Bericht von Helena Weber, Freiwilliges Soziales Jahr in der Politik
„Politik ist unser Schicksal. Und niemand kann ihm ausweichen.“, so zumindest sagte es der Namensgeber dieses Hauses. Und sein Schicksal war die Politik in jedem Fall. Im Jahre 1912 wurde Jakob Kaiser Mitglied in der Zentrumspartei und saß als Abgeordneter im letzten frei gewählten Reichstag. Nach der Machtübernahme durch das NS-Regime schloss Kaiser sich dem Widerstand an und verbrachte einige Monate in Gestapohaft. Nach dem Ende des Krieges beteiligte er sich maßgeblich am Aufbau der CDU und übernahm dann auch den Vorsitz der Partei für Berlin und die sowjetische Besatzungszone. Da Kaiser jedoch gegen die Gleichschaltungspolitik war, enthob ihn die sowjetische Militäradministration seines Amtes. Nun arbeitete er als Mitglied des Parlamentarischen Rates an der Entstehung des Grundgesetzes und setzte sich später als Bundestagsabgeordneter und Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen für die Wiedervereinigung Deutschlands ein.
Diesmal ging es mit der von Mechthild Rawert organisierten Kunst- und Architekturführung für BürgerInnen aus ihrem Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg am 8. Oktober 2016 nicht nur durch das Reichstagsgebäude. Erkundet wurde dieses Mal das Jakob-Kaiser-Haus, das zu den Gebäuden des Deutschen Bundestages zählt.
„Transparenz und Offenheit“
Östlich des Reichstagsgebäudes, zwischen dem Pariser Platz und der Spree, liegt das Jakob-Kaiser-Haus. In den insgesamt 1745 Büros des Hauses arbeiten etwa 60 Prozent der Abgeordneten und viele MitarbeiterInnen der Fraktionen. Nachdem der Umzug von Bonn nach Berlin beschlossen war, wurde klar, dass das Parlament, die Abgeordneten und die MitarbeiterInnen neue Arbeitsräume brauchten und so wurden gleich vier Architektenteams mit dem Bau des Jakob-Kaiser-Hauses betraut. Jedes dieser Architektenbüros entwickelte zwei Häuser. Große Glasflächen bieten zum einen die Möglichkeit moderner Energie-Einsparung, verbessern die Akustik und den Wärmedämmschutz, bringen aber vor allem auch das Prinzip von Offenheit und Transparenz architektonisch zum Ausdruck.
Das Kunstwerk des israelischen Künstlers Dani Karavan „Grundgesetz 49“, das einen der Außenhöfe des Jakob-Kaiser-Hauses schmückt, entspricht ebenfalls diesem Prinzip der Offenheit und Transparenz. Auf 19 drei Meter hohen Glasscheiben stehen hier die 19 Grundrechtsartikel des Grundgesetzes geschrieben. Diese Artikel sollen, direkt an der Spree gelegen, die Ost- und West-Berlin einst voneinander trennte, an die schwierigen Jahre der Gründung der deutschen Demokratie erinnern.
„Augenstein“
Ein mehrere Tonnen schwerer Findling, in vier Teile geschnitten, verbindet vier Etagen des Jakob-Kaiser-Hauses miteinander. Sie schweben, von dem Künstler Matthias Jackisch installiert, von der Decke der Fluretagen herab. Die Reise des Findlings begann in einem schwedischen Steinbruch, in dem er entdeckt wurde, ging über Rügen nach Neuruppin, wo er zerschnitten und bearbeitet wurde und endete dann nach einem Transport per Schiff bis zum Spreebogen im Jakob-Kaiser-Haus.
„Haus Sommer“
Das Jakob-Kaiser-Haus besteht aus zwei Gebäudekomplexen, die sich auf beiden Seiten der Dorotheenstraße befinden und über mehrere Brücken miteinander verbunden sind. Über eine solche Brücke wurden die TeilnehmerInnen der Kunst-und Architekturführung in den zweiten Gebäudekomplex geführt. In diesem wurde ein ehemaliges Bankgebäude, das Haus Sommer, integriert, welches einen starken Kontrast zum Rest des Hauses bildet. Eine Treppe verbindet hier das Alte mit dem Neuen, die historische Bürobauweise mit der modernen. Schon das Treppenhaus unterscheidet sich konsequent von den modernen, bei denen für die Geländer hauptsächlich Glas, Holz oder Beton verwendet wurde, während das alte Geländer aus Schmiedeeisen besteht.
Anschließend ging es doch noch einmal in das Reichstagsgebäude, hoch in den Fraktionssaal der SPD. Hier berichtete Mechthild Rawert über einige Schwerpunkte ihrer Arbeit: Das ist im Deutschen Bundestag vor allem das Pflegestärkungsgesetz III. Das Gesetz soll mit mehr Beratungsangeboten in Kommunen dazu führen sollen, dass pflegebedürftige Menschen die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung erhalten, die ihnen zustehen. Auf der Agenda steht außerdem das Bundesteilhabegesetz. Hier soll die Situation von Menschen mit Behinderungen verbessert werden soll. Ein neues Teilhabeplanverfahren soll eingeführt werden, um „Leistungen aus einer Hand“ zu gewährleisten und die Freibeträge bei Einkommen und Vermögen werden deutlich erhöht. Die Kontroversen insbesondere um das Bundesteilhabegesetz sind groß. Beide Gesetze müssen wir noch dieses Jahr verabschieden – viel Arbeit also. Mechthild Rawert informierte zudem auch über die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE). Die PACE wurde 1949 gegründet und hat ihren Sitz in Straßburg. Ihr gehören mittlerweile 47 Staaten an, die durch 318 ParlamentarierInnen vertreten sind. Mechthild Rawert ist Mitglied des Ausschusses für Gleichstellung und Nicht-Diskriminierung. Sie schreibt für die PACE derzeit den Bericht „Die politischen Rechte von Menschen mit Behinderungen – eine demokratische Herausforderung“. Dabei geht es darum, die politischen Partizipationsrechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken.
Nach dem lebendigen Austausch ging es hinauf in die Kuppel des Reichstagsgebäudes.