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Zukunft der Pflegeberufe

Den Zeitpunkt für die Fraktion vor Ort-Veranstaltung „Zukunft der Pflegeberufe“ konnte mein Bundestagskollege Dr. Karamba Diaby gar nicht besser wählen. Das entsprechende Gesetz zur Reform der Pflegeberufere sollte noch vor der Sommerpause verabschiedet werden. Leider wird es das aber nicht, sondern wird derzeit aus fadenscheinigen Gründen von Lobbyisten zerredet. Dabei haben die Ergebnisse der Evaluationen der zahlreichen Modellprogramme gezeigt, dass der generalistisch geprägte Ansatz von kooperierenden Praxiseinrichtungen und den Auszubildenden positiv bewertet wird.  Meine Meinung dazu: Damit wird die künftige Versorgungs- und PatientInnensicherheit gefährdet. Die GegnerInnen haben überwiegend monetäre Interessen für ihre Abwehr. Sollten diese „gewinnen“, wird das Berufsfeld Pflege bei den jungen Leute unattraktiver und auch bei diejenigen, die bereits im Berufsfeld sind. Bei einer Nichtumsetzung der Pflegeberufereform werden wir es kaum schaffen, die unterschiedliche Wertschätzung als auch Bezahlung der drei bisherigen Pflegeberufe grundlegend und nachhaltig zu verbessern. Mensch merkt: Ich bin richtig sauer über diese aktuellen Verzögerung.

Seit 2013 ist Dr. Karamba Diaby der SPD-Bundestagsabgeordnete für Halle an der Saale, Kabelsketal, Landsberg und Petersberg. Ich habe mich über seine Einladung zur Fraktion vor Ort Veranstaltung am 27. Juni 2016 in Halle sehr gefreut.  Als ExpertInnen zur Diskussion hatte im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara mit den zahlreichen PraktikerInnen geholt:

Zukunft braucht Pflege - der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff braucht Kompetenzveränderungen

Mit dem Pflegestärkungsgesetz II (PSG II) haben wir im Deutschen Bundestag Ende 2015 die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs beschlossen. Mit dem PSG II sind wie schon mit dem PSG I zahlreiche Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige, insbesondere für die wachsende Zahl demenziell Erkrankter, für pflegende Angehörige und die in der Pflege Tätigen verbunden. Der mit dem neuen, ab dem 1. Januar 2017 in Kraft tretenden neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff verbundene Paradigmenwechsel bringt zahlreiche Wirkungen, die weit über die Leistungsverbesserungen hinausgehen.

Das PSG II gibt Impulse zur qualitativen Weiterentwicklung der Pflege. Diese gehen mit neuen fachlichen Herausforderungen für die Pflegefachkräfte einher. Darauf verweisen PflegewissenschaftlerInnen immer wieder. Die Schaffung des neuen Berufsbildes Pflege entspricht diesem neuen Ansatz. Die Pflege(nden) muss über Handlungskonzepte verfügen, die auch eine Weiterentwicklung der Versorgung im Blick hat. Es bedarf insbesondere einer Erweiterung des bisherigen Pflegeverständnisses sowie einer Anpassung der Dokumentationssysteme.

Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff überwindet die Reduktion auf einen Hilfebedarf bei Alltagsverrichtungen. Künftig fließen in die Ermittlung der neuen Pflegestufen (ab dem 1. Januar 2017: Pflegegrade) körperliche Beeinträchtigungen sowie kognitive und psychische Einbußen und Verhaltensauffälligkeiten ein. In das neue Begutachtungssystem für die dann fünf Pflegegrade statt der augenblicklichen noch drei Pflegestufen fließt auch der Umgang mit krankheitsbedingten Anforderungen ein. Nicht mehr die erforderliche Pflegezeit dient als Maßstab bei der Ermittlung eines Pflegegrades sondern die Selbstständigkeit im Umgang mit den Krankheitsfolgen. Nicht mehr die Kategorie Zeit ist ausschlaggebend, sondern entscheidend ist, welche Fähigkeiten die pflegebedürftige Person noch hat und wie selbstständig sie ihren Lebensalltag noch gestalten kann.

Derzeit sind rund 2,6 Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Etwa zwei Drittel von Ihnen werden zu Hause versorgt. 2050 wird die Zahl der Pflegebedürftigen bei rund 4,4 Millionen Menschen liegen. Wir wissen außerdem: Der Beruf der Pflegerin ist ein „Knochenjob“. Viele Pflegefachkräfte verlassen die Pflege bereits nach wenigen Jahren, die Zahl der Frühverrentungen ist hoch. Schon jetzt wird vom Pflegenotstand gesprochen, dieser steigt noch in der Gesellschaft des längeren Lebens - wenn nicht aktiv gegengesteuert und die Attraktivität der Profession Pflege gesteigert wird.

Ein Baustein zur Verbesserung der mittelfristigen Rahmenbedingungen ist eine Modernisierung der Ausbildung. Seit den 90er Jahren wird darüber debattiert, ab 2000 wurden zahlreiche Modellprogramme durchgeführt und evaluiert. Auf dieser Grundlage wurde im Koalitionsvertrag im Konsens vereinbart, dass diese Legislaturperiode ein Pflegeberufereformgesetz verabschiedet werden soll. Ein Kernstück dieses Gesetzes ist die Schaffung eines neuen Berufsbildes Pflege durch die Zusammenlegung der bisher getrennten Ausbildungen in der Altenpflege und der (Kinder-)Gesundheits- und Krankenpflege. Wir reden von einer generalistischen Ausbildung. Hier sollen Kompetenzen erworben werden, die es den Pflegefachkräften ermöglichen, lebensphasen- als auch pflegesettingübergreifend eine qualifizierte Pflege zu erbringen. Mit dem Gesetz wollen wir Schulgeldfreiheit für alle garantieren, Vorbehaltsaufgaben für die Pflegefachkräfte definieren, die horizontale und vertikale Durchlässigkeit stärken und zusätzlich eine Akademisierung der Pflege institutionalisieren. Seit März 2016 liegen Eckpunkte zur Ausbildungs- und Prüfungsverordnung der dreijährigen Pflegeausbildung vor.

Die generalistische Ausbildung hat viele Potentiale

Folgender Aussage der Dekanekonferenz Pflegewissenschaft schloss sich Prof. Gabriele Meyer vorbehaltlos an: „Eine Regelung des Berufsvorbehalts, die generalistische Orientierung, der Ausweg aus der Starre der Heilkundeübertragung, die erstmalige Regelung der hochschulischen Qualifikation als Primärqualifikation, eine Orientierung der Pflegebildung an Kompetenzen, ein Nachjustieren der Lehrqualifikation und eine Differenzierung der Ebenen durchlässiger Pflegebildung sind

neben anderem aus unserer Sicht sinnvolle Elemente der Weiterentwicklung, die wichtige Schritte einer systemischen Pflegebildung in der Bundesrepublik darstellen. Sie sind grundlegende Voraussetzung für lebenslanges Lernen, berufliche Biographien und den Verbleib in der Pflege.“

Die Einführung des neuen Berufsbildes mit einer „modernen, anschlussfähigen und kritisch-reflexiven Berufsrolle“ ist mit mannigfachen Veränderungen in der Ausbildungsstruktur sowohl für die Pflegeschulen als auch die Einsatzbereiche verbunden. Prof. Gabriele Meyer verwies auf folgende Aspekte, die mit dem Pflegeberufereformgesetz verbunden sind:  

  • die erreichbare stärke Mobilität in Europa für Pflegefachkräfte,
  • auf das breitere Spektrum der zu erwerbenden Kompetenzen durch eine generalistische Ausbildung,
  • die Notwendigkeit erforderlicher spezifischer Fort- und Weiterbildungen nach Abschluss der Ausbildung, auf die längeren Einarbeitungszeiten in den Einrichtungen,
  • die einheitliche Finanzierung der beruflichen Pflegefinanzierung über Ausbildungsfonds auf Landesebene (Schulgeldfreiheit und Ausbildungsvergütung), an der sich alle Akteure des Pflegebereichs beteiligen,
  • die notwendige Ausstattung der Lehrenden „mit anderen Kompetenzen“ als bisher,
  • die Regelungen zu einem primärqualifizierenden Studium der Pflegewissenschaft an Hochschulen,
  • die Identifizierung von heilkundlichen Tätigkeiten, die sich besonders zur Übertragung bisher mit Arztvorbehalt behafteter Tätigkeiten auf Pflegende eignen (Delegation/Substitution).

Ob das Pflegeberufereformgesetz mehr Interesse und eine stärkere Akzeptanz für die Pflegeausbildung verschaffe? Die Antwort auf die Frage müsse spekulativ bleiben, da noch keine empirischen Untersuchungen vorliegen. Ich selber bin angesichts der zunehmenden Konkurrenz der Berufsbranchen im Hinblick auf immer weniger junge Menschen davon überzeugt. Gabriele Meyer mahnte an, dass die Sorge für die Alltagspflege auch didaktisch interessant aufbereitet werden müsse.

Die Pflegewissenschaftlerin bedauerte die derzeit häufig zu beobachtende Veränderungsresistenz. Sie hält die Pflegeberufereform für „vernünftig, um für Pflege neue attraktive Kompetenzprofile zu schaffen, den Weg zu bahnen, starre Berufszuständigkeiten von Medizin und Pflege zu überwinden durch Übernahme definierter heilkundlicher Kompetenzen mit dem Ziel der besseren und reibungsloseren Patientenversorgung, und schließlich der besseren wissenschaftlichen Fundierung der Pflege den Vorschub zu leisten“. Wir sind uns auch einig darin, dass die PatientInnen von einer Neuaufstellung der Kompetenzprofile in der beruflichen als auch der akademischen Pflegeausbildung profitieren werden. „Internationale Studien zeigen, dass ein höherer Anteil von Pflegenden mit Bachelorabschluss mit besseren Ergebnissen der Patientenversorgung einhergeht, d.h. mit geringerem Risiko für nicht geglückte Reanimation, weniger Dekubitus, weniger postoperativen tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien, kürzerer Krankenhausverweildauer und reduzierter Sterblichkeit.“ Wir brauchen auch eine evidenzbasierte Pflege.

Lebhafte Diskussion

Zu den anwesenden PraktikerInnen aus dem Feld der Pflege gehörten unter anderem VertreterInnen aus freigemeinnützigen als auch privaten Pflegeschulen, aus dem gastgebenden Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara, der Agentur für Arbeit, Forschungsinstituten, Berufsverbänden und den verschiedenen Fraktionen der Kommunal- und Landespolitik.

Die Fragen bezogen sich beispielsweise auf

  • die Durchlässigkeit im System Pflege – heute und nach der Reform
  • auf den In- und Output der dreijährigen Ausbildung
  • auf die Besonderheiten der Pflege auf dem Lande
  • die Kosten der Ausbildung
  • auf schulrechtliche Fragen und neue Verhandlungsgegebenheiten
  • auf die notwendige Stärkung der Selbstverwaltung in der Pflege
  • auf die unterschiedlichen (angestellt, freiberuflich, selbständig) Tätigkeitsformen in der Pflege
  • auf den derzeitigen Pflegenotstand ebenso wie den Notstand, Lehrkräfte zu finden.

Ich danke für diese tolle Veranstaltung und die regen Diskussionen. Die Berichterstattung in der Presse hat mich auch gefreut, zeigt es doch auf, dass Pflege in der Gesellschaft angekommen ist.

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Reform_Pflegeberufe Powerpoint.pdf628.91 KB
Präsentation Gabriele Meyer Reform aus wissenschaftlicher Perspektive.pdf96.33 KB