vorsitzende des Landesverbandes Berlin-Brandenburg des Berufsverbandes Hauswirtschaft e.V.
- Auch ihre Vorgängerin Brigitte Wittkamp, zwischenzeitlich Mitglied des Vorstandes des LandesFrauenRates Berlin e.V. war anwesend.
- Dabei waren auch Elke Ahlhoff, die als Mitarbeiterin von Wert.Arbeit GmbH, Gesellschaft für Arbeit, Chancengleichheit und Innovation über langjährige Erfahrung in der beruflichen Fort- und Weiterbildung im Gesundheits- und Pflegebereich verfügt und zuvor bei maxQ. die Projektleitung des Modellprogramms „Zukunftsperspektive im Berufsfeld Hauswirtschaft und Pflege“ innehatte.
- Margrit Zauner vertritt seit 2007 Landes Berlin im Annedore-Leber-Berufsbildungswerk Berlin e.V. und ist Vorsitzende des Vorstandes. Sie leitet das Referats Berufliche Qualifizierung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Frauen.
- Der Landesvorsitzender des Deutschen Verbandes der Leitungskräfte von Alten- und Behinderteneinrichtungen (DVLAB) e.V., Walter Janik, nahm ebenfalls teil.
- Sascha Kühnau, Ökotrophologe, Koch, Dozent und Berater für Hauswirtschaft und Pflege.
- Christina Moers, von der Agentur elsweyer+hoffmann.
- Andreas Truglia, Ausbildungsberater bei der IHK Berlin für die Berufe Hauswirtschafter/in und Hauswirtschaftshelfer/in.
- Swantje Hedt ist beim Deutschen LandFrauenverband e.V. verantwortlich für die Bereiche Bildung, Agrarpolitik und Hauswirtschaft.
- Werner Mall ist tätig als Unternehmensbereichsleiter Prävention der AOK Nordost.
- Lydia Huber arbeitet bei andel's Hotel Berlin.
- Auch die hauswirtschaftliche Betriebsleiterin mit Ausbildereignung in der AlexA Seniorenresidenz Berlin-Lichtenrade, Katja Mertens war vor Ort. Sie ist zugleich die Fachautorin des Beitrags "Hauswirtschaft" auf Wikipedia.
- Aus meinem Büro wurde ich begleitet von Jürgen Finke und Sarah Stacy.
Es geht um den Menschen in seiner Gesamtheit
Im Gespräch wurde schnell klar, dass es sich bei der Hauswirtschaft um einen Beruf handelt, der im Bereich der Pflege nachweislich zur Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen beiträgt. Für diese zählt die Gesamtqualität, das Endprodukt, das Rundumpaket, welches ihr Leben lebenswert macht. Hierzu können HauswirtschafterInnen wesentliches beitragen: Kompetenzen im Bereich der Tagesplanung- und strukturierung vor allem auch ihre phantasievolle und umfassende Zuwendung können ergänzen, was Pflegekräfte oft aus Zeitnot unverschuldet nicht mehr leisten können. Eine klare Trennlinie zwischen Aufgaben der Pflegekräfte und Aufgaben der HauswirtschaftlerInnen gibt es aber oft nicht. Hier herrscht ein breiter Schnittstellenbereich. Im Zentrum der Hauswirtschaft steht der Mensch, wie er in seiner Ganzheit betrachtet und am besten versorgt werden kann.
Mehr Gerechtigkeit und Fachlichkeit durch das zweite Pflegestärkungsgesetzt
Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II) sollen die Pflegeversicherung und die pflegerische Versorgung durch einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsinstrument auf eine neue pflegefachliche Grundlage gestellt werden. Erstmals werden damit alle für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit relevanten Kriterien in einer für alle pflegebedürftigen Personen einheitlichen Systematik erfasst. Mit einem neuen Begutachtungsverfahren wird der vorhandene Grad der Selbständigkeit besser und umfassender erfasst. Mit der Umstellung von augenblicklich drei Pflegestufen zu fünf Pflegegraden können differenzierte Zuordnungen des Grades der Selbständigkeit der pflegebedürftigen Person besser festgestellt und entsprechenden Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung zugeordnet werden. Der Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung wird gerechter, da leistungsrechtlich nicht mehr zwischen somatischen, kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen unterschieden wird. Gerade bei Menschen mit kognitiven oder/und psychischen Beeinträchtigungen wird die Relevanz der Hauswirtschaft deutlich: Durch die professionelle Alltagsstrukturierung, die zu Kernthemen der Hauswirtschaft gehört, können vor allem an Demenz erkrankte Menschen lange in ihrer Selbstständigkeit unterstützt werden.
Der Erhalt der Selbstständigkeit wird mit dem am 1. Januar 2017 für die BürgerInnen in Kraft tretenden PSG II gezielt gefördert. Momentan werden 2/3 der rund 2,7 Millionen pflegebedürftigen Menschen in ihrer häuslichen Umgebung gepflegt. Der bereits im PSG I angelegte verbesserte Zugang zu Pflege-, Betreuungs- und Entlastungsleistungen wird mit dem PSG II ausgeweitet. Die vorgesehene Flexibilisierung der Leistungen ermöglicht einen Leistungsmix, der vorhandene Ressourcen stärkt und die Unterstützung in die Bereiche lenkt, in denen eine Einschränkung der Selbstständigkeit festgestellt wurde. Die besonderen Leistungen für Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz werden dabei unter Beibehaltung des Leistungsniveaus in das Regelleistungsrecht übernommen.
In den einzelnen Bundesländern wird in Rahmenverträgen ausgeführt, was dem pflegebedürftigen Menschen hilft, ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes, der Würde des Menschen entsprechendes Leben zu führen. Hier hat sich die Hauswirtschaft als relevante Anbieterin von die Selbständigkeit unterstützende Alltagsgestaltung verstärkt aufzustellen. Auch die Hauswirtschaft hat das Potential, das „normale Leben“ zu verwirklichen - Berufstätigkeiten in der Pflege und in der Hauswirtschaft sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden!
Jedoch werden hauswirtschaftliche Dienstleistungen von Pflegenden und Pflegebedürftigen oft nicht in Anspruch genommen: Bei der freien Leistungswahl stellt sich - oft zu Ungunsten der professionellen hauswirtschaftlichen Versorgung - die Frage, ob in professionelle Hilfe investiert oder eher auf private Hilfe zurückgegriffen wird.
Schnittstellenfunktionen werfen Fragen auf: Fachquote und Ausbildung
Eine unzureichende Definitionsschärfe zwischen Pflege und Hauswirtschaft und den Tätigkeiten im Schnittstellenbereich begünstigt mitunter, dass in stationären Einrichtungen HauswirtschaftlerInnen oft nicht als Fachkräfte eingestuft bzw. angerechnet werden. Die Zusammenstellung des Personalschlüssels in stationären Einrichtungen erfolgt im Rahmen der Landesheimgesetze und der Heimpersonalverordnungen. Nur einige Länder erkennen hier Hauswirtschaft als Fachkräfte an, teilweise mit Zusatzqualifikationen. Hierzu gehört auch Berlin. Eine scharfe Fachkraftdefinition existiert beispielsweise in Baden-Württemberg, was dazu führt, dass Hauswirtschaft sich technisch und somit stellenmäßig leichter verorten lässt.
Im Gespräch wird deutlich: Die Durchsetzung einer Fachquote der Hauswirtschaft für Pflegeheime in Berlin ist auf institutioneller Ebene nicht leicht, u.a. weil verschiedene Senatsverwaltungen involviert sind. Darüber hinaus tauchen weitere Fragen auf: Wo genau soll die Hauswirtschaft verortet sein, als was muss sie sich präsentieren? Muss die Präsenzkraft in den Wohngruppen eine ausgebildete Hauswirtschafterin sein oder reicht ein Basiskurs?
Diese Überlegungen führten unweigerlich zur Diskussion über die Ausbildungsstruktur des Berufs Hauswirtschaft. Einig über die Existenz vieler Schnittstellen von Hauswirtschaft und Pflege wurde diskutiert, wie die Berufsbilder besser verschränkt werden können. Es kommt schon lange nicht mehr nur auf Kenntnisse und Fertigkeiten an, gefordert werden Kompetenzen in bestimmten Bereichen. Sollte die Ausbildung über einen Pflegebasiskurs mit Zusatzqualifikationen geregelt werden? Erschwert die Notwendigkeit des Meisterabschlusses, über den nur Wenige verfügen, dass die Ausbildung überhaupt angeboten werden kann? Überlegungen zur Kürzung der Ausbildungszeit von 3 auf 2 Jahre wurden mit Hinblick auf tarifliche Regelungen schnell verworfen. Deutlich wurde, dass es auch noch einer breiten gesellschaftlichen Debatte hierzu bedarf.
Aber wo bleiben die Auszubildenden?
Das zentrale und vielleicht sogar drängendste Problem vor dem die Hauswirtschaft steht, ist der Mangel an Auszubildenden. Dies liegt vor allem an der fehlenden Attraktivität des Berufs: Jugendlichen schwebt ein verstaubtes Bild vor Augen, wodurch sie nicht einmal in Erwägung ziehen, eine Ausbildung in diesem Bereich zu absolvieren. Jungen sogar noch seltener als Mädchen. Hier genügt allerdings keinesfalls eine reine Namesaufwertung. Was Jugendlichen und Erwachsenen vor allem deutlich gemacht werden muss, ist die „Beruflichkeit“, die hinter der Hauswirtschaft steckt. Es gilt aufzuzeigen, dass der Beruf durchaus eine wirtschaftliche Zukunft hat und zudem noch vielerlei berufliche Entwicklungsmöglichkeiten bietet.
Die Hauswirtschaft aufwerten
Diese Wertschätzung, an der es der Hauswirtschaft fehlt, möchte die Agentur elsweyer+hoffmann in Jugendlichen wecken. Deshalb gehen sie auch in Schulen, denn diese sind genau der Ort, wo das Umdenken beginnen muss - und hoffentlich auch stattfindet. Der Bedarf an Hauswirtschaft als Beruf ist da. Er muss allerdings gemeinsam wirksam kommuniziert werden.
Ich habe mich sehr gefreut, dass ich Teil dieser anregenden und konstruktiven Diskussion sein durfte, von der ich vieles in die parlamentarischen Debatten mitnehme. Auch wenn es „die Diskussion um die Aufwertung der Hauswirtschaft schon seit 40 Jahren gibt“, ist es vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und einem zunehmenden Fachkräftenotstand nicht nur in der Pflege wichtig, diese intensiv und angeregt fortzusetzen. Je breiter, desto besser.