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Ein Platz in der Mitte der Gesellschaft

„Einheit in Verschiedenheit – Unity in Diversity“ zitierte der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Eröffnungsrede zur ersten Fachkonferenz „Muslime in Deutschland – Wege zu gerechter Teilhabe“. Unter dem Motto „Im Dialog“ kamen am 26. Januar 2017 mehr als 300 Gäste aus allen Teilen Deutschlands in den Deutschen Bundestag zur von der SPD-Bundestagsfraktion ins Leben gerufenen Veranstaltung. Oppermann bezog sich bei der Beschreibung der jetzigen Situation der Muslim*innen in Deutschland unter anderem auf die 2016 erschienene Studie „Lebenswelten junger Muslime“ des Bundesministeriums des Innern. Dabei ging er auch auf die zunehmende Radikalisierung vor allem junger Menschen ein.

Der überwiegende Teil der Muslim*innen in Deutschland sind Einwanderer*innen oder haben einen Migrationshintergrund. Viele von ihnen leben bereits seit über vierzig Jahren in Deutschland oder sind hier geboren. Trotzdem erfahren sie größten Teils alles andere als Gleichstellung, ob nun auf dem Arbeitsmarkt oder auf der Straße. Das Armutsrisiko bei ihnen ist etwa doppelt so hoch. Genau diese Diskriminierung ist jedoch ein Grund dafür, weshalb sich Menschen radikalisieren. Der Islam sei keine Kirche, sondern eine Religion, so Oppermann. Es gäbe zwar muslimische Organisationen, Vereine und Gemeinden, aber nur vergleichsweise wenige Muslim*innen träten ihnen bei oder seien bereits Mitglied. Deshalb ist es schwer die genaue Zahl der in Deutschland lebenden Muslim*innen zu ermitteln.

Fakt sei jedoch, dass die meisten Deutschen die Zahl der hier lebenden Muslim*innen mit 21 Prozent deutlich höher schätzen, als sie eigentlich ist - nämlich bei 5 Prozent. Doch nicht nur das, die Mehrheit der nicht muslimischen Deutschen, so Oppermann, ständen dem Islam feindlich gegenüber, 57% sähen ihn sogar als Bedrohung. Vielfalt müsse aber positiv, als Chance und Gewinn betrachtet werden und nicht als Bedrohung.

Der Islam gehört zu Deutschland

Wie schaffen wir es Diskriminierung und Radikalisierung entgegenzuwirken? Wie schaffen wir es Kritik an einander zu üben, ohne, dass sich dabei eine Seite angegriffen oder verletzt fühlt? Und was muss noch getan werden? Auch auf diese Fragen ging Thomas Oppermann in seiner Begrüßungsrede ein. „Deutschland muss noch lernen, was es heißt ein Einwanderungsland zu sein.“ Die Politik könne dazu beitragen, indem sie beispielsweise für eine integrativere Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik sorgt, dabei müsse enger mit muslimischen Organisationen zusammengearbeitet werden. Dazu gehöre es auch, einen flächendeckenden Islamunterricht an Schulen anzubieten. Denn mit Religionsunterricht könne Radikalisierung in allen Religionen vorgebeugt werden. Um bessere bzw. mehr politische Partizipation von Muslim*innen zu erreichen, wäre ein Kommunalwahlrecht für Ausländer*innen zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.

Doch Politik alleine kann keine Integration schaffen. Ein großer Teil von Integration passiert in der Gesellschaft, nicht in der Politik. Integration bedeutet aber nicht Assimilation. Mehr Dialog und mehr Gesprächsangebote sind Schlüssel zur Integration. Der Tag der offenen Moscheen am 3. Oktober ist eines dieser dialogischen Gesprächsangebote. Wir müssen gemeinsam an einem von Deutschland geprägten Islam arbeiten. Auch Menschen islamischen Glaubens brauchen Perspektiven, Perspektiven beispielsweise auf einen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft. Vor beinahe 60 Jahren riefen wir Deutsche Arbeiter*innen und es kamen Menschen, die geblieben sind.

Wie leben Muslim*innen in Deutschland? Wie gelingt Teilhabe besser?

Muslim*innen sind keine Gruppe. Sie sind nicht alle gleich, sie teilen nicht alle die gleichen Ansichten, haben nicht immer die gleiche Meinung und leben auch ihre Religion nicht alle gleich aus. Es gibt nicht den einen Islam. Das wurde in der an die Rede von Thomas Oppermann anschließenden Podiumsdiskussion zu Recht immer wieder betont. An dieser nahmen teil: Aydan Özoğuz, Mitglied des Deutschen Bundestages und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Dr. Bekir Alboğa, Generalsekretär der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB), Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin und Mitglied im Vorstand des Liberal-Islamischen Bundes e.V., Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime und Atila Ülger vom Arbeitskreis Muslimischer Sozialdemokrat*innen. Die Moderation übernahm Kerstin Griese, MdB und Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion.

Im Laufe der Jahre habe sich der Umgang mit der Einwanderung stark verändert. In unserer Gesellschaft würden die Themen Einwanderung, Religion und Andersartigkeit noch immer tabuisiert mit der Folge, dass türkeistämmige Menschen oder arabisch stämmige Menschen oder die aus vom Balkan gekommenen Menschen vorschnell auf „die Muslime“ und damit - trotz großer Unterschiede - auf ihre religiöse Identität reduziert würden. Mit einer Herkunft oder einer Staatsbürgerschaft könne aber keine Religion begründet werden, ebenso wenig, wie umgekehrt eine Religion keine Staatsbürgerschaft begründen könne. Vielfalt, Menschen mit Migrationsbiographie müssten als Potenzial gesehen werden. Anders als Oppermann es in seiner Rede ausdrückte, wurde bei der Diskussion gesagt, der von Deutschland geprägte Islam müsse nicht erst entwickelt werden, denn er sei bereits existent. Plädiert wurde aber auch hier für mehr Dialog und Kooperation.

Terrorismus kennt keine Religion

Dialog und Austausch sind auf dem Weg zu einer gerechten Teilhabe unverzichtbar. Da waren sich alle einig, nicht nur die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion, sondern auch die Gäste, die in fünf verschiedenen, parallelen Diskussionsforen die Gelegenheit zum Austausch nutzten. Dialoge sollten sowohl inter- als auch intrareligiös, zwischen Politik und Gesellschaft und in der Nachbarschaft stattfinden. Offenheit sei der Schlüssel zu Dialogen, ohne Offenheit kein Dialog, ohne Dialogbereitschaft kein Respekt, Respekt auch andere Meinungen zu akzeptieren.

Durch auch kulturgerechte Infrastrukturen könne nicht nur ein Raum für eben diesen Dialog geschaffen werden, sondern auch eine Voraussetzung für Chancengleichheit. Die Kategorisierung des Wir-Die-Denkens müsse raus aus den Köpfen und durch Akzeptanz, Respekt und Wertschätzung ersetzt werden. Aus Kategorisierung werde Stigmatisierung. Wir müssen uns von der Kategorie „Gast“ trennen. Das Willkommenheißen sei zwar ein guter Schritt, aber das sei nicht alles beim Aufgenommenwerden, bei der Aufnahme in allen Lebensbereichen, Politik, Arbeitswelt, Gesellschaft und Alltag. Um diese Ziele zu erreichen, müsse vor allem viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Bei der Diskriminierung in der Arbeitswelt, insbesondere von Frauen mit Kopftuch, könnten anonymisierte Bewerbungen und Anlaufstellen bei Gewerkschaften helfen. Es sei bei allen Menschen wichtig, auch bei Migrant*innen und/oder Muslim*innen die Arbeitsmarktkompetenzen zu sehen und nicht vorrangig Defizite. Für die politische Partizipation sollte die Religion der jemand angehört keine Rolle spielen. Um aber mehr politische Teilhabe zu sichern, bräuchten wir auch mehr doppelte Staatsbürgerschaften. Bei der politischen Partizipation sei vor allem zivilgesellschaftliches Engagement gefragt.

Zusammenleben im Alltag - Angebote statt Verbote

Gerade im Alltag stehen Muslim*innen häufig vor kleineren und größeren Problem, wie z.B. der Frage nach Schweinefleisch in Kitas, nach kultursensibler Pflege, oder nach muslimischen Friedhöfen. Dies alles könne nicht mithilfe von Verboten gelöst werden, sondern nur mit Angeboten. Angebot statt Verbot. Außerdem seien auch hier Beteiligung und Teilhabe sehr wichtig. Da nur wenige Muslim*innen in Parteien aktiv bzw. vertreten seien, spiegele weder der öffentliche Dienst, noch der Deutsche Bundestag unsere Gesellschaft, so wie sie ist, wieder.

Auch deshalb dürfe die Politik nicht nur reden und nicht nur in den Dialog treten, wenn sie die Muslim*innen bräuchten. Es muss jetzt etwas getan werden, um die aktuelle Situation zu Verbessern. Das Angebot dieser Fachkonferenz fiel auf jeden Fall schon mal auf sehr positive Resonanz. Weiter so!

(Fotos: Andreas Amann)