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Coming-out – und dann...?!

Die Ergebnisse der ersten bundesweiten Studie "Coming out - und dann?!" liegen vor. Vorgestellt wurde die Studie zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen am 6. November 2015 vom Bundesfamilienministerium gemeinsam mit dem Deutschen Jugendinstitut. Am Forschungsprojekt haben über 5.000 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 27 Jahren teilgenommen und von ihren Erfahrungen berichtet. Ich bin dankbar für diese Studie und unterstütze die hier erhobenen Forderungen. Der Druck der Broschüre wurde gefördert durch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.

Wie die Ergebnisse zeigen, erleben Jugendliche, deren sexuelles oder geschlechtliches Erleben sich nicht entlang heteronormativer Erwartungen entwickelt, die Zeit ihres inneren und äußeren Coming-outs ambivalent. Einerseits ist sie ein wichtiger Schritt der Autonomie- und Identitätsentwicklung, andererseits ist sie vielfach mit Unsicherheiten und Ängsten verbunden. Insbesondere der mitunter lange Zeitraum der Bewusstwerdung stellt für viele eine Belastung dar.

Politik muss handeln

„Der Bundesregierung ist es wichtig, die Sensibilisierung innerhalb der Gesellschaft für dieses Thema voranzutreiben und die Lebenssituation von LSBT* Jugendlichen und jungen Erwachsenen weiter zu verbessern", stellt die Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks heraus. Die anhand der Studienergebnisse erarbeiteten Handlungsbedarfe zeigen, wo Veränderungen notwendig sind, damit diesen Jugendlichen Unterstützung, Beteiligung und Chancengleichheit in ihrem Aufwachsen möglich werden.

  • Digitale Medien als Ressource ausbauen

Es braucht seriöse Internetpräsenzen, die bestehende Beratungs- und Freizeitangebote für lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und queere Jugendliche auf lokaler Ebene bündeln und allgemeine sowie rechtliche/medizinische Informationen bereithalten und an die sie ihre Fragen richten können (z.B. Beratung per Mail oder Chat).

  • Freizeit- und Beratungsangebote weiterentwickeln, ausbauen und unterstützen

Da nicht alle sich dezidiert an junge Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* und queere Jugendliche gerichteten Freizeit- und Beratungsangeboten für alle wohnortnah erreichbar sind, ist es umso wichtiger, dass sich die Regeleinrichtungen gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt öffnen und die MitarbeiterInnen sensibilisiert sind. Die offene Haltung des Trägers gegenüber den Gruppen der orientierungs*diversen und gender*diversen Jugendlichen muss deutlich erkennbar und sichtbar gemacht werden, u.a. auch damit die Akzeptanz seitens der BesucherInnen gestärkt wird.

  • Realistische Rollenvorbilder sichtbar machen

Das innere Coming-out ist oft eine lange Zeit der Unsicherheit. Es ist daher wichtig, die Vielfalt individueller Lebensentwürfe sichtbar zu machen, insbesondere solche, die - abseits medialer Inszenierung, Klischees und gesellschaftlicher Vorstellungen – auch aufzeigen, wie Lesben, Schwule, bisexuelle, trans* und queere Personen in der Gesellschaft leben. Jugendliche profitieren von lebensnahen Modellen und Erfahrungen, die die Individualität und Entscheidungsfreiheit der einzelnen Person in den Mittelpunkt stellen.

  • Diskriminierung in Schule, Ausbildung, Hochschule und Arbeit abbauen, Vielfalt fördern

LSBT* Lebensweisen werden in Bildungseinrichtungen und Arbeitskontexten kaum diskutiert. Die Berücksichtigung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Unterrichtsmaterialien, im Rahmen von Projekttagen oder Aufklärungsprojekten führt zu einer Sichtbarkeit und Auseinandersetzung mit diesen Themen. Schulen und Ausbildungseinrichtungen sollten zu angenehmeren Orten für junge Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* und queere Jugendliche werden.

  • Fachkräfte qualifizieren

Fachkräfte – z.B. ErzieherInnen, LehrerInnen, ÄrztInnen, TherapeutInnen, BerufsberaterInnen, AusbilderInnen, SozialpädagogInnen, Verwaltungsfachkräfte, TrainerInnen, MitarbeiterInnen der Jugendhilfe - arbeiten immer auch mit lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* oder queeren Jugendlichen - viele wissen es nur nicht und orientieren ihr Handeln häufig an den Lebensrealitäten und Bedarfen von heterosexuellen, cisgeschlechtlichen Jugendlichen. Entsprechende Fort- und Weiterbildungen erhöhen mehr Sensibilität und Wissen über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, entsprechende Lehrinhalte sollten bereits in die Ausbildungs- und Studiengängen verpflichtend implementiert werden.

  • Die Gesellschaft informieren und fordern

Auch die Gesellschaft braucht angemessene Informationen darüber, wie Lebensentwürfe außerhalb heteronormativer Vorstellungen aussehen. Aufklärung zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und Sichtbarkeit von alternativen Lebensformen trägt zu mehr Sensibilität bei, hilft Ressentiments zu begegnen und Klischees zu relativieren. Ein offenes, gesellschaftliches Klima erhöht die Sichtbarkeit von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* oder queeren Personen im Alltag und unterstützt den Abbau von Ängsten und Vorurteilen.

  • Lesbische, schwule und trans* Lebensweisen rechtlich gleichstellen

Lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und queere Jugendliche haben dieselben Lebensträume - Beziehung, Familie, angstfrei leben, etc. - und möchten gleiche Chancen und Rechte zu deren Verwirklichung haben, wie andere Gleichaltrige auch. Dringend geboten ist daher der Abbau rechtlicher Ungleichheiten, die aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität eines Menschen bestehen.

Hierzu gehören z.B. die rechtliche Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft in Fragen des Adoptionsrechtes der LebenspartnerInnen bzw. die Öffnung der Ehe, sowie die Depathologisierung von „Trans- und Homosexualität“. Der Zugang zu Krankenkassenleistungen im Rahmen eines Transitionsverfahrens sollte über eine nicht-pathologisierende Diagnose im Sinne der Gesundheitsfürsorge möglich sein.

  • Vielfalt in sozialwissenschaftliche Jugendforschung inkludieren

Auch Wissenschaft muss noch lernen, wenn sie alle Jugendlichen ernst nehmen will: Es braucht ausreichend differenzierter Erhebungs- und Auswertungsmethoden, deren Ausgangsperspektive nicht auf der heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit beruht, z.B. nicht nur nach den Geschlechterkategorien „weiblich“ und „männlich“ fragt. Wichtig ist, dass eine diversitätssensible Perspektive bei der Konzeption von sozialwissenschaftlichen Jugendstudien eingenommen wird.