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SPD AG 60plus: Wahlrecht für alle, gute Pflege für alle

Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft 60plus der SPD Tempelhof-Schöneberg

Die Pflegestärkungsgesetze I, II, III, das Bundesteilhabegesetz, das Pflegeberufereformgesetz und eine Landespflegekammer - über diesen bunten Strauß an Themen diskutierte ich mit der SPD Arbeitsgemeinschaft 60plus. Am 26. Oktober 2016 wurde ich in unser Kreisbüro Tempelhof-Schöneberg zur Mitgliederversammlung der AG 60plus eingeladen. In der AG 60plus engagieren sich SPD-Mitglieder, die über 60 Jahre alt sind.

Mehr Partizipationsrechte für Menschen mit Behinderungen

Anlässlich meiner anstehenden Reise nach Helsinki zum Seminars zur politischen Partizipation von Menschen mit Behinderung sprach ich den Wahlrechtsausschluss von vollbetreuten Menschen mit Behinderungen hier in Deutschland an. Bei dem Seminar “Our right to participate - Promoting the participation of persons with disabilities in political and public life” des „Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte“ (ODIHR) der OSZE wurde über mehr Partizipationsrechte für Menschen mit Behinderungen diskutiert. Auch in Deutschland ist das ein großes und wichtiges Thema.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hatte vor kurzem den Forschungsbericht „Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen“ veröffentlicht. 84.000 Menschen wird das Recht auf Wählen gehen verwehrt, davon 81.000 unter vollständiger Betreuung stehende Menschen mit Behinderungen. Besorgniserregend ist zudem, dass es erhebliche regionale Unterschiede gibt: In den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg kommen auf 100.000 BürgerInnen viel weniger von Wahlen ausgeschlossene Menschen als in den Flächenbundesländern. Im Bundesland Bayern gibt es pro 100.000 Einwohner etwa 26-mal mehr Menschen mit Behinderungen, die nicht an Wahlen teilnehmen dürfen, als in Bremen.

Pflege gehört auf die Tagesordnung

Zwei wesentliche Trends lassen sich in Deutschland beobachten:

  • einerseits wird noch immer auf das familiäre „Umsonstsystem“ in der Pflege gesetzt,
  • andererseits wird der Anspruch auf Pflegegeld in Familien nicht ausreichend genutzt. 

Vieles muss sich in den städtischen Kiezen noch strukturell ändern - auf dem Land ist die Pflege im Familienkreis bisher noch weiter verbreitet. Durch den demografischen Wandel in Deutschland begeben wir uns immer weiter hin zu einer älter werdenden Gesellschaft. Deshalb gehört Pflege auf die politische und gesellschaftliche Agenda - gute Pflege wird dieses in naher und weiterer Ferne auch mit Sicherheit verstärkt sein. Das Thema „Pflege“ muss viel mehr in die Mitte der Gesellschaft getragen werden.

Dafür wurden in dieser Legislaturperiode im Bundestag wichtige Weichen gestellt und eine Reihe an Gesetzen verabschiedet. Das erste Pflegestärkungsgesetz trat am 1.1.2015 in Kraft und bewirkte eine generelle Leistungsausweitung, bessere Kombinationen von Leistungen und Betreuungsmöglichkeiten, sowie Entlastungen für pflegende Angehörige. Die großen Ziele des zweiten Pflegestärkungsgesetzes, das am 1.1.2017 eingeführt wird, sind ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsverfahren für Pflegebedürftige. Die verschiedenen Module (z.B. Mobilität, Kommunikation, Verhaltensweise und Selbstversorgung) dienen als Regeln, an die sich die betreffenden GutachterInnen halten müssen. Das neue Begutachtungssystem ist einheitlicher und gerechter gestaltet.

Aufgeworfen wurde auch die Frage nach der Nachprüfbarkeit von Einstufungen der Pflegebedürftigkeit - eine Möglichkeit ist hier der Pflegestützpunkt

Mein Streben: Gleiche Rechte, gleiche Qualität in der Pflege für alle

Es gab eine muntere Diskussion zu den unterschiedlichsten Aspekten pflegerischer Versorgung: Selbstverständlich haben auch Menschen, die Sozialhilfe beziehen, ein Recht auf menschenwürdige Pflege.

Es kommt vor, dass pflegebedürftige Menschen versterben, bevor das Sozialamt deren Antrag auf Hilfe zur Pflege bewilligt hat. Nach deren Tod gehen die finanziellen Forderungen nicht auf die Leistungsträger über. Somit erhalten einige der ambulanten Pflegedienste keine Refinanzierung der bereits geleisteten Aufwendungen in der Pflege dieses Menschen. Folge dieser Situation - die ich rechtlich gerne ändern möchte, hierbei aber noch auf den Widerstand des Gesundheitsministeriums stoße - ist, dass kleinere Pflegedienste die Betreuung dieser oft schwerkranken bzw. sterbenden Pflegebedürftigen nicht mehr übernehmen (können). Nur große Trägerorganisationen, wie beispielsweise Caritas, Diakonie oder Arbeiterwohlfahrt, sind in der Lage, eine Nichtfinanzierung der Pflegeleistungen durch die Sozialämter zu bewältigen. Ich denke aber, es ist essenziell, dass sich jeder Mensch den Pflegedienst der eigenen Wahl aussuchen können muss.  

Dank des ab dem 1.1.2017 geltenden einrichtungseinheitlichen Eigenanteils muss niemand mehr in einer stationären Einrichtung länger Angst vor einer Höherstufung haben. Viele BürgerInnen verzichten derzeit auf Rechte und Betreuungsleistungen, weil sie kein Ansteigen des Eigenanteils wollen. Das muss sich ändern.

Generalistische Pflegeausbildung und eine Pflegekammer in Berlin

Mit dem Pflegeberufereformgesetz wollen wir den Pflegeberuf attraktiver gestalten. Bedauerlicherweise hat sich die Union nicht an den Zeitplan zur Verabschiedung gehalten. Noch ist unsicher, wie es nun weitergeht.

Wir SozialdemokratInnen wollen die Aus-, Fort- und Weiterbildungsstrukturen, also die Rahmenbedingungen für „gute Pflege“  verbessern - ansonsten stimmen Pflege(fach)kräfte mit den Füßen ab und verlassen die Pflegebranche. Leider ist der Organisationsgrad von Pflegekräften in Gewerkschaften sehr gering. Ebenso ist auch die Tarifbindung in der Pflegebranche völlig unzureichend. Nach Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) liegen die Einkommen von Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben um durchschnittlich 19 Prozent über denen ihrer KollegInnen ohne Tarifvertrag.

Ich erachte die Einrichtung einer Landespflegekammer in Berlin als notwendig. Diese würde als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts fungieren, vergleichbar mit anderen Kammern im Gesundheitswesen (z.B. die ÄrztInnenkammer). Zu ihren wichtigsten Aufgaben würden gehören:

  • Entwicklung und Durchsetzung einer Berufsordnung und Berufsethik für Angehörige der Pflegeberufe
  • Gestaltung der Rahmenbedingungen für Fort- und Weiterbildung
  • Mitarbeit bei der Festlegung von Qualitätsstandards nach pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen
  • Fachliche und rechtliche Beratung der Kammermitglieder
  • Beteiligung an Gesetzgebungsverfahren in allen Fragen des Gesundheits- und Sozialwesens; Verbesserung der beruflichen Rahmenbedingungen in der Pflege
  • Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe in der öffentlichen Wahrnehmung durch Medienarbeit
  • Registrierung der Angehörigen der Pflegeberufe als Grundlage für die Bedarfsplanung.

Auch in Berlin hat sich eine Mehrheit der Pflegefachkräfte für eine Pflegekammer und damit für mehr Selbstbestimmung, eine eigene Berufsordnung und die verbindliche Beteiligung in allen Fragen der beruflichen Pflege ausgesprochen. Noch ist nicht entschieden, ob die rot-rot-grüne Koalition in Berlin eine Pflegekammer einführen wird.

Pflege ist eine eigenständige Wissenschaft. Sie braucht auch wissenschaftliche Strukturen, u.a. auch eigene Lehrstühle an unseren deutschen Hochschulen.

Schnittstelle von Pflege und Teilhabe bei jüngeren Pflegebedürftigen

Besonders bei jüngeren pflegebedürftigen Menschen mit Behinderungen zeigt sich, wie wichtig die Schnittstelle von Pflege und Eingliederungshilfe ist. Ein Haus, in dem sie gut leben können, ist das „House of Life“ der FSE Förderung sozialer Einrichtungen Gemeinnützige GmbH - es ist die einzige Pflegeeinrichtung in Europa für jüngere Menschen zwischen 25 und 55 Jahren.

Schwerpunkte sind unter anderem die Versorgung von Menschen mit HIV/Aids, Menschen nach einem schweren Unfall, psychisch Erkrankte mit Doppeldiagnose und Suchterkrankten. Das „House of Life“ ist aufgrund des Alters seiner BewohnerInnen eine besondere Pflegeeinrichtung. Diese jüngeren Menschen sollen auf keinen Fall in ein „Altersheim“.

Bundesteilhabegesetz

Natürlich kamen wir gegen Ende der Veranstaltung auch auf das sich in der parlamentarischen Beratung befindliche Bundesteilhabegesetz zu sprechen. Der Gesetzentwurf enthält zahlreiche Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen. Ich wünsche mir, dass wir das Bundesteilhabegesetz noch in diesem Jahr beschließen.