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„So etwas hat es bisher nicht gegeben“ - Migration und Gesundheit: interkulturelle Aspekte in der Prävention

Prävention und Gesundheitsförderung für alle Altersgruppen und in möglichst vielen Lebensbereichen: Das ist unser Ziel. Um dieses Ziel zu erreichen trat 2015 das Präventionsgesetz in Kraft, für das wir Sozialdemokrat*innen lange gestritten haben.

Das Präventionsgesetz soll das Fundament für die stärkere Zusammenarbeit der Sozialversicherungsträger, Länder und Kommunen stärken. Doch leider werden noch nicht alle Bürger*innen erreicht. Besonders Menschen mit einem Migrationshintergrund nehmen Präventionsleistungen viel seltener in Anspruch. Daher luden die Kooperationsgemeinschaft unternehmensnaher Krankenkassen (BKK-Dachverband, IKK e.V., Knappschaft und SVLFG) und der Verband der Ersatzkassen (vdek) am 22. März 2017 zur Fachveranstaltung ein, um gemeinsam über Lösungswege zu diskutieren.

Gesund ins Leben

Ernährungsgewohnheiten werden im Kindesalter geprägt. Deswegen muss die Ernährungsbildung früh ansetzen. Das Programm „Gesund ins Leben“ wurde ins Leben gerufen.

In Kooperation mit Hebammen, Schulen, Kitas, führenden Institutionen, Fachgesellschaften und Verbänden ist es gelungen, sich auf einheitliche Empfehlungen zu einigen. Ernährungsbildung ist Prävention. Dabei ist darauf zu achten, dass nicht Bevormundung, sondern Aufklärung in Verbindung mit Motivation stattfindet. Die Menschen sollen vom Wissen ins Handeln kommen.

Dr. Barbara Kaiser vom Bundeszentrum für Ernährung berichtete von Spieleboxen, die entwickelt wurden, um Kindern spielerisch die Einordnung von gesunden und ungesunden Lebensmitteln zu vermitteln. Die Spieleboxen haben sich zu einem großen Erfolg entwickelt. 1.500 Boxen wurden produziert und waren sofort vergriffen, 25.000 Boxen werden derzeit mit zusätzlichen (auch ausländischen) Lebensmitteln nachproduziert und sollen dann gezielt beispielsweise an Schulen verteilt werden.

Eine der Teilnehmer*innen berichtete von der Schwierigkeit, die Kinder haben, das Erlernte auch zu Hause übertragen zu können. Ernährung sei auch eine Kultur, die besonders in der Fremde etwas Halt geben kann. Deshalb ist es nicht immer leicht, Eltern von einer Umstellung ihrer Ernährungsgewohnheiten zu überzeugen.

Unterschiede in der Nutzung von Präventionsangeboten

In Deutschland leben 17,1 Mio. Menschen mit Migrationsbiographie (davon rund 1 Million Geflüchtete). Jugendliche haben sogar zu einem Drittel eine Migrationsbiographie. Im Durchschnitt ist die gesundheitliche Lage dieser Menschen im Gesamten nicht schlechter. Notwendig sei es allerdings, den Blick auf die unterschiedlichen Gruppen zu schärfen. Eine entsprechende Weiterentwicklung des Gesundheitsmonitoring ist in Arbeit.

Besonders große Unterschiede sind in der Nutzung von Präventionsangeboten festzustellen. Menschen mit Migrationsbiographie nehmen diese deutlich weniger wahr als die deutschstämmige Bevölkerung. Sie bewegen sich in ihrem Alltag auch viel weniger. Gründe dafür sind insbesondere Sprachbarrieren, die bei der Generation der „ehemaligen Gastarbeiter*innen“ (besonders bei den Frauen) nach wie vor vorhanden sind. Außerdem fehle oft das Grundverständnis für viele Erkrankungen, wie z.B. Diabetes.

Das Präventionsgesetz unterscheidet nicht. Es soll für alle eine gesundheitliche Chancengleichheit schaffen und den Krankenkassen die Möglichkeiten bieten, dieses umzusetzen. Die Menschen sollen in ihren Lebenswelten erreicht werden.

Das Bundesministerium für Gesundheit hat die Publikation „Ratgeber zur Prävention und Gesundheitsförderung“ in sieben Sprachen produziert. Die Nachfrage ist so groß, dass bereits 300.000 Exemplare in drei Auflagen gedruckt worden sind.

Ein Projekt will Zuwanderer*innen ab 60 Jahren zu mehr sportlicher Betätigung motivieren. Diese Gruppe sei besonders schwer dazu zu ermutigen. Das BMG erkannte schnell, dass die Übungsleiter*innen/Kümmerer*innen hierbei eine sehr wichtige Rolle spielen. Wenn es ihnen gelang, die Menschen zur Teilnahme zu motivieren, war der Erfolg groß. Beobachtet wurde auch, dass ältere Frauen zumeist nicht alleine, sondern immer nur in Begleitung ihrer Söhne oder Männer kamen. Auf diese sensiblen Punkte müsse geachtet werden, so Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes-Gesamtverband e.V. In seinem Vortrag erläuterte er, dass die Kümmerer*innen idealerweise in beiden Kulturen zu Hause sein sollten und so wertvolle Brückenbauer*innen sind.

Die Gruppe der Menschen mit Migrationsbiographie sei äußerst heterogen, so Rosenbrock weiter. Sie lebten oft in Familienbünden zusammen, 30-40 Prozent hätten keinen Schulabschluss (dagegen sind nur 1,5 % der Deutschen ohne Abschluss). Die Menschen seien doppelt so häufig arm, viele hätten einen niedrigen Bildungsabschluss und seien stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Nahezu 95 % lebten in den alten Bundesländern, viele in Städten.

Das Gesundheitsniveau bei bildungsfernen und älteren Menschen ist gering

Eine der großen Zukunftsaufgaben ist, chronisch-degenerative Erkrankungen festzustellen und zu behandeln. Im Präventionsgesetz werde allerdings kein direkter Bezug auf Migrant*innen genommen. Zwar sei das Gesetz für alle Bürger*innen gleichermaßen relevant, es müsse aber noch mehr gezielte Zielgruppenansprache geleistet werden.

„Wir haben hier angefangen und es besteht ein großer Bedarf, weiterzumachen und zusammenzuarbeiten“, erklärte Eckhard Linnemann, Vorstandsmitglied der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, in seinem Schlusswort. „So was hat es bisher nicht gegeben“ lobte Linnemann die kassenübergreifende Aktion. Es sind noch viele Herausforderungen zu meistern. Dabei sollten die anderen Krankenkassen nicht ausgegrenzt, sondern mit involviert werden. Gemeinsam für unsere Gesundheit.