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Persönliche Erklärung zur Abstimmung über das Prostitutionsschutzgesetz

Persönliche Erklärung der Abgeordneten MECHTHILD RAWERT zum Abstimmungsverhalten nach § 31 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zum „Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“ (Drucksache 18/8556).

Ich stimme dem obigen Gesetzentwurf aus unten aufgeführten Gründen nicht zu.

Die SPD-Bundestagsfraktion will den Schutz der in der legalen Prostitution arbeitenden Frauen, Männer, Transmenschen in Deutschland verbessern. Dabei ist die Einschätzung über ihre Lage schwierig, da statistische Daten über eine Anzahl ebenso fehlen, wie Erhebungen über die Art ihrer Beschäftigung (u.a. in einem Prostitutionsbetrieb mit welcher Rechtstellung innerhalb des Betriebs, auf der Straße, etc.; nebenbei, gelegentlich oder für einen kurzen Lebensabschnitt tätig; etc.). Fachberatungsstellen schätzen, dass insgesamt mehr als die Hälfte aller Sexarbeitenden ausländischer Herkunft, zumeist aus Osteuropa, sind. Diese Ausgangslage erschwert ein Gesetz zum Schutz der in der Prostitution Tätigen, welches ihren unterschiedlichen - auch aufenthaltsrechtlichen - Lebenslagen gerecht wird.

Lange wurde in der Koalition um die Ausgestaltung des Gesetzes gestritten. Unbestritten war relativ schnell, die Mindeststandards für die Arbeitsbedingungen in den Prostitutionsbetrieben festzulegen und eine Erlaubnispflicht zum Betreiben von Prostitutionsstätten zu formulieren, sowie Kontrollrechte mit Sanktionsmöglichkeiten zu schaffen. Dies stärkt das Selbstbestimmungsrecht der Sexarbeitenden und beendet menschenunwürdige Geschäftsmodelle.

Aus der CDU/CSU-Fraktion kamen aber auch Forderungen wie Erhöhung des Mindestalters oberhalb der Volljährigkeitsgrenze und verpflichtende gesundheitliche Untersuchungen. Ich begrüße, dass sich diese Forderungen nicht durchgesetzt haben.

Gesundheitspolitische Erwägungen:

Gesundheitspolitische Maßnahmen und gesetzliche Regelungen müssen sowohl praxistauglich sein als auch in den gesundheitspolitischen Kanon passen. Gerade in der Gesundheitspolitik gilt es, die Selbstbestimmung des Menschen zu achten und zu stärken. Deshalb hat der Deutsche Bundestag 2001 beim Übergang vom Seuchenschutzgesetz zum Infektionsschutzgesetz auch einen Paradigmenwechsel vollzogen: Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) wurde „beauftragt“ die Bevölkerung in die Lage zu versetzen, selbst- und eigenverantwortlich mit der eigenen Gesundheit umzugehen. Der ÖGD hat nun die Aufgabe zu informieren und zu beraten. Im sensiblen Themenfeld sexuell übertragbarer Krankheiten ist mit § 19 Infektionsschutzgesetz ausdrücklich die anonyme Beratung zugelassen.

Im vorliegendem Gesetzentwurf ist im § 10 „Gesundheitliche Beratung“ festgeschrieben, dass Personen, die als Sexarbeitende tätig sind oder eine solche Tätigkeit aufnehmen wollen, eine gesundheitliche Beratung durch eine für den ÖGD zuständige Behörde angeboten wird. Gesundheitliche Beratungsangebote für Menschen in der Prostitution sind grundsätzlich begrüßenswert.

Aus meinem Wahlkreis Berlin-Tempelhof-Schöneberg, in dem ein europaweit bekannter Straßenstrich seit mehr als hundert Jahren besteht, weiß ich, dass die dort tätigen Sexarbeitenden sehr gern die freiwilligen und teilweise auch anonymen gesundheitlichen Beratungen und Hilfen annehmen - das Angebot deckt nicht die Nachfrage, so dass sogar Wartezeiten entstehen. Es wäre wünschenswert, diese freiwilligen Angebote durch das Gesetz auszubauen.

Stattdessen ist das bereitzustellende Beratungsangebot des ÖGD für die Sexarbeitenden verpflichtend. Zur Ausübung der Tätigkeit Prostitution muss künftig eine Registrierung erfolgen. Diese Anmeldung kann nur mittels Nachweis einer Bescheinigung über eine gesundheitliche Beratung erfolgen. Die gesundheitliche Beratung ist somit eine „Zwangsberatung“. Ich stimme mit den Fachberatungsstellen und Verbänden wie z.B. der Deutschen Aidshilfe überein, dass eine Zwangsberatung kontraproduktiv ist.

Gesundheitliche Beratungen sind nur „erfolgreich“, wenn die zu Beratenden offen für eine Beratung sind. Als Sozialpädagogin und Diplom-Pädagogin kenne ich die Grundsätze erfolgreicher Beratung: Der Beratungsbedarf hat von der zu beratenden Person auszugehen.

Mit den erzwungenen Beratungen für die Anmeldung und die Beratungswiederholungen nach 12 Monaten bzw. 6 Monaten für die unter 21-Jährigen, die weiterhin in der Prostitution arbeiten wollen, werden Ressourcen von SozialarbeiterInnen und ÄrztInnen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes gebunden - geschweige denn, dass sie alleine für die „Zwangsberatung“ in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Das Fachpersonal steht für den „echten“ Beratungsbedarf dann nicht mehr zur Verfügung. Es ist zu befürchten, dass das jahrelang durch den ÖGD aufgebaute Vertrauen verloren geht und Sexarbeitende mit gesundheitlichen Problemen oder Beratungsbedarf nicht mehr zum ÖGD gehen.

Laut Erläuterungen zum § 10 des Gesetzentwurfes sollen SozialarbeiterInnen und ÄrztInnen neben der gesundheitlichen Beratung dazu beitragen, Menschenhandel und Zwangsprostitution einzudämmen. Sie sollen eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, die es den Sexarbeitenden ermöglicht sich zu öffnen, wenn sie Opfer von Menschenhandel oder Zwangsprostitution sind. Doch Menschenhandelsopfer und Zwangsprostituierte werden von den Zuhältern und Menschenhändler unter Druck gesetzt, damit sie sich nicht als Opfer zu erkennen geben. Zudem werden Folgen des Erkennens einer Zwangslage von Sexarbeitende für die Bediensteten des ÖGD nicht definiert. Sie können lediglich den Beratungsschein verweigern. Dadurch wird eine Anmeldung unmöglich. Was geschieht dann aber den Opfern von Zwangsprostitution und Menschenhandel? Wie sollen sie erreichbar bleiben für Hilfseinrichtungen bzw. Polizei und Staatsanwaltschaft? Die ZuhälterInnen und MenschenhändlerInnen werden nicht zusehen bis der ÖGD eine Lösung gefunden hat. Aus der fachlichen Sicht der Großstadtgesundheitsämter und des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD) (vgl. ihre Stellungnahme zum Referentenentwurf) entspricht eine Anmelde- und Beratungspflicht nicht der Zielsetzung des Schutzes von in der Prostitution tätigen Personen. Sie stellen in ihrer Stellungnahme als Fazit fest: “Die vorgesehene Anmelde- und Beratungspflicht für Sexarbeitende stellt einen erheblichen Eingriff in Persönlichkeitsrechte dar. Sie ist in hohem Maße stigmatisierend und ungeeignet, mögliche Opfer von Menschenhandel und Gewalt zu identifizieren und zu schützen.

Eine Mitwirkung von Gesundheitsämtern bei der Umsetzung des Entwurfs stimmt nicht mit den geltenden Rechtsnormen überein, da sie im Widerspruch zum bewährten IfSG steht. Sie gefährdet zudem die Erfolge der auf Vertrauen beruhenden Präventionsarbeit der Gesundheitsämter.“ 

Finanzierung:

Die Kosten zur Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfes werden bis auf einen kleinen Bruchteil von 33.000 Euro für die Evaluation des Gesetzes den Bundesländern auferlegt. Die Bundesregierung schätzt die Kosten für den einmaligen Umstellungsaufwand für die Verwaltung auf etwa 11 Millionen Euro und den jährlichen Aufwand auf etwa 13 Millionen Euro - davon sollen allein einmalig 6 Millionen und jährlich 7 Millionen Euro auf den ÖGD entfallen. Die realen Kosten sind lediglich geschätzt, da es keine belastbaren Zahlen/Statistiken über die Anzahl der Sexarbeitenden gibt. Die Bundesregierung hat aus den unterschiedlichen vorliegenden Schätzungen, die von 150.000 bis 700.000 Sexarbeitende reichen, die Schätzung des Runden Tisches Prostitution NRW genommen und hochgerechnet, so dass zur Berechnungsgrundlage 200.000 Sexarbeitende und eine jährliche Fluktuation von 50.000 zustande kam. Daher kommt der Bundesrat – zu Recht – zu folgender Einschätzung. Dieser stellte fest, „dass die Kosten, die mit dem Gesetzentwurf für die Haushalte der Länder und Kommunen verbunden sein werden, im Gesetzentwurf nur unzureichend spezifiziert und ausgewiesen sind. In der Berechnung des Erfüllungsaufwandes der Verwaltung sind beispielsweise die Mehrkosten für Widerspruchsverfahren oder für Übersetzungen und Sprachmittlung nicht enthalten. Soweit in der Berechnung zu einzelnen Vorgaben des Gesetzentwurfs Kostenangaben zum einmaligen Umstellungsaufwand und zum dauerhaften jährlichen Aufwand gemacht werden, ist teilweise nicht erkennbar, auf welchen Berechnungsparametern (zum Beispiel Aufwand je Fall) diese beruhen. Daher ist die Berechnung nicht nachvollziehbar und prüfbar.“

Nachfragen in Berlin haben ergeben: Die Zahl der notwendigen Zwangsberatungen wird bundesweit auf 450.000 geschätzt, was einem zusätzlichen Personalaufwand von „mehreren Dutzend“ entspräche. Hinzukommen begleitende Kosten wie DolmetscherInnen mit medizinischer Fachkenntnis. Diese kosten 45 Euro die Stunde. Der Finanzierungsaufwand für die Länder wird also sehr viel höher liegen als im Gesetzentwurf angegeben.

Die Länder haben für ihre Haushalte keine valide Datenlage. Im meinem Bundesland Berlin ist zudem der Beschluss von Doppelhaushalten üblich. Der Haushalt für 2016/2017 wurde pünktlich beschlossen. Das Prostitutionsschutzgesetz soll zum 1.7.2017 in Kraft treten. Das Land Berlin hat keine Chance - nach einer eigenen validen Berechnung und damit auch Personalgestaltung - die entstehenden Kosten im Haushalt einzuplanen.

Datenschutz:

Prostitution in Deutschland ist nach wie vor mit einem Stigma belegt. Die Ministerialbeamtin, Claudia Zimmermann-Schwartz, aus dem Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen geht zu Recht davon aus: „die gesetzliche Vorgabe, sowohl die Anmeldebescheinigung als auch die Bescheinigung über die erfolgte Gesundheitsberatung mit sich zu führen, erhöht die Gefahr eines unfreiwilligen Outings sowie die Erpressbarkeit durch Kunden, die sich die Bescheinigungen vorlegen lassen können und damit persönliche Daten in Erfahrung bringen." Die Regelung stellt damit ein datenschutzrechtliches Problem dar.