Fraktion vor Ort „Zukunft der Pflegeberufe“ am 13. Oktober 2015
Pflegekräfte brauchen mehr gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung in unserem Land. Eine Antwort darauf liegt in der Ausbildung und damit in der geplanten Reform der Pflegeberufe. Gemeinsam mit Bettina Müller, meiner Kollegin im Gesundheitsausschuss, diskutierte ich mit einem engagierten Fachpublikum im Nachbarschaftsheim Schöneberg. Einen Einblick in die bereits praktizierte generalistische Ausbildungspraxis gab Christine Vogler, Schulleiterin der Gesundheits- und Krankenpflegeschule der Wannsee-Schule für Gesundheitsberufe e. V., während Mathias Oberländer die Erwartungen der jungen Pflegefachkräfte an die Reform der Pflegeberufe schilderte. Unserer Einladung waren sehr viele VertreterInnen von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen, von Sozialverbänden, Gewerkschaften und Krankenkassen gefolgt.
Die Reform der Pflegeberufe schlägt einige Wellen. In den letzten Monaten haben wir Bundestagsabgeordnete diesbezüglich schon viel Post erhalten. Von etlichen Trägern der Altenpflegeausbildung gibt es Kritik - in der Pflegepraxis hingegen wird die geplante Generalisierung als Chance wahrgenommen. Aus einer Mail möchte ich zitieren: „Ich möchte Sie deshalb ausdrücklich ermutigen, an der Generalisierung festzuhalten. Bisher haben sich fast ausschließlich Vertreterinnen der Altenpflege exponiert, die jeweils das drohende Verschwinden des Berufs Altenpflege beklagen. Hierzu kann ich von den vielen mir bekannten Altenpflegerinnen nur rückmelden, dass diese die geplante Generalisierung keineswegs als Bedrohung empfinden, sondern als Chance. Bisher nämlich sind Altenpflegerinnen gegenüber Krankenpflegerinnen ("Krankenschwestern") klar diskriminiert.“
Reform der Pflegeberufe - eine unendliche Geschichte?
Die Reform der Pflegeausbildung ist geradezu eine unendliche Geschichte. „Wir müssen das in dieser Legislatur schaffen!“ betonte Bettina Müller daher. Sie ist als Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für den Bereich der Gesundheitsberufe zuständig. Die bisherigen drei Ausbildungen zur (Kinder-) Gesundheits- und Krankenpflegekraft sowie zur Altenpflegekraft sollen zu einer gemeinsamen - „generalistischen“ - Ausbildung mit einem einheitlichen Berufsabschluss zusammengeführt werden. Die dreijährige generalisierte Ausbildung qualifiziert zum Abschluss als Pflegefachfrau bzw. Pflegefachmann. Die Ausbildung soll sowohl schulische als auch akademische Komponenten haben und es sollen Schwerpunktsetzungen möglich sein.
Zusammen mit Petra Crone, Berichterstatterin für Seniorenpolitik im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Petra Crone, hat Bettina Müller für die SPD-Bundestagsfraktion ein Eckpunktepapier vorgelegt, das sich auf die Ergebnisse des Gutachtens der Bund-Länder-Kommission stützt.
Zurzeit liegt seitens der Bundesregierung erst ein vorläufiger Arbeitsentwurf für das Pflegeberufegesetz vor. Am Referentenentwurf wird derzeit noch gearbeitet. Er soll noch in diesem Jahr vom Bundeskabinett verabschiedet und in 2016 im Bundestag debattiert werden. Nicht unkompliziert ist die dafür notwendige Abstimmung zwischen den unterschiedlichen Interessen von Bundesländern, zwei Bundesministerien, Krankenkassen und der Vielfalt der Träger. Kompliziert wird die Reform dadurch, dass hier unterschiedliche Ebenen miteinander verhandeln und einen Konsens erreichen müssen. So ist für den Beruf der Altenpflege das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zuständig - für die Gesundheits- und Krankenpflege hingegen das Bundesministerium für Gesundheit. Die Ausbildungsordnungen sind Sache der Bundesländer und auch die Europäische Ebene ist durch die Umsetzung der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie zu beachten. Bettina Müller informierte, dass das Bundeskabinett am 14. Oktober 2015 die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Berufsanerkennung in deutsches Recht beschließen wird.
Die gesetzlichen Änderungen durch die geänderte Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen schaffen Grundlagen zur Ausstellung des Europäischen Berufsausweises für ApothekerInnen, Gesundheits- und KrankenpflegerInnen und PhysiotherapeutInnen und formulieren unter anderem auch Mindestanforderungen an die Ausbildung von Gesundheits- und KrankenpflegerInnen.
Die Reform der Pflegeberufe wird lange Übergangsfristen beinhalten. Realistisch wird sie nicht vor 2020 greifen. Erst im Jahr 2030 ist mit einer signifikanten Zahl an generalistisch ausgebildeten Pflegefachkräften zu rechnen. Diese Aussage führte zu einem unüberhörbaren Raunen beim Publikum.
Warum eine generalistische Ausbildung?
Durch den demografischen Wandel und der steigenden Lebenserwartung nimmt der Anteil der hochbetagten Menschen zu. So rechnen wir im Jahr 2030 mit 60 Prozent mehr 80jährigen. Damit steigen auch die demenziellen und behandlungspflegerischen Bedarfe in der Pflege.
Derzeit fehlt der hiesigen Altenpflegeausbildung die Anerkennung auf EU-Ebene. Das heißt, dass Altenpflegekräfte aus Deutschland nicht in anderen EU-Staaten in ihrem Beruf arbeiten dürfen. Umgekehrt erleben Pflegefachkräfte aus EU-Ländern, die in Deutschland arbeiten, eine Entwertung ihrer in der Regel über ein Studium erworbenen Qualifikationen und Kompetenzen, weil sie eine Reihe von Arbeitsschritten nicht anwenden dürfen, die sie in ihrer Ausbildung gelernt haben.
Erschreckend hoch ist die große Gehaltsdifferenz zwischen der Alten- und Krankenpflege. So verdienen Fachkräfte in der Altenpflege erheblich weniger als in der Krankenpflege (Ost: 28,9 % weniger, West: 18,2 % weniger). Das bedeutet konkret einen Gehaltsunterschied zwischen 500 und 1.000 Euro.
Wir brauchen neue Perspektiven für die Pflege - dafür ist die Reform hin zur generalisierten Ausbildung ein großer Schritt. Wichtig ist die Gewährleistung der Durchlässigkeit zwischen den Berufen - von der Pflegehilfe bis hin zur akademischen Ausbildung. Wir brauchen Chancengleichheit sowohl beim Zugang und bei der Durchlässigkeit in der Ausbildung.
Wir brauchen eine andere Form der Ausbildung - die generalistische Ausbildung im Praxistest
Die Wannsee-Schule bildet seit zehn Jahren generalistisch aus, erzählte Christine Vogler. Die Leiterin der Gesundheits- und Krankenpflegeschule erklärte, dass seit 2004 die entsprechende Modellklausel in der Pflegeausbildung genutzt wird. In der Praxis kooperiert die Schule mit 15 Trägern aus den unterschiedlichen Pflegebranchen. Die Universität Bremen hat den Modellversuch wissenschaftlich evaluiert. Dabei wurde festgestellt, dass es in der generalistischen Ausbildung gelingt, die Kernkompetenzen aller drei Pflegeberufe ausreichend zu vermitteln. Überhaupt ist eine hohe Deckung der Ausbildungsinhalte zwischen den drei Ausbildungsgängen zu verzeichnen. In der Grundausbildung wird ein gemeinsames Grundverständnis von Pflege vermittelt. In der Intensivausbildung findet eine Weiterqualifizierung in den einzelnen Bereichen statt. „Wir können es uns nicht erlauben, junge Menschen auf einen Pflegebereich festzunageln“ betonte Vogler. Und angesichts des herrschenden Fachkräftemangels müssen sich die Arbeitsverhältnisse verbessern.
Überschneidungen der Ausbildungsinhalte sind vorhanden, ergänzte Mathias Oberländer. Oberländer koordiniert die AG Junge Pflege beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe, Regionalverband Nordost e.V.. Er fordert eine entsprechende Überarbeitung des Ausbildungs-Curriculums. Modelle wie die Wannseeschule sollten zur Normalität werden. „Ich hätte gern mehr Altenpflegeaspekte in der Krankenpflegeausbildung gehabt, die mir jetzt in der Praxis fehlen“ fügte er hinzu.
Ausbildungsvergütung statt Schulgeld
Ein wichtiger Punkt ist die Ausbildungsvergütung. Das Schulgeld ist noch immer ein Problem, betonte Oberländer. Erst in diesem Jahr wurde das Schulgeld in Berlin abgeschafft. In Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen ist die Ausbildung zur Altenpflege weiterhin kostenpflichtig. Wobei in Hamburg, Sachsen und Thüringen eine ausreichende Anzahl kostenfreier Schulplätze finanziert wird. Es ist ein Anachronismus, dass Frauen dafür zahlen müssen, um später in einem immer noch „typischen Frauenberuf“ zu arbeiten, der schlecht bezahlt wird und zu wenig gesellschaftliche Anerkennung erhält. Dass muss endlich Schluss sein.
Zukünftig soll eine Ausbildungsvergütung gezahlt werden. Zur Finanzierung soll ein Ausgleichsfond mit einem Umlagesystem eingerichtet werden, in den Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Krankenkassen und Bundesländer einzahlen.
„Wir müssen den Pflegeberuf auf neue Füße stellen!“
Den Eingangsstatements folgte eine lebhafte Debatte. Die KritikerInnen betrachten die Kosten in Höhe einer bundeseinheitlichen Finanzierung von ca. 300 bis 350 Millionen Euro pro Jahr problematisch. Des Weiteren wurden Zweifel geäußert, dass eine berufsbegleitende Ausbildung durch die generalistische Ausbildung gewährleistet werden könne. Christine Vogler verwies auf die Erfahrungen in ihrer Schule: „Ausbildungsverbünde können das leisten“. Hier sind die Bildungsträger gefordert. Bisher leisten die ambulanten Pflegedienstleister keinen Beitrag bei der Ausbildung. Auch das muss sich ändern. Positive Erfahrungen haben auch die Oberstufenzentren mit der generalistischen Ausbildung gemacht. Kritik wurde an einigen Trägern der Altenpflegeausbildung geübt: Trägerinteressen dürften nicht über den Interessen der Auszubildenden und der Pflegekräfte stehen. Einen Schulterschluss des Pflegepersonals forderte Hedwig Francois-Kettner, Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit. „Wir müssen den Pflegeberuf auf neue Füße stellen“ erklärte sie.
Fazit der Diskussion - die Pflegeberufereform wird nicht alle Problem in der Pflege lösen. Aber sie kann zu einer höheren Attraktivität des Pflegeberufes beitragen. Es gibt noch zahlreiche zu lösende Fragestellungen. Die Veranstaltung gab mir und Bettina Müller viele wertvolle Anregungen und auch Orientierung für unsere weitere Arbeit.
Zum Schluss sprach Christine Vogler eine Einladung zu einem vor Ort Termin in der Wannsee-Schule aus, damit sich die Teilnehmenden davon überzeugen können, wie eine generalistische Ausbildung in der Praxis funktioniert. Ich werde Sie auf meiner Webseite rechtzeitig über den Termin informieren.