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Bundesteilhabegesetz - es kommt! Das ist sehr wichtig

Es geht um Teilhabe und um eine inklusive Gesellschaft. Seit dem 26. April 2016 liegt der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vor. Seitdem wird der Gesetzentwurf in der Zivilgesellschaft intensiv diskutiert. Und das ist gut so.

Voraussichtlich soll der mittlerweile veränderte Referentenentwurf am 28. Juni 2016 vom Bundeskabinett beschlossen werden. Nach der Zuleitung in den Bundesrat wird dieser Kabinettsentwurf Grundlage der parlamentarischen Beratung zum BTHG. Diese beginnt mit der ersten Lesung voraussichtlich im September. Ich freue mich auf die weiterhin intensiven Debatten.

Ich werde mich sehr dafür einsetzen, dass wir ein gutes Bundesteilhabegesetz beschließen - der Einstieg in ein solches ist von herausragender Bedeutung. Keine Verabschiedung eines Bundesteilhabegesetzes, wie es derzeit einige Interessensgruppen proklamieren, kommt für mich nicht in Frage.

Teilhabe statt Diskriminierung

Deswegen hatte ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen Eva Högl und Kerstin Tack zu einer Fraktion vor Ort Veranstaltung am 31. Mai 2016 in den Bundestag geladen. Uns war es wichtig, über den Gesetzentwurf zu informieren und bereits jetzt die Anregungen und Kritikpunkte aufzunehmen, obwohl der Gesetzentwurf den Bundestag noch gar nicht erreicht hat. Uns war es wichtig, über den in der Zivilgesellschaft kontrovers diskutierten Referentenentwurf und über das weitere Verfahren zu informieren und bereits jetzt Anregungen und Kritikpunkte aufzunehmen. Ich begrüße die breite gesellschaftliche Diskussion. Sie sorgt sie dafür, dass die Anliegen von Menschen mit Behinderung aus dem Nischendasein ins Rampenlicht der gesellschaftlichen und politischen Debatte gelangen.

Weit über hundert Interessierte sind unserer Einladung in den Vorstandssaal der SPD-Fraktion gefolgt. Als kompetente ImpulsgeberInnen schilderten Raul Krauthausen, Norbert Müller-Fehling und Dr. Irene Vorholz ihre Bewertungen des Bundesteilhabegesetzes.

Raus aus der Schonraumfalle möchte Raul Krauthausen, Vorsitzender des Vereins Sozialhelden: „Es gibtFahrdienste, Werkstätten, Therapien und ganze Studiengänge, die sich mit uns beschäftigen. Alle wissen, was gut für uns ist. Nur angeblich wir selber nicht. Wir nennen es die „Schonraumfalle“. Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen zeige den Weg der Schonraumfalle hinaus.

Das Risiko, dass sich nichts ändert, geht zu Lasten der Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf, betonte Norbert Müller-Fehling. Er ist Geschäftsführer des Bundesverbandes für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V., einem Dachverband von 270 Selbsthilfeorganisationen, die insbesondere die Interessen von Familien mit schweren oder mehrfach beeinträchtigten Menschen vertreten.

Die Sozialdezernentin des Deutschen Landkreistags, Dr. Irene Vorholz, schilderte die Erwartungen der Leistungsträger an das Gesetz. Sie bewertete positiv, dass die Träger der Eingliederungshilfe einen Erstattungsanspruch an andere Leistungsträger erhalten.

In der lebhaften Diskussion kamen viele Aspekte, Kritikpunkte, Anregungen und Wünsche der Teilnehmenden zur Sprache. Da die SPD-Fraktion er ermöglicht hat, eine Gebärdendolmetschung zur Verfügung zu haben, konnten sich auch Menschen mit Hörbeeinträchtigung aktiv an der Debatte beteiligen.

Worum geht es im Bundesteilhabegesetz?

Im Mittelpunkt des Bundesteilhabegesetzes steht die Reform der Eingliederungshilfe, die aus dem System der Sozialhilfe herausgeführt und in das Sozialgesetzbuch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - integriert wird.

Insgesamt leben in Deutschland gut 7,5 Millionen Menschen mit Schwerbehinderungen. Weitere 16,8 Millionen sind von Behinderungen bedroht. Das BTHG ist eines der größten sozialpolitischen Vorhaben dieser Legislaturperiode. Es soll zur weiteren Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in deutsches Recht dienen.

Um den Aspekt der Teilhabe zu stärken, wurde ein innovativer und mutiger Weg beschritten - anders als bei anderen Gesetzgebungsverfahren, betonte Kerstin Tack. Vor der Erarbeitung des Referentenentwurfs hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen breit angelegten Dialog mit Betroffenenverbänden geführt. In diesen Gesetzgebungsprozess brachten sich die Betroffenen, ihre Selbsthilfeorganisationen und Verbände gemäß dem Motto „Nichts über uns ohne uns“ aktiv ein. Dieser partizipative Prozess ist bislang einmalig, erklärte Tack.

Zentraler Punkt ist die geplante Herauslösung der Eingliederungshilfe aus dem System der Sozialhilfe. Der Paradigmenwechsel - weg vom Fürsorgedenken, hin zu einer echten Teilhabe - werde eingelöst. Menschen mit Behinderungen sollen die Unterstützung bekommen, die sie für ein selbstbestimmtes Leben brauchen. Der Systemwechsel ruft natürlich bei allen Beteiligten und Betroffenen eine gewisse Unsicherheit hervor.

„Die im Referentenentwurf zum Bundesteilhabegesetz vorgesehen Regelungen zur Einkommens- undVermögensanrechnung in der Eingliederungshilfe wird für zahlreiche Leistungsberechtigte zu deutlichen Verbesserungen führen. So wird zum Beispiel das Einkommen und Vermögen von Ehe- oder Lebenspartnerinnen und -partnern ab 2020 überhaupt nicht mehr herangezogen. Zudem ist im Referentenentwurf eine Übergangsregelung vorgesehen, mit der sichergestellt wird, dass Menschen mit Behinderungen, die bereits jetzt Eingliederungshilfe beziehen und ihr Einkommen im Rahmen des jetzt geltenden Rechts der Sozialhilfe teilweise einsetzen müssen, durch das Bundesteilhabegesetz nicht schlechter gestellt werden." Das hatte am Vortag die für den Gesetzentwurf im Bundesministerium für Arbeit und Soziales zuständige Parlamentarische Staatssekretärin, Gabriele Lösekrug-Möller (SPD), erklärt. Auch Bundessozialministerin Andrea Nahles wies Behauptungen, dass dieses Gesetz Leistungskürzungen beinhaltet oder gar in die falsche Richtung geht, klar zurück.

Im Bundeshaushalt sind finanzielle Mittel eingestellt, die sich bis zum Jahr 2020 auf 700 Millionen Euro belaufen. Es könnten jedoch nicht alle Wünsche erfüllt werden. Zumal im Koalitionsvertrag festgelegt worden sei, dass keine neue Ausgabendynamik erzeugt werden solle. Genau das befürchten Kommunen und Landkreise, erklärte Dr. Irene Vorholz. Die Sozialdezernentin des Landkreistages verwies auf die Stellungnahme des Deutschen Städtetages und des Landkreistages.

Der Gesetzentwurf gliedert in sich in drei Teile. So soll das neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) neu gefasst werden in einen Teil 1 zum Allgemeinen Rehabilitations- und Teilhaberecht, Teil 2 zur Eingliederungshilfe und Teil 3 zum Schwerbehindertenrecht. In drei Reformstufen soll das Gesetz bis zum Jahr 2020 in Kraft treten.

1.     Teil Rehabilitations- und Teilhaberecht

Im ersten Teil des SGB IX wird es eine Neuformulierung des Behindertenbegriffs gemäß UN-Behindertenrechtskonvention geben. Auf zunächst fünf Jahre befristet werden präventive Modellvorhaben festgelegt, die dazu beitragen sollen, eine wesentliche Behinderung oder chronische Erkrankungen zu vermeiden. Diese Modellvorhaben werden evaluiert und gegebenenfalls in Dauerrecht überführt. Über ein Teilhabeplanverfahren soll verbindlich und schneller „wie aus einer Hand“ geklärt werden, wer auf welche Leistung einen Anspruch hat. Eine unabhängige Teilhabeberatung ist vorgesehen, die dazu beitragen soll, dass Betroffene ihre Rechte besser wahrnehmen können. In den Beratungsstellen soll auch die sogenannte „Peer-Counseling-Methode“ angewandt werden. Das bedeutet Beratung von Menschen mit Behinderungen durch Menschen mit Behinderungen. Das Angebot setzt auf bestehenden Strukturen auf. Eine personenzentrierte Beratung ist zu begrüßen, erklärte Müller-Fehling. Er schlug vor, einen Rechtsanspruch auf Beratung und Unterstützung einzuführen. Auch sollten Monitoring- und Ombudsstellen auf Landesebene geschaffen werden.

Müller-Fehling schlug vor, sich vom alten Denkmodell, welches darauf abzielt, die Schwere der Behinderung festzustellen, zu lösen. Vielmehr sollten die Bedarfe der Menschen festgestellt werden.

Budget für Arbeit

Zur besseren Teilhabe am Arbeitsmarkt wird es künftig Alternativen zu den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) geben, zum einen durch weitere Anbieter und zum anderen durch das Budget für Arbeit. Der Weg in den ersten Arbeitsmarkt soll erleichtert werden. Dazu werden den Arbeitgebern, die Menschen mit Behinderungen einstellen, Lohnkostenzuschüsse von bis zu 75 Prozent des gezahlten Lohns gewährt. Zudem wird es ein Rückkehrrecht in die WfbM geben, wenn der Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt nicht gelingt. Die Stärkung von ArbeitnehmerInnenrechten, insbesondere für WerkstatträtInnen und Schwerbehindertenvertretungen, lobte Kerstin Tack. Auch Norbert Müller-Fehling begrüßte das Budget für Arbeit, bemängelte aber, dass Jugendliche mit Behinderung von der Berufsausbildung noch ausgeschlossen seien. Ich bedauere auch sehr, dass Jugendliche mit Behinderungen nicht in die Berliner Jugendberufsagentur einbezogen werden.

Ebenfalls im ersten Teil des SGB IX wird es eine Begriffsdefinition zur sozialen Teilhabe und einen damit verbundenen Leistungskatalog sowie Verbesserungen in der Frühförderung für Kinder und bei der Teilhabe an Bildung geben.

2.     Teil Eingliederungshilfe

Im zweiten Teil des SGB IX wird das Recht der Eingliederungshilfe geregelt. Anders als bisher sollen nicht mehr die Angebots- und Wohnformen die Leistungen bestimmen. Vielmehr steht der Mensch mit Behinderungen im Mittelpunkt, es soll das Prinzip der Personenzentrierung gelten. Es ist auch vorgesehen, dass bestimmte Leistungen für eine Gruppe von Menschen mit Behinderungen zusammengelegt werden können (Poolen), wie die Beförderung über einen Fahrdienst. Damit wird sowohl die Wirtschaftlichkeit der Leistungen im Auge behalten, aber es werden auch Leistungsangebote geschaffen, die für Einzelpersonen gar nicht erbracht werden könnten. Hierbei soll sehr differenziert vorgegangen werden. Das Poolen soll nur dann zum Zuge kommen, wenn es den Betroffenen zuzumuten ist. Das für die Eingliederungshilfe geltende individuelle Bedarfsdeckungsprinzip wird durch das Poolen nicht eingeschränkt.

Dazu entspann sich eine kontroverse Debatte. Zum „Zwangspoolen“ gäbe es berechtigte Bedenken und Befürchtungen, erklärte Krauthausen. Es bestehe die Angst, möglicherweise den Lebensmittelpunkt nicht selbst bestimmen zu können, führte Müller-Fehling aus. Das Poolen sei ein adäquates Mittel, wenn man sich dafür oder dagegen entscheiden könne. Das Wunsch- und Wahlrecht erfolge jedoch nach Wirtschaftlichkeitserwägungen. Die Finanzierung der Leistungserbringer nach Wirtschaftlichkeit hätte zur Folge, dass nur die Träger den Zuschlag erhalten, die sich im unteren Drittel befinden. Ziel müsse es sein, dass Leistungen ermöglicht werden, die heute noch nicht angeboten werden.

Aus anderen Gründen bewertete auch Irene Vorholz die Neuregelung der Eingliederungshilfe. Die offenen Formulierungen im Gesetzentwurf ließen erwarten, dass mehr Menschen als bisher ein Recht auf Eingliederungshilfe erhalten. Kommunen und Landkreise erwarten dadurch erhebliche Mehrkosten. In der Diskussion wurden auch Befürchtungen geäußert, dass aufgrund unklarer Formulierungen im Gesetzentwurf viele Gerichtsprozesse zwischen Menschen mit Behinderung und den Leistungsträgern die Folge seien.

Schnittstelle Pflege und Eingliederungshilfe

Das Zusammenfallen von Ansprüchen auf Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe ist eine große „Baustelle“ – an der habe ich mich schon in der vergangenen Legislaturperiode „abgearbeitet“. Betroffene verweisen darauf, dass sie nicht „in die Pflege abgeschoben werden“ wollen. Ein Problem sei die Bestimmung des Lebensmittelpunktes. Hier drohe eine Fremdbestimmung, befürchtete Müller-Fehling. Es dürfe keine Zwangseinweisung in stationäre Einrichtungen geben.

Einkommens- und Vermögensanrechnung

Die Einkommens- und Vermögensberücksichtigung in der Eingliederungshilfe wird verbessert. Menschen mit Behinderungen und ihre (Ehe-) Partnerinnen und Partnern sollen mehr finanziellen Spielraum erhalten. Bereits 2017 werden die Freibeträge für Erwerbseinkommen um bis zu 260 Euro monatlich und für das Vermögen von 2.600 Euro auf 25.000 Euro deutlich erhöht. Ab 2020 soll der Freibetrag für Vermögen dann 50.000 Euro betragen. Zudem wird ab diesem Zeitpunkt das Partnereinkommen freigestellt. Das Vermögen der PartnerInnen soll ab 2022 komplett freigestellt werden. Der Freibetrag für das Arbeitsförderungsgeld von WfbM-Beschäftigten in Höhe von 26 Euro monatlich wird verdoppelt.

Eine komplette Freistellung ist das langfristige Ziel der SPD, erklärte Tack. Das Bundesteilhabegesetz ist dazu ein erster und wichtiger Schritt. Deutliche Kritik an den geplanten Regelungen äußerte Raul Krauthausen. Es lohne sich für ihn derzeit nicht, mehr als 800 Euro im Monat zu verdienen. Auch die geltende Anrechnung des Einkommens und Vermögens von PartnerInnen sei diskriminierend für Menschen mit Behinderungen. Auch Menschen mit Behinderung erbringen Wirtschaftsleistung,sie verursachten nicht nur Kosten.

3. Teil: Schwerbehindertenrecht

Im dritten Teil des SGB IX sollen unter anderem die Mitwirkungsmöglichkeiten der Menschen mit Behinderungen in den WfbM gestärkt werden. So sollen Frauenbeauftragte gewählt werden können, die Zahl der Mitglieder in den Werkstatträten wird erhöht und eine überregionale Interessenvertretung soll finanziert werden. Bei der Schwerbehindertenvertretung in Betrieben und im öffentlichen Dienst sollen die Schwellenwerte für Freistellungen abgesenkt und Fortbildungsansprüche ausgeweitet werden. Zusätzlich soll die Schwerbehindertenvertretung durch eine Büroarbeitskraft entlastet werden.

Ein Mentalitätswechsel ist notwendig

„Wir wollen keine Sonderrechte sondern die Umsetzung der Menschenrechte“, erklärte eine Teilnehmerin. Das Gesetz solle keinen Kostendämpfungscharakter sondern Teilhabecharakter haben. Dafür ist ein grundlegender Mentalitätswechsel notwendig. Das ist auch mein Ansporn als stellvertretende Landesvorsitzende der AG Selbst Aktiv in der Berliner SPD. Daher habe ich es sehr begrüßt, dass die ReferentInnen und die TeilnehmerInnen ihre Wünsche hinsichtlich einer Weiterentwicklung des Referentenentwurfs konkret benannt haben.

Die Veranstaltung wird nicht die letzte zu diesem Thema sein. Das weitere auch notwendig sind, hat die Fülle der Diskussionsbeiträge, die Breite des Themenspektrums deutlich gezeigt. Angesichts der vielen Baustellen und Detailfragen besteht ein Bedarf an Austausch. Wir Bundestagsabgeordnete haben viele wichtige Anregungen durch diese Veranstaltung mitgenommen. Dafür herzlichen Dank. Ich freue mich auf den weiteren Dialog.

AnhangGröße
Impuls Raul Krauthausen Die Schonraumfalle.pdf153.32 KB
Impuls Norbert Müller-Fehling bvkm.pdf43.46 KB
Stellungnahme Städtetag Landkreistag.pdf238.59 KB