Die Pflegeinfrastruktur vor Ort entscheidet darüber, ob Pflegebedürftige so lange wie möglich in ihrem vertrauten Umfeld bleiben können. Kommunen spielen daher eine zentrale Rolle bei der Pflegeversorgung. So ist eine kommunale Steuerung der Pflege sinnvoll und notwendig. Eine gute Pflegeinfrastruktur kann zu einem Standortvorteil für Städte, Landkreise und Gemeinden werden. Das waren wichtige Erkenntnisse der Konferenz „Pflegefreundliche Kommune: Wie sich die Kommunen in Zukunft aufstellen müssen“ am 23. November 2015. Die Bundestagsabgeordneten Petra Crone, Bernhard Daldrup, Hilde Mattheis und Mechthild Rawert hatten im Namen der SPD-Bundestagsfraktion PflegeexpertInnen eingeladen, um darüber zu diskutieren, wie sich die Kommunen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels aufstellen müssen.
Dabei geht es letztlich um die Frage - wie wollen wir leben? Wir reden letztlich über uns selbst, wir alle wollen in Würde altern und in Würde gepflegt werden. Wir werden älter und bunter. Das bedeutet mehr kultursensible Pflege. Kultursensible, gendersensible Pflege, aber auch Gewalt in der Pflege müssen thematisiert werden, betonte Petra Crone.
Pflege muss sich den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen. Was brauchen die Kommunen, um zugewanderte und hier geborene Pflegebedürftige hinsichtlich gesellschaftlicher Teilhabe zu unterstützen? Wie kann der flächendeckende Ausbau einer bedarfsgerechten und individuellen Pflegeberatung gelingen?
Der Stellenwert der Pflege in den Kommunen steigt
Im Unterausschuss Kommunales des Deutschen Bundestags gab es einen einstimmigen Beschluss für das Pflegestärkungsgesetz II (PSG II), erklärte Bernhard Daldrup. Die Grünen und Linken Abgeordneten enthielten sich der Stimme, was für Oppositionsparteien eigentlich unüblich ist. Das zeigt, welchen Stellenwert die Pflegepolitik für die kommunale Ebene mittlerweile besitzt, berichtete der kommunalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Damit wird auch deutlich, unsere Pflegepolitik ist auf dem richtigen Weg.
Kommunen und Länder müssen eine Pflegeinfrastruktur aufbauen, betonte Hilde Mattheis. Die gesundheitspolitische Sprecherin beklagte, dass kommunale Sozialstationen in den letzten Jahren und Jahrzehnten zurückgefahren wurden. Es bedarf aber einer sozialraumorientierten Planung. Für eine gute Pflegeinfrastruktur und Pflegeberatungsstruktur müssen Kommunen und Länder ins Boot geholt werden. Nach der Verabschiedung der großen Pflegestärkungsgesetze I und II haben wir daher jetzt das Pflegestärkungsgesetz III im Blick. Die gemeinsam von VertreterInnen des Bundes, der Länder und der Kommunalen Spitzenverbände erarbeiteten „Empfehlungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Stärkung der Rolle der Kommunen in der Pflege“ bilden dafür eine gute Grundlage.
Eine pflegefreundliche Infrastruktur ist eine zentrale Herausforderung für unsere Städte, Landkreise und Gemeinden. Für eine möglichst gute Lebensqualität soll Pflegebedürftigen ein hoher Grad an Selbstständigkeit und Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht werden. Zugleich gibt es eine hohe Bereitschaft von älteren Menschen sich sozial zu engagieren. Hier wird von Teilhabe für alle und Teilgabe durch alle gesprochen, erklärte Bernhard Scholten, Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz. In den Kommunen sind sehr unterschiedliche demografische Entwicklungen zu verzeichnen. Je mehr Vereine in einem Dorf aktiv sind, umso lebendiger ist es und hat Zukunft. Die Attraktivität von Kommunen steigt mit der Qualität der Pflegeinfrastruktur.
Wir brauchen eine kommunale Pflegeplanung
Aus der konkreten kommunalen Praxis beschrieb Dr. Dagmar Schlapeit-Beck die derzeitige Pflegeversorgung. Die Göttinger Dezernentin für Kultur und Soziales machte deutlich: „Kommunen spielen eine zentrale Rolle bei der Pflegeversorgung“. Die Grundversorgung darf nicht nur durch den Markt geregelt werden, warnte sie. Schlapeit-Beck verwies auf den BARMER GEK Pflegereport 2015 zum Schwerpunktthema: Pflegen zu Hause. Dieser konstatiert Über-, Unter- und Fehlversorgungen. Kommunale Pflegeplanung steht in Konkurrenz zum privaten Pflegemarkt. Die bestehende Anbieterorientierung führt zu einem Bettenüberhang in stationären Einrichtungen. Die Folge ist ein Konkurrenzkampf zwischen den Anbietern, der zu Lasten der Beschäftigten und der Qualität der Pflege geht. Die Renditeerwartungen der privaten Anbieter dürfen nicht die Richtschnur unserer Pflegepolitik sein, pflichtete ihr Hilde Mattheis bei. Eine angebotsorientierte Pflegelandschaft führt zu Fehlsteuerungen. Wir brauchen vielmehr eine bedarfsorientierte Pflegelandschaft, erklärte Schlapeit-Beck.
Drei Millionen Menschen sind an der Schwelle zur Pflegebedürftigkeit. Daher sind generationsübergreifende Stadtteilzentren notwendig, die niedrigschwellige generationsübergreifende und barrierefreie Angebote bereitstellen. Die Verschiebung der Pflegebedürftigkeit durch bessere Prävention und Rehabilitation spart langfristig Kosten.
Bisher gelten generationsgerechte bzw. altersgerechte Maßnahmen und Angebote als freiwillige kommunale Aufgaben. Angesichts der schwierigen finanziellen Situation der Kommunen, stehen viele sinnvolle Maßnahmen unter Finanzierungsvorbehalt. Hier wäre eine gesetzliche Grundlage hilfreich.
Nach 20 Jahren Pflegeversicherung werden heute mehr Menschen ambulant betreut als früher. Das entspricht dem Wunsch der Menschen, möglichst lange in ihrem vertrauten Umfeld zu leben. Es entwickeln sich große Unterschiede zwischen den Kommunen, ob mehr stationär oder ambulant gepflegt wird. Wo Kommunen steuern, gibt es durch bessere Angebote mehr ambulante als stationäre Pflege.
Eine gute Pflegeinfrastruktur kann zu einem Standortvorteil für Kommunen werden. Hier könnte das Programm Soziale Stadt auch als Leitbild für den Ausbau der kommunalen Pflegeinfrastruktur helfen, meinte Dr. Manfred Sternberg von der Bundes-SGK.
Ein wichtiges Fazit der Konferenz: eine kommunale Steuerung und gemeinsames Planen aller AkteurInnen sind sinnvoll und notwendig.
Unabhängige Pflegeberatung ausbauen
Die Leistungsvielfalt in der Pflege ist für die einzelnen Menschen schier unüberschaubar. Hier ist eine qualifizierte und unabhängige Pflegeberatung nötig. Doch die Qualität der Pflegeberatung fällt derzeit ebenso wie ihre Anzahl von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich aus. In Baden-Württemberg gibt es in jedem Landkreis nur einen Pflegestützpunkt, in Sachsen gar keine, in Berlin sind in jedem Bezirk zwei zu finden. Mehr dezentrale Pflegestützpunkte sind dringend nötig. Für die Qualität der Beratung ist zudem die Unabhängigkeit der BeraterInnen entscheidend, erklärt Mechthild Rawert.
Die Bund-Länder Arbeitsgruppe schlägt vor, dass ab 2018 in 60 Modellkommunen eine umfassende Beratung aus einer Hand erfolgen soll. Das Programm soll fünf Jahre laufen. Gefordert wird auch ein Initiativrecht der Kommunen für Pflegestützpunkte.
Knackpunkt Finanzierung
Ein vorhersehbarer Knackpunkt wird die Finanzierung einer verbesserten Pflegeinfrastruktur werden: soll es steuerfinanziert werden oder mit Versichertengeld bezahlt werden? Es müssen Anreize für gute Pflegeinfrastruktur gesetzt werden. Mit den Mitteln aus der Pflegeversicherung könnte hier ein Anfang gemacht werden, erklärte Mattheis. Dabei darf es aber keineswegs bleiben. Auch Kommunen müssen investieren. Es geht um eine würdevolle Zukunft für uns alle.