Bereits 1994 gründeten engagierte KiezbewohnerInnen den Verein „Nachbarschafts- und Selbsthilfe-Zentrum Marienfelde Süd e.V.“, der seitdem seinen Sitz im ehemaligen Waschhaus der DEGEWO hat.
Der Gedanke, der dahinter steckte, war dass viele Menschen, die im Kiez wohnen – junge Familien mit Kindern, allein stehende Frauen und Männer und viele ältere Menschen- zwar dicht beieinander leben, dennoch sich oftmals einsam fühlen. So ist das „Alte Waschhaus“ zum Treffpunkt für Gespräche, für Selbsthilfegruppen und auch zum gemeinsamen Feiern geworden.
Bei Kaffee und Kuchen konnte ich, gemeinsam mit Ingo Siebert, dem Marienfelder Direktkandidaten der SPD für die Abgeordnetenhauswahl über die neue Pflegewelt, die uns am dem 1. Januar 2017 erwartet, informieren und diskutieren.
Mit Ingo Siebert, der Sozialpädagogik und Sozialwissenschaft studiert hat und sich seit mehr als 20 Jahren für die soziale Stadtentwicklung engagiert, haben wir einen guten Mitstreiter für die Umsetzung der neuen Pflegewelt. Ingo Sieberts Anliegen ist es seit je her, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen nicht nur gemeinsam in einem Viertel mit bezahlbarem Wohnraum leben können, sondern dass sie ihren Kiez auch mitgestalten. Diese Herangehensweise passt wunderbar zum Kernelement der Pflegestärkungsgesetze. Denn wir wollen, dass die Menschen so lange wie möglich in ihrer persönlichen Umgebung, in ihren Wohnungen bleiben können und die Hilfe, die dafür notwendig ist, bekommen.
Die Pflegestärkungsgesetze
Bei den Pflegereformen spielen die Pflegestärkungsgesetze I, II und III eine dominante Rolle. Drei große Pakete mit differenzierten Schwerpunkten: Mit dem Pflegestärkungsgesetz I haben wir vor allem die Leistungen für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige ausgebaut und dynamisiert, unter anderem die Zuschüsse für Umbaumaßnahmen in den Wohnungen erhöht. Mit dem Pflegestärkungsgesetz II führen wir ab dem 1. Januar 2017 einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungssystem ein. Mit der differenzierteren Bepunktung kann die Lebenssituation der einzelnen Menschen mit ihren somatischen, psychischen und/oder kognitiven Beeinträchtigungen individueller betrachtet und in einem Pflegegrad erfasst werden. Mit dem neuen Pflegegrad 1 schaffen wir für bis zu 500.000 Menschen einen Leistungsanspruch, der es Menschen ermöglicht, Angebote der allgemeinen Betreuung und für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen in Anspruch nehmen zu können. An diesen Unterstützungen im Alltag fehlt es bis dato oft. Wir stärken auch aktiv das Prinzip „Reha vor Pflege“.
Pflegestützpunkte nutzen
Pflege ist ein Thema vor dem sich viele Menschen scheuen. Doch es ist ein wichtiges Thema, da die allermeisten Menschen damit in Berührung kommen. Sei es als pflegende Angehörige, als zu pflegende Person oder auch nur, weil mensch mitbekommt, dass in der Nachbarschaft jemand dringend Unterstützung braucht, weil er oder sie den Alltag nicht mehr allein bewältigen kann.
Aus diesem Grund haben wir bereits 2008 unabhängige Beratungseinrichtungen, die Pflegestützpunkte, eingerichtet. Mit dem Pflegestärkungsgesetz III bauen die Pflegeberatung aus. Die Pflegestützpunkte informieren, beraten und unterstützen unabhängig und kostenfrei bei allen Fragen zur Pflege sowie rund ums Alter und im Vorfeld von Pflege. Auf Wunsch koordinieren die Pflegestützpunkte die notwendigen Hilfen. Die Beratung erfolgt telefonisch, im Pflegestützpunkt oder auch bei den Betroffenen zu Hause. Die Tempelhof-Schöneberger Pflegestützpunkte befinden sich in der Pallasstraße 25 in Schöneberg, in der Reinhardtstraße 7 und am Mariendorfer Damm 161a in Mariendorf. Die Kontaktadressen zu allen Berliner Pflegestützpunkten finden Sie hier.
Zu den großen Pflegereformen gehört auch die Einführung der generalistischen Pflegeausbildung mit dem Pflegeberufereformgesetz. Bei fast allen Pflegeveranstaltungen, die ich in diesem und letzten Jahr veranstaltet habe, wurde richtigerweise auf das Problem des fehlenden Pflegepersonals hingewiesen. Ein Ansatz, dem Pflegenotstand qualitativ als auch quantitativ zu begegnen und die Attraktivität der Arbeit in der Pflege zu steigern, ist die Schaffung eines neuen Berufsbildes Pflege. Diese Reform ist sehr dringlich und soll noch in diesem Herbst beschlossen werden.
Eine weitere Schnittstelle zur Pflege bildet das Bundesteilhabegesetz. Im Koalitionsvertrag (S. 110 f.) wurde vereinbart, dass wir in dieser Legislaturperiode mit einem Bundesteilhabegesetz die Eingliederungshilfe reformieren und die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen weiter verbessern. „Wir wollen die Menschen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur eingeschränkte Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft haben, aus dem bisherigen „Fürsorgesystem“ herausführen und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickeln. Die Leistungen sollen sich am persönlichen Bedarf orientieren und entsprechend eines bundeseinheitlichen Verfahrens personenbezogen ermittelt werden. Leistungen sollen nicht länger institutionenzentriert, sondern personenzentriert bereitgestellt werden. Wir werden das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention berücksichtigen. Menschen mit Behinderung und ihre Verbände werden von Anfang an und kontinuierlich am Gesetzgebungsprozess beteiligt.“ Unser politisches Ziel ist: mehr Selbstbestimmung und Teilhabe für Menschen mit Behinderungen. Ende September werden wir mit der parlamentarischen Beratung beginnen. Näheres zum Verfahren lesen Sie hier.
Diskussion und Fragen
Gleich zu Beginn unserer Diskussionsrunde kam eine praktische Frage zu den Pflegegraden. „Muss ich neu begutachtet werden oder einen etwa einen neuen Antrag stellen?“ Nein! Die Umstellung auf Pflegegrade haben wir bereits im vergangenen Jahr beschlossen und den Kassen ein ganzes Jahr Zeit gegeben, damit sie die 11 Mio. Akten umstellen können. Extra Anträge oder eine erneute Begutachtung sind unnötig, wenn sich am Zustand nichts geändert hat.
Eine Teilnehmerin fragte, ob zukünftig auch „Alter“ als Begutachtungskriterium zählt. Sie erläuterte, dass altern doch auch bedeutet, dass man vielleicht noch seinen Alltag bewältigen könne, doch das dazu viel mehr Zeit notwendig sei. „Alter“ ist kein Grund für einen Pflegegrad. Doch eine alternde Gesellschaft braucht auch eine altersgerechte Infrastruktur. Ingo Siebert erläuterte, dass er genau diese Fragen des Zusammenlebens im Kiez nicht nur spannend findet, sondern auch gestalten will. Gemeinsam mit dem W 40, also dem Quartiersbüro Waldsassener Straße, könne man auch eine altersgerechte Umgebung schaffen. Eine andere Frage sei die mangelnde Infrastruktur in Bezug auf Einkaufsmöglichkeiten etc. Die Kaufkraft hätte in dem Gebiet abgenommen. Geschäfte sind aber auf Käuferinnen und Käufer angewiesen, damit sie Ladenmieten zahlen können und von ihrem Ertrag leben könnten. Durch den Zuzug nach Berlin wird es auch die Notwendigkeit von Neubauten in Marienfelde geben. Darin bestünde auch die Chance neue Geschäfte in den Kiez zu locken. Ingo Siebert kritisierte zugleich auch, dass die DeGeWo, die im Waldsassener Kiez bauen will, die Bewohnerinnen und Bewohner der Siedlung nicht in die Planungen einbezogen hat. Er macht sich dafür stark, dass dies nun endlich nachgeholt wird und die Wünsche der Mieterinnen und Mieter zu den Neubauten endlich auch gehört werden.
Für mich gab es auch eine Frage/Anmerkung, die ich mir als „Nacharbeit“ der Sommertour notiert habe: Eine Teilnehmerin fragte, ob Patientenverfügungen von ÄrztInnen in Krankenhäusern nicht anerkannt werden müssten. Diesen Hinweis, dass z.B. lebensverlängernde Maßnahmen eingeleitet werden würden, obwohl eine Patientenverfügung vorgelegt wurde, die dies ausgeschlossen hat, habe ich während meiner diesjährigen Sommertour einige Male gehört. Ich will der Sache auf den Grund gehen und herausfinden, ob es an den Formulierungen der Patientenverfügungen liegt oder andere Gründe ausschlaggebend sind. Denn der PatientInnenwille soll beachtet werden.
Mein herzlicher Dank richtet sich an Frau Müller-Güntner vom Nachbarschafts- und Selbsthilfe-Zentrum Marienfelde Süd e.V., die uns nicht nur köstlich bewirtet hat, sondern mit ihren MitstreiterInnen seit vielen Jahren ehrenamtlich dafür sorgt, dass im Alten Waschhaus vielen Angebote für die Nachbarschaft gemacht werden.