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Antworten auf Fragen während des Runden Tisch Tempelhof-Schöneberg: Inklusion Jetzt! „Ziel ist die größtmögliche Teilhabe eines jeden einzelnen Menschen mit Behinderung“

Der Kabinettsentwurf zum Bundesteilhabegesetz (BTHG) wird derzeit intensiv diskutiert, insbesondere von den Mitgliedern des “Runden Tisch Tempelhof-Schöneberg: Inklusion Jetzt! - Weg frei für Menschen mit Lernschwierigkeiten”Deswegen bin ich der Einladung von Helena Scherer gerne gefolgt, um mit den Mitgliedern des Runden Tisches am 18. August 2016 im Tiele-Winckler-Haus in Lichtenrade zu diskutieren.

Derzeit erfolgen noch die unterschiedlichsten „Interpretationen“ des Gesetzentwurfes. In der augenblicklichen Phase - noch vor Beginn der parlamentarischen Beratungen - ist diese Situation vergleichbar zu Debatten bei anderen Gesetzes. Ich versuche regelmäßig zu informieren. Ich werde versuchen, noch im kommenden Quartal eine größere Informationsveranstaltung zu organisieren. Sie finden unten einige Antworten auf geäußerte Befürchtungen.

Der „Runde Tisch Tempelhof-Schöneberg: Inklusion Jetzt!“ setzt sich im Bezirk Tempelhof-Schöneberg für die praktische Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention für die Zielgruppe Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ein. Fast 30 VertreterInnen aus bezirklichen Vereinen, Trägern, Institutionen, dem Bezirksamt und Einzelpersonen mit Lernschwierigkeiten oder Angehörige von Betroffenen treffen sich alle sechs Wochen und erarbeiten konkrete Handlungsvorschläge, damit alle Menschen überall im bezirklichen öffentlichen Leben dabei sein und mitreden können.

Befürchtete Problemstellungen im BTHG

Obwohl ich nicht jede der in der Diskussion geäußerten Befürchtungen für gerechtfertigt halte, begrüße ich das intensive „Einmischen“ in den Gesetzgebungsprozess. Auch diese Diskussion zeigte auf jeden Fall, dass es zum BTHG noch zahlreicher erläuternder Veranstaltungen bedarf. Ich habe solche auch zugesagt.

Anwesend waren unter anderem VertreterInnen der FSD Lwerk Berlin Brandenburg gGmbH, einem Träger von therapeutischen Wohngemeinschaften und einem Integrationsfachdienst, des Integrativen Beratungszentrum e.V.des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg, der gastgebenden Einrichtung Tiele-Winckler-Haus GmbH.

Die Regionalleiterin Helena Scherer begann mit einem einführenden Vortrag. Im Fokus stehen Menschen mit kognitiven Einschränkungen bzw. schwerstmehrfachbehinderte Menschen. In ihren Ausführungen bezieht sie sich insbesondere auf die sechs Forderungen des Deutschen Behindertenrates. Befürchtungen werden also vor allem geäußert im Hinblick auf:

  • mögliche Einschränkungen des leistungsberechtigten Personenkreises,
  • mögliche Leistungsausschlüsse oder -einschränkungen bei der Trennung der Fachleistung von den existenzsichernden Leistungen,
  • kein zufriedenstellender Nachteilsausgleich, sprich unzureichende Anhebung der Freistellungsgrenzen beim Einkommen
  • den angestrebten Vorrang der Pflege vor der Eingliederungshilfe in bestimmten Wohnformen.

Deutlich zum Ausdruck gebracht wird die Forderung, dass „Betroffenenrechte nicht indirekt, z. B. über schlechte finanzielle und vertragliche Rahmenbedingungen für Anbieter“ beschnitten werden dürften. Befürchtet wird, dass für Einrichtungsträger eine finanzielle Abwärtsspirale beginnen könnte in Kraft träten. Breiten Raum nimmt die ablehnend geführte Diskussion zum „Poolen“ ein, einer im BTHG-Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahme im Leistungserbringungsrecht, nach der Versicherte Pflegeleistungen auch gemeinsam mit anderen Leistungsberechtigten - zum Beispiel den MitbewohnerInnen einer Pflegewohngemeinschaft - in Anspruch nehmen sollen. Ablehnende Äußerungen kam auch hinsichtlich der Reglungen zu einer „nicht qualifizierten Assistenz“ sowie zu möglichen Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechtes. Befürchtet wird auch die Sorge, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen schlechter gestellt werden als die mit physischen Beeinträchtigungen.

Einige Antworten auf die Befürchtungen

1. Leistungsberechtigter Personenkreis

Die neuen Zugangskriterien für die Eingliederungshilfe orientieren sich an dem neuen Verständnis von Behinderung der UN-Behindertenrechtskonvention, deren Umsetzung von Behindertenverbänden stets gefordert wird. Nicht mehr Defizite der Person, sondern Einschränkungen an der gesellschaftlichen Teilhabe entscheiden über Leistungen.

Der Kreis der Leistungsberechtigten soll durch die neue Zugangsregelung gegenüber dem jetzigen Personenkreis nicht eingeengt werden. Eine zusätzliche Ermessensregelung eröffnet darüber hinaus dennoch, dass Leistungen wie bisher auch dann erbracht werden können, wenn die Zugangskriterien nicht voll erfüllt sind, aber die Lebenssituation in vergleichbarer Weise Unterstützung erfordert.

2. Schnittstelle Eingliederungshilfe und Pflege

Der ebenfalls ab dem 1. Januar 2017 geltende neue Pflegebedürftigkeitsbegriff enthält Teilhabe-Elemente. Damit besteht teilweise ein Konkurrenzverhältnis zur Eingliederungshilfe, welches laut Bundesregierung durch eine klare Regelung aufgelöst werden muss, da bei einer Gleichrangigkeit von Eingliederungshilfe und Leistungen der Pflegeversicherung und der Hilfe zur Pflege es ansonsten zu unnötigen Doppelleistungen und Schwierigkeiten bei der Zuordnung der Leistungen zu einem Leistungsanspruch käme.

3. „Poolen“/Gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen

Wie die Leistung erbracht wird, wird gemeinsam mit den Menschen mit Behinderungen im Rahmen des neuen Teilhabeplanverfahrens beraten. Leistungen an mehrere Personen können nur dann gemeinsam erbracht werden, wenn dies für den Einzelnen zumutbar ist. Hierbei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände und neben wirtschaftlichen Kriterien auch die bisherige Leistungsgewährung zu berücksichtigen. Die gemeinsame Inanspruchnahme kann die Leistungserbringung auch erst möglich machen und damit Vorteile für Berechtigte schaffen. Eine Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechtes ist somit nicht erkennbar.

4. Kosten der Unterkunft in Einrichtungen

Menschen mit Behinderungen in Einrichtungen erhalten künftig als Kosten der Unterkunft die durchschnittlichen angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete eines Einpersonenhaushaltes zuzüglich eines maximal 25prozentigen Aufschlags.

Keine heutige stationäre Einrichtung, die ihre Plätze zu kostendeckenden Preisen anbietet, muss sich um ihren Fortbestand sorgen. Es gibt keine Belege dafür, dass Einrichtungen auf Grund der Neuregelung ihre Aufwendungen für angemessenem Wohnraum nicht refinanzieren können. Zukünftig können durch die Regelung sogar regelmäßig bis zu 25 Prozent höhere Aufwendungen als Bedarf anerkannt werden. Weitere über die angemessenen Wohnkosten hinausgehende Kosten können - sofern dies im entsprechenden Fall für die Teilhabe gerechtfertigt ist - über die Eingliederungshilfe getragen werden.

5. Einkommen und Vermögen

Kritisiert wurde, dass insbesondere Menschen mit geistiger Behinderung, die in Werkstätten arbeiten und für ihren Lebensunterhalt auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind, von den Verbesserungen der Vermögenfreigrenzen nicht profitieren. Für sie gilt weiterhin der Vermögensfreibetrag der Sozialhilfe, der bei 2.600 Euro liegt.

Tatsächlich kann eine Anhebung der Vermögensgrenze im Sozialhilferecht aus Gleichbehandlungsgründen (Art. 3 Grundgesetz) nicht isoliert nur für eine bestimmte Personengruppe erfolgen, sondern müsste dann für alle BezieherInnen von Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII gelten.

Fragen an das Land Berlin

Fragen, wie sich das Land Berlin, welches viele der Gesetze dann für Berlin ausgestaltet, zu einzelnen Punkten konkret verhält, konnte ich nicht beantworten. Hier müsste bei der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales nachgefragt werden.

Meine Zusage

Ich habe zugesagt, im parlamentarischen Beratungsprozess zu versuchen, die beabsichtigte Vorrangregelung Pflege vor Eingliederungshilfe in eine Gleichrangigkeit von Eingliederungshilfe und Pflege zu ändern. Diese Regelung sollte dann aber auch während der vorgesehenen Übergangszeit von 2017-2020 hinsichtlich ihrer Wirkungen evaluiert werden. Mir geht es dabei auch um das Vermeiden zahlreicher Gerichtsverfahren vor dem Sozialgericht.

Das BTHG wird ein wichtiger und neuer Meilenstein für den Inklusionsbereich sein, welches das Leben von Menschen mit Behinderungen verändert. Dem Gesetzgebungsprozess liegt ein umfangreicher partizipativer Dialogprozess mit VertreterInnen von Vereinen, Verbänden und Gesellschaften der Behindertenhilfe zu Grunde. Für mich ist - trotz der Proteste - klar: Ohne ein Bundesteilhabegesetz bleibt die Situation für die Menschen mit Behinderung so wie sie ist: sehr unbefriedigend.

Fest steht für uns gemeinsam: Wir wollen ein modernisiertes Teilhabegesetz, wollen eine gleichgestellte, inklusive Gesellschaft.