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Gut leben in Deutschland - was den BürgerInnen wichtig ist

Vor einem Jahr wurde der von der Bundesregierung initiierte BürgerInnendialog „Gut leben in Deutschland - Was uns wichtig ist“ beendet und ausgewertet. Der nun vom Bundeskabinett verabschiedete Bericht der Bundesregierung zur Lebensqualität in Deutschland wurde von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) am 26. Oktober 2016 präsentiert - und ins Netz gestellt. Ziel der Bundesregierung ist es, mit dem „Bericht zur Lebensqualität in Deutschland“ den Diskurs mit allen gesellschaftlichen Kräften in Deutschland anzuregen, zu verstetigen und um gemeinsam die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern.

Es ist der erste Bericht dieser Art. Gabriel spricht vom „Handlungsauftrag an die Politik, mehr zu tun, damit Wohlstand für alle kein leeres Versprechen ist“. Laut Gabriel spiegelt der Bericht die vergleichsweise positive Lage Deutschlands wieder, etwa auf dem Arbeitsmarkt, er benenne aber auch Herausforderungen und Probleme. „Als Risiko sowohl für den materiellen Wohlstand Deutschlands als auch für den sozialen Zusammenhalt kann jedoch die Herkunftsabhängigkeit von Bildungschancen, die Einkommensabhängigkeit der Gesundheit, atypische Beschäftigungsverhältnisse und die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern gesehen werden.“

Die Verbesserung der Lebensqualität sei Aufgabe der Politik, aber ebenso auch Aufgabe zivilgesellschaftlicher Kräfte, der Wirtschaft und der einzelnen BürgerInnen selbst. Der Bericht wird nun weitergeleitet an den Bundesrat und den Deutschen Bundestag.

Der Bericht zur Lebensqualität in Deutschland basiert auf dem Verständnis der Menschen, die sich 2015 am BürgerInnendialog beteiligt haben und ist nicht repräsentativ im wissenschaftlichen Sinn. Ergänzend wurden Erkenntnisse der Forschung zur Lebensqualität herangezogen. Aufgrund der Vielfalt der beteiligten Gruppen ergibt sich aber ein differenziertes Bild der gesellschaftlichen Prioritäten der BürgerInnen in Deutschland und der damit verbundenen politischen Herausforderungen.

Die Baustellen sind zahlreich und vielfältig

Viele TeilnehmerInnen schätzen ihre eigene Situation zwar grundsätzlich als positiv ein, sorgten sich aber etwa um den sozialen Zusammenhalt. Die Zahlen dazu wirken alarmierend: So wurden im vergangenen Jahr 10.373 Fälle von Hasskriminalität registriert, also Straftaten, die sich etwa gegen politische Einstellungen, Nationalitäten, Hautfarben oder Religionen richten. Das waren 77 Prozent mehr als 2014 und so viele wie noch nie seit Beginn der Statistik im Jahr 2001. „Stark angestiegen“ sind dem Bericht zufolge auch gegen bestimmte Religionsgruppen gerichteten Straftaten; 2015 wurden 1.112 Delikte gezählt, 2014 waren es 696. Die Hasskriminalität im Internet legte um 176 Prozent zu, 3.084 sogenannte Hass-Postings wurden registriert.

Ein anderer Befund: In Deutschland wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer: Sowohl die Einkommen als auch die Vermögen waren zuletzt ungleicher verteilt als in den 1990er Jahren. Diese „erhöhte materielle Ungleichheit“ stellt ein „Hemmnis der Lebensqualität“ dar. Engagiert diskutiert wurde beispielsweise auch über das deutsche Krankenversicherungssystem und den Zugang zu medizinischer Behandlung. „Ein Hausarzt heute behandelt im Durchschnitt 41 Einwohner mehr als vor fünf Jahren“, steht im Bericht.

Lebensqualität ist immer auch abhängig von gesellschaftlichen Trends und aktuellen Herausforderungen in Politik und Demografie, Ökonomie und Ökologie, Gesellschaft und Kultur. Trotz bestehender politischer Anstrengungen wurde eine Datenlücke auch in der Dimension „Gesund durchs Leben“ erkennbar. Es fehlt ein überzeugender Indikator für Qualität in der Pflege. Dieser Indikator sollte die Perspektive der Gepflegten und die heterogenen Lebenssituationen in der Pflege (stationäre, ambulante oder häusliche Pflege, verschiedene Pflegestufen bzw. Pflegegrade) berücksichtigen. Angesichts der zunehmenden Bedeutung des Themas Pflege in einer alternden Gesellschaft wurde auch hier ein Platzhalter in das Indikatoren-System aufgenommen. An der Messbarkeit dieses Themenfeldes wird aktuell intensiv gearbeitet.

Lebensqualität in Deutschland - im BürgerInnendialog häufig genannte Aspekte

Auf rund 240 Seiten und in zwölf Kapiteln zu den drei Bereichen „Unser Leben“, „Unser Umfeld“ und „Unser Land“ sind festgehalten, was die BürgerInnen bewegt. Diese Aussagen werden ergänzt durch Statistiken und Zusammenfassungen. In zwölf Dimensionen wird mit Hilfe von 46 Indikatoren und durch die weitere Differenzierung, bspw. nach Geschlecht, Region, Stadt und Land, die Möglichkeit geschaffen, Zusammenhänge und Zielkonflikte zu erkennen sowie politische Maßnahmen zu fokussieren. Deutlich werden viele thematischen Schnittstellen, deutlich wird auch die wachsende Komplexität der Herausforderungen in Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Viele Handlungsfelder sind sicherlich noch zu identifizieren. Fakt ist aber: Bewältigt werden können die zahlreichen Herausforderungen nur durch eine enge ressortübergreifende Zusammenarbeit. Das Indikatoren-System kann dafür allen gesellschaftlichen Kräften hilfreiche Orientierung geben

Zwischen April und Oktober 2015 beteiligten sich rund 15.750 Menschen an einer der 203 bundesweit durchgeführten Veranstaltungen des BürgerInnendialogs. In großer inhaltlicher Breite diskutierten sie das Thema Lebensqualität. Angesprochen wurden fast 400 verschiedene Themen und Facetten. Nachfolgende Aspekte von Lebensqualität wurden besonders häufig genannt:

Frieden - die Bewahrung des Friedens im eigenen Land aber auch der Einsatz für Frieden in der Welt - war das wichtigste Thema überhaupt. Frieden gilt als zentrale Voraussetzung für Lebensqualität in Deutschland.

Lebensqualität hängt auch von der Höhe der Bezahlung ab. Die Menschen wollen von ihrem eigenen Einkommen leben können und sich finanziell gut abgesichert fühlen. Wichtig war ihnen auch, dass Arbeit angemessen bezahlt wird und die Einkommen in Deutschland gerecht verteilt sind.

Lebensqualität bedeutet auch, sich selbst entfalten zu können und persönliche Freiheit zu genießen. Persönliche Freiheit und Entfaltungsfreiheit bedeutet, eigenverantwortlich entscheiden und handeln zu können.

Wohnen gehört zu den Grundbedürfnissen der Menschen und ist damit zentral für ihre Lebensqualität. Es geht vor allem um mehr Wohnraum zu bezahlbaren Preisen, z. B. für Familien und junge Menschen. Besonderer Handlungsbedarf wurde vor allem in den Großstädten gesehen.

Solidarität und Hilfsbereitschaft sind Grundpfeiler für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und machen Deutschland lebenswert. Nicht nur an sich selbst, sondern auch an andere denken und ihnen helfen, das fördert das Gemeinschaftsgefühl und damit auch das Wohlbefinden.

Ohne das Gefühl von Sicherheit ist Lebensqualität allerdings nur schwer vorstellbar. Es wurde weniger über konkret erlebte Kriminalität diskutiert, sondern darüber, dass sich Menschen sicher fühlen wollen, und zwar in ihrer eigenen Wohnung, in öffentlichen Verkehrsmitteln, bei Tag und in der Nacht. Darüber hinaus beeinflusst die weltpolitische Lage das Sicherheitsgefühl. Debattiert wurde auch über die internationale Verantwortung Deutschlands.

Weder die Herkunft noch das Einkommen der Eltern dürfen über die Bildungschancen von Kindern entscheiden. Ein zentrales Thema war die Chancengleichheit im Bildungssystem, das allen Kindern die gleichen Zugangsmöglichkeiten eröffnen soll. Angesprochen wurden auch die klassischen Übergänge im Bildungssystem: von der Grundschule in die weiterführende Schule oder vom Gymnasium an die Hochschule. Die BürgerInnen wünschten sich mehr Durchlässigkeit im Schulsystem.

Im viel diskutierten Themenfeld Willkommenskultur und Integration ging es um den Umgang der Deutschen mit MigrantInnen und Geflüchteten. Das Meinungsbild war sehr differenziert: von  Gastfreundschaft und dem Wunsch nach Integration über Skepsis, wie gut sich Integrationsprozesse beeinflussen lassen, bis hin zur Sorge über die Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft.

Menschen können in ihrem Leben in Situationen kommen, in denen es ihnen nicht gelingt, ihren Lebensunterhalt eigenständig zu sichern. Dann sind sie auf Transferleistungen des Staates angewiesen – und sie müssen sich im Notfall auf diese sozialstaatlichen Leistungen auch verlassen können.

Eine intakte Natur macht Lebensqualität in Deutschland aus. Die Natur ist in ihrer ganzen Vielfalt - z. B. Wälder, Seen und Meere, aber auch Stadt- und Nationalparks – ein wichtiger Rückzugs- und Erholungsraum für die Menschen – insbesondere auch in ländlichen Regionen. Dieser Erholungsraum muss bewahrt werden und für alle leicht zugänglich sein.

Respekt und Rücksichtnahme war ein wichtiges Thema. Zu den Normen und Werten des Zusammenlebens wurde sehr deutlich: Ein respektvoller und rücksichtsvoller Umgang macht den Alltag lebenswert.

Die BürgerInnen wertschätzen die Möglichkeit, in Freiheit leben zu können. Die eigene Meinung frei zu äußern, das hat für sie einen hohen Stellenwert. Meinungs- und Informationsfreiheit ist unabdingbar für die allgemeine Lebensqualität.

Pluralität und Vielfalt hat für die BürgerInnen einen hohen Wert. Abweichende Meinungen zulassen, offen sein für individuelle Lebensmodelle und andersartige Weltanschauungen und Religionen akzeptieren, darum geht es bei der häufig diskutierten Toleranz zwischen gesellschaftlichen Gruppen.

Vor der Herausforderung, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, stehen viele Menschen. Mehr Flexibilität in der Kinderbetreuung und bei Arbeitszeiten sind nach Ansätze für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Kinder dürfen nicht zu einem Hindernis für die Karriere gemacht werden.

Das soziale Engagement vieler Menschen gilt als Ausdruck für einen starken gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. Im Ehrenamt für Andere da zu sein, sei auch wichtig für die eigene Lebenszufriedenheit. Hierfür wünschen sich die BürgerInnen noch mehr Anerkennung von Politik und Gesellschaft.

Ein funktionierender Rechtsstaat ist ein hohes Gut. Der Rechtsstaat soll für Sicherheit sorgen und Gesetze und Regeln konsequent durchsetzen.

Die Lebensqualität hängt auch von der Sicherheit des Arbeitsplatzes ab. Die Befristung von Arbeitsverträgen wird als belastend empfunden. Wichtig ist auch die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Die Zufriedenheit mit der eigenen Tätigkeit steht für Bürgerinnen in engem Kontext zur individuellen Lebensqualität.

Die Bürgerinnen und Bürger thematisierten häufig Verteilungsgerechtigkeit, insbesondere die Schere zwischen arm und reich, wird häufig thematisiert. Gefordert wird grundsätzlich eine gerechtere Verteilung von Möglichkeiten und Ressourcen in Deutschland.

Politische Partizipation - viele BürgerInnen wollen sich in den politischen Prozess einbringen und sich insgesamt stärker beteiligen. Einige forderten mehr Bürgerbeteiligung durch Volksentscheide oder Volksbefragungen. Andere wünschten sich eine transparentere und besser verständliche Politik.

Auch individueller Wohlstand wurde angesprochen. Vielen ist es wichtig, sich eigenes Vermögen aufzubauen zum Beispiel in Form von Grundbesitz oder einem Eigenheim.

Jeder sollte Zugang zu Gesundheitsleistungen erhalten, unabhängig von Alter, Einkommen, Geschlecht oder Wohnort. Das bestehende Gesundheitssystem wurde insgesamt gelobt. In ländlichen Regionen war den BürgerInnen vor allem die flächendeckende ärztliche Versorgung auf hohem Niveau - wie in Städten und Ballungszentren - ein großes Anliegen.

Interaktive Online-Plattform "Gut leben in Deutschland"

Auf der interaktiven Online-Plattform "Gut leben in Deutschland" ist der Regierungsbericht sehr anschaulich aufbereitet. Alle Daten, Grafiken und Informationen sind für die Öffentlichkeit verfügbar. Dank des erstmalig konsequent umgesetzten sogenannten Open Source-Ansatzes können NutzerInnen der Webseite alle Grafiken und alle Daten direkt herunterladen, sie wiederverwenden aber auch verändern und den eigenen Bedürfnissen anpassen.

Das vorliegende Berichts- und Indikatoren-System erlaubt eine Bestandsaufnahme der Lebensqualität in Deutschland. Auf seiner Grundlage ist es zukünftig möglich, politischen Handlungsbedarf zu identifizieren und wirksame Maßnahmen zu entwickeln, um die Lebensqualität in Deutschland zu erhalten und zu verbessern. Das ist das Ziel der Bundesregierung. Sie plant, den Bericht künftig einmal in jeder Legislaturperiode fortzuschreiben und vorzulegen.