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Bildungsfahrt nach Straßburg

In einer kleinen europäischen Stadt trifft sich Europa und schreibt Geschichte

30 Menschen. Zeit: 30. September 2015, 3 Uhr nachts. Ort: ehemaliger Flughafen Tempelhof. Was wie der Anfang einer Krimi-Erzählung klingt, war der Start unserer Fahrt nach Straßburg. Und wir bleiben bei spannenden Geschichten. Denn Straßburg erzählt und schreibt viele solcher: Europarat und EU-Parlament schreiben Demokratie und Menschenrechte in die Wirklichkeit aller EuropäerInnen, Straßburg schrieb als umkämpfte Stadt eine Erzählung zweier Nationen und im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof blickten wir in dunkle Seiten deutscher Geschichte. Vom 30.09. – 04.10.2015 fuhr eine bunt gemischte Gruppe politisch Interessierter nach Straßburg: GewerkschafterInnen, Mitglieder der AWO, der SPD Tempelhof-Schöneberg, VertreterInnen von Harmonie e.V. und südost Europa Kultur e.V. , Mitglieder des Vereins Initiative Stolpersteine an der B96 und AktivistInnen aus der Queer Community. Die Fahrt fand auf Anregung von Mechthild Rawert statt. Sie ermöglichte als Mitglied der parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg, allen Teilnehmenden einen Einblick in die Arbeitsweise des Europarates und EU Institutionen zu bekommen – zu begreifen wie die Weiterentwicklung der Demokratie und europäischen Werte praktisch gestaltet wird.

Europarat - Für Menschenrechte in den Mitgliedsstaaten

Unser erster Ausflug führte uns zur ältesten zwischenstaatlichen Organisation Europas: dem http://www.coe.int/de/ " href=" http://www.coe.int/de/ " target="_blank">Europarat. An der Ill gelegen, unweit des EU Parlaments und des Europäischen Gerichtshofs vervollständigt das Gebäude im gewöhnungsbedürftigen Stil das optische siebziger Jahre Milieu. Institutionell ist es nicht die Vervollständigung: Der Europarat ist keine Institution der EU. 1949 gegründet, umfasst der Europarat inzwischen 47 Mitgliedsstaaten. Seine Funktion ist das größte politische Forum Europas darzustellen. Hier werden europäische Abkommen und Konventionen ausgearbeitet und auf Rechtsharmonisierung in den Mitgliedsstaaten hingewirkt. Es geht um die Durchsetzung und Verbreitung der Menschenrechte, die längst noch nicht in allen Staaten zur Geltung kommen. Wir waren bei einer der 4 öffentlichen Tagungen im Jahr stattfindenden Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung dabei. Das Thema: Missbrauch im Bereich Untersuchungshaft. Zum Thema wurde danach eine Resolution gefasst. Spannend zu sehen war, dass Parlamentarier verschiedener Länder in ihren Sprachen ihren Beitrag präsentierten, viele jedoch in Englisch. Auch anders als wir es vom Bundestag gewohnt sind, sitzen die Parlamentarier nicht jeweils in ihren politischen Fraktionen, sondern namentlich nach dem Alphabet sortiert.

Insgesamt umfasst die parlamentarische Versammlung 318 Mitglieder – Parlamentarier aus den verschiedenen Mitgliedsstaaten. Davon sind 18 aus dem deutschen Bundestag. 5 davon SozialdemokratInnen. Im Anschluss an die Plenardebatte, die wir mit verfolgten, kamen wir mit Mechthild als Mitglied im Europarat in einer Diskussionsrunde ins Gespräch. Mechthild gab uns TeilnehmerInnen eine Einführung in die Funktionsweise und Zusammensetzung des Europarats. Drängende Fragen standen an: Inwiefern setzen sich sozialdemokratische Themen in der Versammlung durch? Wie funktioniert die Kommunikation der Beschlüsse in die Länder, wenn es keine bindenden Verträge sind? Mechthild beantwortete alle Fragen ausführlich und gab zusätzlich interessante Einblicke in derzeit diskutierte Themen: Russlands Stimmrechtsentzug, der im Juni aufgrund der ungelösten Situation in der Ukraine verlängert wurde, verschiedene Trade-Offs, vor allem aber auch ihre Rolle im Parlament. Um am allgemeinen Ziel zum Schutz der Menschenrechte und der Förderung von pluralistischer Demokratie mitzuwirken, ist sie Vorsitzende des Unterausschusses für Behinderung und Inklusion. Außerdem ist sie noch Mitglied im Netzwerk „Women free from Violence“.Hier geht es um die Durchsetzung der Istanbul Konvention, also dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Damit setzt sie sich auch auf europäischer Ebene für Inklusion, Frauen und Gleichberechtigung ein – und ist, wie wir sehen und hören konnten, mit Feuereifer dabei.

EU Parlament – Die Demokratie setzt sich mit an den Tisch

Nach einem Mittagessen in der Orangerie, mitten in einem idyllischen Garten, stand der Besuch des EU-Parlaments auf der Tagesordnung. Über den großen Platz mit hochreichenden Fahnen betraten wir den kreisrunden, fensterbestückten Innenhof. Alles offen, weit und transparent. Wir betraten das Gebäude und befanden uns damit wieder zu 1/28stel auf deutschem Boden: Das EU-Parlament gehört allen Mitgliedsstaaten der EU gleichermaßen.

Hier nahmen wir an einer Diskussion über die Funktionsweise und Zuständigkeiten der EU im ungemütlich fensterlosen „Salle de Margret Thatcher“ teil. Nach einem kurzen historischen Abriss zur Entstehung und Wirkungsweise des demokratisch gewählten europäischen Organs, stellten sich uns Fragen, die die aktuelle Tagespolitik betreffen. Spielen diese auch im EU Parlament eine Rolle? Allerdings: Gerade die Flüchtlingskrise dominiert derzeit die Debatten im Parlament. Für uns SozialdemokratInnen war vor allem auch interessant, wie sich die Rolle des EU Parlaments verändert hat, seit Martin Schulz das Amt des Parlamentspräsidenten innehat. Es ist ein deutlicher Wandel erkennbar: Das EU Parlament nimmt dank ihm mehr Raum im politischen Diskurs ein. Wo frühere Parlamentspräsidenten eine repräsentative Rolle bei Treffen der Staats- und Regierungschefs einnahmen, bleibt er am Tisch sitzen, vertritt die Meinung des Parlaments und stellt sicher, dass diese Stimme auch gehört wird. Das ist enorm wichtig im Kontext der Weiterentwicklung der europäischen Idee: Demokratie muss hier aktiv sein, gelebt und fühlbar werden.

Straßburg – Europäische Demokratie zieht ein in eine umkämpfte Stadt als Zeichen des Friedens

Straßburg ist eine ganz besondere Stadt: Sie versteht sich aufgrund des Sitzes zahlreicher europäischer Institutionen als „Hauptstadt Europas“. Sie ist aber auch die größte Stadt im Elsass: doch trotz ihrer immerhin rund 274.000 Einwohnern verliert sie nicht ihren Kleinstadtcharme. Kleine Gässchen, Holzfensterläden an den niedrigen Häusern, Frômage-, Schokoladen und Boulangerie-Geschäfte und überall Cafés, vor denen zahlreiche Menschen das rege Treiben genießen. All das strahlte ein ganz besonderes französisches Flair aus, das auch uns in den Bann der kleinen französischen Stadt mit der historisch bedeutsamen Geschichte zog. Was wir am Vorabend nur bei Mondschein genossen, wurde im Anschluss an den Besuch des europäischen Viertels mit Stadtführer-Fachwissen angereichert: Im genüsslichen Elsässisch-Französisch. Beginnend auf dem Kaiserpatz, kurioserweise mit „place de la république“ übersetzt, zeigten sich die Prägungen deutscher Geschichte am deutlichsten. Seit dem Mittelalter wechselt die Stadt zwischen deutscher und französischer Flagge hin und her. Im 20. Jh. dann erlebte sogar eine Generation zwei Staatsbürgerschaftswechsel. Vor diesem Hintergrund wurde nach dem zweiten Weltkrieg angeregt, Straßburg als umkämpfte Stadt zum Sitz des Europarats zu machen: als Zeichen der Versöhnung. Sie wurde dann auch Hauptsitz des Europäischen Parlaments. Damit sollte ein Zeichen gesetzt werden: europäischer Frieden kann nur durch europäische Kooperation Wirklichkeit werden. Unter Anerkennung kultureller Andersartigkeit. Und die kulturelle Vielfalt war in Straßburg unmittelbar spürbar: Hier ist Europa.

Am nächsten Tag brachen wir nach schönem französischen Frühstück schnell auf, um pünktlich beim Schiffsanleger zu sein und dort eine Schiffstour-Rundfahrt  über die Ill zu starten. Wir kamen vorbei an malerischen elsässischen Gebäuden, welche zu beiden Seiten die Ill umrahmten. Im schönen Stadtteil „Petite France“ musste unser Boot sogar eine Schleuse nehmen, um die verschiedenen Höhenmeter zu bewältigen. Straßburg ist wahrhaft eine eindrucksvolle Stadt. Unsere Stadtschiffstour ging sogar raus bis ins Europaviertel der Stadt, wo  sich die ganzen europäischen Institutionen befinden, welche wir am Vortag besucht haben. Dort befindet sich übrigens auch der europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Dieser Gerichtshof orientiert sich an der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), welche alle 47 Mitgliedsstaaten des Europarates auch unterzeichnet haben. Nach dieser kulturreichen Schiffstour bestand die Möglichkeit bis zum Mittagsessen ein wenig durch die historische Altstadt zu schlendern und den französischen Charme, welchen diese Stadt versprüht, aufzunehmen. Der französische Lebensstil, der sich durch seine Lockerheit und auch seinem Hang zum Genuss auszeichnet,  konnte sehr gut wahrgenommen werden. Viele Teilnehmende deckten sich mit lokalen Köstlichkeiten wie Fromage (französisch für Käse), leckere kleine handverzierte Törtchen oder vielen Kleinigkeiten, welche die lokale Boulangerie und Pâtisserie Tradition hergibt. Nach diesem kulinarischen Highlight der Sinne ging es zu einem leckeren Mittagessen in ein schönes altes Fachwerkhaus unweit des Münsters.  Gestärkt brachen wir nach diesem Gaumenschmaus zum Bus auf, welcher uns zu unserem nächsten Programmpunkt gebracht hat.

Besuch des ehemaligen KZ Struthof: „Eine unglaublich bedrückende Szenerie“

Nach über einer Stunde Fahrt kamen wir aus dem flachen Straßburg in sehr bergiges Gelände. Dort befindet sich auf einem Hang das ehemalige Konzentrationslager Natzweiler-Struthof. In der Zeit zwischen dem 1. Mai 1941 und dem 23. November 1944 war auf diesem Gelände ein Arbeits- und Straflager des nationalsozialistischen Deutschlands. Die Gefangenen sind dazu gezwungen worden in den umliegenden Steinbrüchen schwere Zwangsarbeit abzuleisten. Während dieser Zeit sind 52.000 Menschen aus ganz Europa deportiert worden. Davon starben 22.000 Personen an den Haftfolgen, an Krankheiten, an den  schwierigen Witterungsbedingungen,  den kargen Mahlzeiten  oder sind ermordet worden.

Es ist eine unglaublich bedrückende Szenerie, welche uns hier erwartet und die uns sprachlos lässt. Sprachlos – über alle schrecklichen Verbrechen, die an diesem Ort begangen sind. Sprachlos – über die mit Füßen getretenen Menschenrechte. Es sind viele Fragen, die sich in unseren Köpfen aufdrängen und die uns emotional werden lassen.

Als symbolisches Zeichens unseres Gedenkens legen wir ein Blumengesteck beim Denkmal nieder.

Die Ausstellung vermittelt ein sehr umfangreiches Bild über die Verbrechen, welche diesen Ort heimgesucht haben. Es ist emotional sehr ergreifend und bestätigt uns, dass wir mit allen rechtsstaatlichen Möglichkeiten versuchen müssen, solche geschichtlichen Kapitel nie wieder aufleben zu lassen.

Es war eine ungewöhnlich stille Rückfahrt zurück nach Straßburg. Eine Rückfahrt des Nachdenkens und der Anteilnahme.  Zurück in Straßburg ging es noch zu einem elsässischen Restaurant nach „Petite France“. Am nächsten Morgen stand auch schon die Abfahrt bevor und abends kamen wir mit neuen Bildern in unseren Köpfen wieder in Berlin an.

Wir möchten uns an dieser Stelle bedanken beim Bundespresseamt, welches  das Programm dieser Bildungsfahrt zusammengestellt hat. Ganz besonderes möchten wir uns bedanken bei Manuela Harling, die im Wahlkreisbüro arbeitet und vor Ort und im Vorfeld sehr viel organisiert hat.

Es war eine sehr bildende Fahrt: Wir haben sehr viele Eindrücke gewonnen, Einblicke erhalten und  uns viele Gedanken gemacht. Danke dafür!

 

 

Bericht von Sarah Stacy und Frederic Fraund