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Persönliche Erklärung zur Abstimmung über den Bundeswehreinsatz gegen die Terrororganisation Da‘esh

Erklärung nach §31 GO BT der Abgeordneten MECHTHILD RAWERT

am 4. Dezember 2015 zur Abstimmung über das von der Bundesregierung zur konstitutiven Beschlussfassung vorgelegte Mandat zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation „Islamischer Staat.

Nach Abwägung nachfolgender Umstände stimme ich nach bestem Wissen und Gewissen in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit beim vorgelegten Mandat mit „Enthaltung“:

Mit großer Sorge blicke ich auf die Lage in Syrien und auf die ganze Region. Seit Beginn der friedlichen Proteste syrischer Oppositionsgruppen im Zusammenhang mit dem Arabischen Frühling Anfang 2011 hat das Assad-Regimes auf eine militärische Eskalation gesetzt. Die syrischen Regierungstruppen haben systematisch zivile Ziele angegriffen und im Laufe des Krieges sogar chemische Waffen eingesetzt. Im Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen Giftgaseinsatz Syriens ist es den Vereinten Nationen gelungen, auf der Grundlage eines Sicherheitsratsbeschlusses die chemischen Waffenbestände Syriens zu sichern und diese unter maßgeblicher Hilfe auch von deutscher Seite zu vernichten.

Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) sprach im Zusammenhang mit dem zur Abstimmung stehenden Mandat nun aber von einem möglichen "politischem Zweckbündnis auf Zeit" mit dem syrischen Diktator Bashar al-Assad - eine politische Vorstellung, der ich meine Stimme nicht geben will.

Einschätzung der rechtlichen Grundlage

In mittlerweile drei Resolutionen - die Resolution 2170 vom 15. August 2014, die unter Kapitel VII der UN-Charta Maßnahmen gegen ISIS, Al Qaida und mit ihnen verbündeten Terrorgruppen beschlossen hat, die Resolution 2199 vom 12. Februar 2015 sowie die Resolution 2249 vom 20. November 2015 - hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen festgestellt, dass von dieser Terrororganisation weltweit eine Bedrohung für den Frieden und die internationale Sicherheit ausgeht. Nach den barbarischen Terroranschlägen in Paris hat sich Frankreich als erster Mitgliedstaat der EU auf die Beistandsklausel in Artikel 42 Absatz 7 des Lissabon-Vertrages berufen. Die Bundesregierung hat nach intensiver Prüfung Frankreich militärische Fähigkeiten im Kampf gegen Da‘esh angeboten. Hierzu gehören sowohl Aufklärungs- und Luftbetankungsflugzeuge sowie eine Fregatte zum Schutz eines französischen Flugzeugträgers. Zusätzlich zum Aufruf des Sicherheitsrates an die Staatengemeinschaft, alle notwendigen Maßnahmen gegen den barbarischen Terror zu ergreifen, erfolgen Deutschlands militärische Beiträge, soweit die kollektive Selbstverteidigung zugunsten von Frankreich geleistet wird, auch in Erfüllung dieser EU-Beistandsklausel. Ich bin davon überzeugt, dass damit zusammengenommen eine ausreichend legitimierte rechtliche Grundlage für einen militärischen Einsatz gegeben ist.

Fördert ein militärischer Beitrag Deutschlands die Terrorgefahr?

Längst ist der nun fünfjährige syrische Bürgerkrieg zu einem regional und international beeinflussten Krieg eskaliert. Insbesondere die aus dem Irak stammende terroristische Gruppe, die sich selbst fälschlicher- und überheblicherweise „Islamischer Staat“ nennt, hat seit 2014 mehr und mehr an Macht und Einfluss gewonnen. In den von ihr kontrollierten Gebieten im Irak und in Syrien hat der Da‘esh ein Terrorregime errichtet. Nach den anfänglich ausschließlich auf den Irak und Syrien konzentrierten terroristischen Aktivitäten hat der Da‘esh und ihm nahstehende Gruppen und Einzelpersonen einen Strategiewechsel vollzogen. Sie tragen den brutalen Terror mit hunderten von Toten und Verletzten nun in zahlreiche Gesellschaften: Die Terroranschläge im tunesischen Badeort Sousse, in Beirut, in Ankara, über der Sinai-Halbinsel und zuletzt in Paris zeugen davon. Der Da‘esh richtet sich gegen unsere „westlichen“ Werte von Offenheit und Pluralität und die dadurch möglichen vielfältigen Lebensformen. Deutschland steht im Fokus der Da‘esh, Terroranschläge sind möglich - dieses aber nicht erst aufgrund dieses militärischen Beitrags.

Unklarheiten hinsichtlich Dauer und möglicher Ausweitung des militärischen Beitrags

Selbstverständlich ist die Überlegung unseres Bundesaußenministers Frank-Walter Steinmeier bedenkenswert: „Wenn wir nicht verhindern, dass sich der IS noch weitere Teile Syriens unter den Nagel reißt, dann wird in Syrien nichts übrig bleiben, was wir befrieden und durch einen politischen Prozess in eine andere, hoffentlich bessere, Zukunft überführen können.“. Ob die daraus von der Bundesregierung vollzogene Eile auch im Hinblick auf das parlamentarische Verfahren wirklich notwendig war, ziehe ich in Zweifel. Jede Parlamentarierin, jeder Parlamentarier weiß, dass es keine militärische Lösung geben wird. ExpertInnen äußern, dass dieser Einsatz wohl 10 Jahre andauern werde und dass ein Krieg gegen den Da‘esh ohne Bodentruppen nicht zu gewinnen ist. Wer aber führt in dieser Zeitspanne den Kampf am Boden? Der Deutsche Bundestag hat im letzten Jahr mehrheitlich entschieden, die kurdische Regionalregierung im Nordirak in Abstimmung mit der irakischen Zentralregierung mit militärischer Ausbildung und Ausrüstung in ihrem Abwehrkampf gegen Da‘esh im Irak zu unterstützen. Seitdem sind zwar mehrere besetzte Gebiete im Norden Iraks von den kurdischen Peschmerga zurückerobert worden. Diese alleine reichen als Bodentruppen aber nicht aus. Wer werden die anderen sein? Gibt es bei diesem militärischen Einsatz eine Perspektive für einen geordneten Friedensprozess? Oder laufen die Regionen durch ein möglicherweise vorschnelles militärisches Eingreifen Gefahr, weiter destabilisiert zu werden?

Eine politische Lösung für den Syrienkonflikt wird angestrebt

Ich anerkenne die großen Anstrengungen insbesondere von Außenminister Frank-Walter Steinmeier für eine politische Lösung. Im November 2014 wurde auf seine Initiative in Berlin eine erste Konferenz zur Bündelung der Kräfte zur humanitären Hilfe durchgeführt. In Wien haben die diplomatischen Anstrengungen für ein Ende der Kampfhandlungen in Syrien - unter anderem unter Einbeziehung auch des Iran und von Saudi Arabien - begonnen. Das Ziel von Frank-Walter Steinmeier war und ist es, den Vereinten Nationen und ihrem Sonderbeauftragten, Staffan Domingo de Mistura, eine führende Rolle in diesem politischen Prozess zur Konfliktregelung (Konferenzen in Wien) zu verschaffen. Der UN-Sondergesandte hat bereits vier Arbeitsgruppen unter Einbeziehung der Konfliktparteien (ohne Da‘esh) zu Kernfragen des Konflikts gegründet. Aus den Ergebnissen der vier Arbeitsgruppen könnte die Grundlage für eine Vereinbarung geschaffen werden, um einer politischen Konfliktregelung näher zu kommen.

Die Arbeitsgruppe für Militär, Sicherheit und Terrorabwehr wird vom deutschen Nahost-Experten Prof. Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), in Berlin geleitet. An diesem die Bundesregierung häufig beratenden Institut ist auch Markus Kaim, Senior Fellow der Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik, tätig. In einem ZEIT-ONLINE-Interview verweist er auf Fragen, die auch mich sehr bewegen: Was passiert wann - unter anderem bei einem schnellen Sieg - überhaupt mit den zurückeroberten Gebieten und den Regionen, aus denen der Da‘esh verdrängt wird? Fallen diese an das syrische Regime zurück? Bilden sie den Keim für einen Kurdenstaat? Werden sie einem internationalen Protektorat zum Schutz der Zivilbevölkerung unterstellt?

Der Konsens der „Militär-Partner“ ist die gemeinsame Absicht, gegen den Da‘esh vorzugehen. Was wird aus ihnen als „Friedens-Partner“? Mir macht sehr große Sorge, dass die beim Militärschlag vereinten Partner untereinander so viele verschiedene und teilweise so gegensätzliche Interessen verfolgen. So würde ich mir beispielsweise die Beziehung Russland - Türkei fast gerne als „eisig“ vorstellen, bin aber ehr von sehr „heiß“ überzeugt. In der unübersichtlichen Gemengelage zwischen den USA, Russland, der Türkei, der EU, Saudi-Arabiens sowie dem Assad-Regime wird mir aber keine andauernd klare Strategie erkennbar.

Meiner Meinung nach muss im Hinblick auf eine nachhaltige politische Friedensaufbauperspektive auch die Rolle Saudi-Arabiens, Irans und Katars debattiert werden. Diese Diskussion fehlt mir in diesem Zusammenhang.

Den Militäreinsatz übergreifende politische Maßnahmen sind erforderlich

Wir alle sind uns einig, dass die Anwerbung und Ausreise von ausländischen terroristischen Kämpfern und Kämpferinnen nach Syrien unterbunden werden muss. Der illegale Verkauf von Öl und anderen Ressourcen sowie der ungehinderte Finanzzufluss an die Terrormiliz Da‘esh - oftmals durch staatliche Institutionen geduldet oder gar organisiert - ist mit allen Mitteln zu unterbinden. Darüber hinaus ist es unabdingbar, dass Da‘esh-Kämpfer der unkontrollierte Zugang zu anderen Staaten in der Region verwehrt wird. Hier kommt der Türkei eine maßgebliche Rolle zu. Wie wird dieses sichergestellt?

International und national dürfen wir nicht zulassen, dass sich der Da‘esh-Terror zu einem „Kampf der Kulturen“ entwickelt. Nach wie vor sind die meisten Da‘esh-Opfer selber Muslime. Hetze gegen Flüchtlinge und die Ausgrenzung von Menschen muslimischen Glaubens muss unterbunden werden. Im Gegenteil: Unsere Anstrengungen zur Integration insbesondere junger Muslime und Muslima müssen gesteigert werden, um Parallelgesellschaften und Ghettobildungen zu verhindern. Ebenso müssen sogenannte „Ausländische Kämpfer“ daran gehindert werden, in die Kriegsgebiete ein- und auszureisen. Es ist Aufgabe unseres Rechtsstaates als auch unserer Zivilgesellschaft, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen vorzugehen. Wir brauchen einen gesamtpolitischen Ansatz. Über diesen hätte ich gerne ausführlicher im Deutschen Bundestag debattiert.

In Anbetracht der über 6 Millionen Binnenflüchtlinge und über 4 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern und in Europa müssen wir weiterhin humanitäre Hilfe und die sogenannte Übergangshilfe leisten. Seit 2012 haben wir hierzu über 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Im Haushalt 2016 haben wir den Ansatz für Humanitäre Hilfe und die zivile Krisenprävention um über 400 Millionen Euro erhöht. Es gilt, unser Engagement für die Flüchtlinge und Hilfsbedürftigen in der Region in Abstimmung mit unseren internationalen Partnern und den Partnerorganisationen vor Ort fortzusetzen und wo möglich und nötig zu verstärken.