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Kinderehen: Der Kinder- und Jugendschutz hat höchste Priorität

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg über die Gültigkeit einer in Syrien geschlossenen Ehe zwischen einem erwachsenen Mann und einem damals 14jährigen Mädchen, die beide mittlerweile als Geflüchtete in Bayern leben, entfachte erneut eine Debatte über Kinderehen. Das Thema ist „plötzlich“ wieder präsent.

Das OLG Bamberg hat seinen bereits im Mai diesen Jahren getroffenen Beschluss mit viel Sorgfalt gefasst. Es hat nationales, europäisches und syrisches Recht bewertet und den Einzelfall geprüft. Rechtlich gesehen ist an der Entscheidung nichts zu beanstanden. Aber es widerspricht unserem Rechtsempfinden.

Um zu heiraten, muss mensch volljährig sein - aber auch in Deutschland gibt es Ausnahmen

Dieses Rechtsempfinden beruht auf unserem Verständnis der Ehe. Wer heiraten will, muss die Fähigkeit besitzen, Verantwortung für diesen Schritt übernehmen zu können und sich der Tragweite der Eheschließung bewusst sein. Denn zu den persönlichen Gründen – in der hoffentlich die Liebe zu einander im Vordergrund steht – gesellen sich die wirtschaftlichen Rechte und Pflichten zwischen den Ehegatten. Deshalb ist in Deutschland die Eheschließung Volljährigen vorbehalten. Nur in Ausnahmefällen kann ein Familiengericht die so genannte Ehemündigkeit einer heiratswilligen Person im Alter zwischen 16 und 18 Jahren feststellen und damit einer minderjährigen Person den Weg  zur Eheschließung frei machen.

Dieses Recht ist Ausdruck der in Deutschland gesellschaftlich gelebten Werte und Normen. Die Anerkennung der in Syrien geschlossenen Ehe zwischen einem Volljährigen und einer Minderjährigen hat uns in einen Wertekonflikt gestürzt. Die Gründe für die so genannten Kinderehen sind vielfältig. Neben der fehlenden Gleichstellung der Geschlechter in vielen Kulturen sind die Angst der Eltern vor Menschenhandel, das Tabu des Verlusts der Jungfräulichkeit vor der Ehe, eine ungewisse Zukunft für das Kind außerhalb der Ehe, fehlende Bildung, Arbeitslosigkeit, Armut, geografische und soziale Abgeschiedenheit, kriegerische Auseinandersetzungen, Auswanderung, Betonung überlieferter Werte und kultureller Traditionen Gründe für die Schließung von Kinderehen.

Die individuellen Gründe für die Schließung einer Kinderehe mögen im Einzelfall nachvollziehbar sein. Doch wir brauchen keine Einzelfallentscheidungen, sondern verlässliche Regeln. Wir müssen uns fragen, ob es Werte und Normen anderer Kulturen gibt, die als Grund zugelassen werden können? Dazu muss auch beantwortet werden, ob eine Eheschließung eines minderjährigen Mädchens mit unserem Verständnis von Frauen- und Menschenrechten in Einklang zu bringen ist? Welchen Stellenwert der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung einnimmt?

Kinderehen bringen erhebliche Gesundheitsrisiken für die jungen Mädchen mit sich

Als Gesundheitspolitikerin gehört für mich auch die körperliche und psychische Gesundheit elementar zur Rechtsfindung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht in Kinderehen erhebliche Gesundheitsrisiken für junge Mädchen und zwar nicht nur durch den Vollzug der Ehe. Seelisches Wohlbefinden und geistige Mündigkeit nähmen Schaden, weil den verheirateten jungen Mädchen Kindheit und Jugend verwehrt würden. Auch seelischer Missbrauch und häusliche Gewalt würden häufig vorkommen und persönliche Freiheiten würden beschränkt werden, weil keine Ausbildung abgeschlossen wird und weil Berufs- und Karriereperspektiven fehlen - all dies trüge zum Teufelskreis aus Armut, Frauendiskriminierung und Kinderheirat bei. Ich unterstütze die Forderung der WHO nach Studien zur Gesundheit von Kindern und Jugendliche. Dabei soll auch der Aspekt Kinderehe erforscht werden.

Die Hilfsorganisation CARE hat in ihrer 2015 veröffentlichten Studie „Vows of Poverty" ebenfalls ein Ende der Kinderehen gefordert.

Verstoßen die Kinderehen gegen die Istanbul-Konvention?

Deutschland will die von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates verabschiedete Istanbul-Konvention ratifizieren. Auf diesem Wege haben wir mit der Änderung unseres Sexualstrafrechts im Juli 2016 einen riesen Schritt gemacht - endlich! Doch stellt mit dem Bamberger OLG-Beschluss sich jetzt die Frage, ob das Anerkennen von im Ausland geschlossenen Ehen Minderjähriger mit der Istanbul-Konvention in Einklang zu bringen ist? Die Istanbul-Konvention stellt mit Artikel 37 Zwangsehen unter Strafe – allerdings nur im Rechtskreis des Übereinkommens. Es stellt auch Zwangs-Eheschließung im Ausland unter Strafe, jedoch nur wenn die Eheleute aus dem Geltungsgebiet des Übereinkommens stammen bzw. dort leben.

In Artikel 1 des Abkommens wird der Schutz aller Frauen vor Gewalt als Zweck definiert. Dies bedeutet m.E. auch die minderjährigen Ehefrauen vor Gewalt und Diskriminierung zu schützen.

Artikel 1 fordert die Vertragsparteien auch auf, die internationale Zusammenarbeit im Hinblick auf die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu fördern. Die Anerkennung Deutschlands von Kinderehen stünde diesem Ziel kontraproduktiv entgegen und würde m.E. die Ratifizierung hemmen.

Im Hinblick auf die Sexualstrafrechtsreform haben die Jugendverbände gefordert, dass das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ausnahmslos geschützt werden muss. Das gilt meines Erachtens insbesondere auch für Minderjährige.

SPD-Bundestagsfraktion: Der Kinder- und Jugendschutz hat höchste Priorität

Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich in ihrer Herbstklausur auch intensiv mit dem Thema Kinderehen auseinander gesetzt und hierzu beschlossen: „Niemand darf zu einer Ehe gezwungen werden, schon gar keine minderjährigen Mädchen. Ehen unter Zwang sind inakzeptabel. Kinder- und Jugendschutz hat auch für die Kinder von Flüchtlingen und Einwanderern höchste Priorität. Die Zwangsheirat ist bereits heute nach deutschem Recht strafbar, hiervon sind sowohl im In- als auch Ausland geschlossenen Ehen erfasst.“

Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion gibt es einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf, der

  1.  die Ehemündigkeit ohne Ausnahme auf 18 Jahre festlegt,
  2.  die Anerkennung im Ausland geschlossener Ehen auf das Mindestalter 18 Jahre begrenzt und Kindern, die im Ausland verheiratet wurden, die Möglichkeit der  Eheaufhebung bietet, und
  3.  die Wiedereinführung des 2009 abgeschafften Verbots der religiösen Voraustrauungen im Personenstandsrecht beinhaltet.

Denn bei allen Abwägungen muss der Schutz der Minderjährigen immer im Vordergrund stehen und wir müssen für die Minderjährigen eine klare Haltung zeigen. 

Heiko Maas (SPD) hat eine Bund-Länder-Kommission eingesetzt

Wir begrüßen die Einsetzung einer Bund-Länder-Kommission durch den Bundesminister der Justiz, Heiko Maas (SPD), begrüßt. Dieser hatte sich bereits im Vorfeld zum Thema Kinderehen mehrfach geäußert:

Ergebnisse der Bund-Länder-Kommission sollen bereits Ende des Jahres vorliegen.