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Ausgrenzung mit System? Inklusion macht Gesundheit! Gesundheitliche Teilhabe komplex behinderter Menschen

 Eine besondere Herausforderung für die Medizin stellt die Behandlung von Patient*innen mit geistiger und Mehrfachbehinderung, vor allem der Gruppe der Erwachsenen mit Behinderung, dar. Darauf verweisen die Fachverbände für Menschen mit Behinderung bereits seit den 1990er Jahren. Diesen Forderungen nach einer Weiterentwicklung hat sich die deutsche Ärzteschaft angeschlossen, beispielsweise in den Entschließungen des Deutschen Ärztetages 2009. Es ist mir gelungen die Forderungen nach dem Aufbau von MZEBs im Antrag „UN-Konvention jetzt umsetzen – Chancen für eine inklusive Gesellschaft nutzen“ der SPD-Bundestagfraktion zu verankern. Diese wurden 2013 in den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD aufgenommen.

Die neue gesetzliche Regelung wurde dann im Rahmen des Versorgungsstärkungsgesetzes (GKV-VSG) der § 119c SGB V am 11. Juni 2015 im Deutschen Bundestag beschlossen: Hiernach bilden Medizinische Zentren für Erwachsene mit geistiger oder mehrfacher Behinderung (MZEB) im gestuften ambulanten medizinischen Versorgungssystem nach der hausärztlichen Grundversorgung und der fachärztlichen Versorgung also eine dritte Stufe, die Stufe der spezialisierten Versorgung.

In Berlin wurde eine „AG MZEB“ gegründet, die sich sehr anstrengt, dass es zur tatsächlichen Einrichtung von Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen kommt. Davon habe ich mich am 2. März 2016 auf einer vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin e. V. organisierten Austausch zwischen AkteurInnen aus Angehörigenverbänden, Selbsthilfe, Krankenkassen und Gesundheitspolitik selbst überzeugt. Vorgestellt wurde das Konzept „Versorgungsverbund Berlin: medizinische Versorgung geistig und mehrfach behinderter Menschen (MZEB)“.

Umso größer meine Frustration Anfang 2017 erfahren zu müssen, dass keine großartige Weiterentwickelung stattgefunden hat. Zwar wurden bei den Kassenärztlichen Vereinigungen bereits 2016 zahlreiche Anträge für die Errichtung von MZEB’s, davon drei in Berlin, gestellt - sie wurden allerdings nicht bewilligt. Doch warum? Warum auch nicht in Berlin? Hier ist die Entwicklung einer spezialisierten integrierten Versorgung für Menschen mit geistigen und schweren Mehrfachbehinderungen nach § 119c SGB V in die Berliner Koalitionsvereinbarung 2016-2021 „Berlin gemeinsam gestalten. Solidarisch. Nachhaltig. Weltoffen“ gefunden hat. (Zeile 292 ff.: Gleichberechtigter Zugang zum Gesundheitswesen) eingegangen.

Ausgrenzung mit System? Inklusion macht Gesundheit!

Ich danke der Spastikerhilfe Berlin eG, dass sie zur Klärung offener Fragen am 15. März 2017 die Fachveranstaltung „Ausgrenzung mit System? Inklusion macht Gesundheit!“ in der TU Berlin organisiert hat, um zu Klärungen zu kommen. Die Veranstaltung richtete sich an die AG Medizinische Zentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung und schweren Mehrfachbehinderungen (MZEB) im Paritätischen Landesverband Berlin. Teilgenommen haben auch Akteur*innen aus Politik, Wissenschaft, Gesundheitswesen, Praxis und Selbsthilfe.

Das Programm war äußerst vielfältig. In zahlreichen aufrüttelnden Impulsvorträgen wurde deutlich, wie notwendige die MZEB in Berlin für rund 22.000 Menschen mit Behinderung sind. Für die Menschen mit Behinderung gehören die MZEB zur notwendigen Daseinsvorsorge. 

In meinem Eingangsstatement habe ich deutlich gemacht, dass mich das Thema Medizinische Zentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung und schweren Mehrfachbehinderungen bereits seit Jahren umtreibt. Eine Ergänzung des Regelversorgungssystems ist meiner Meinung nach unerlässlich, ansonsten fallen die Menschen mit komplexen Behinderungen nach dem 18. Lebensjahr zurück auf eine unzureichende Basisversorgung und werden in ihrer gesundheitlichen Teilhabe eingeschränkt, erleiden sogar langfristig vermeidbare gesundheitliche Schäden.

Ausgangspunkt meines politischen Engagements war mein „Praxistag“ im Sozialpädiatrischem Zentrum (SPZ) Weißensee am 2. März 2011 sowie die Forderungen auf meinem Sommerfrühstück Gesundheit 2012 in Tempelhof-Schöneberg nach einem inklusiven Gesundheitswesen, welches den menschenrechtlichen Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention entspricht.

Bisher überwiegend ablehnende Haltung der Kassenärztlichen Vereinigungen

Einige Gründe, warum Menschen mit einer geistigen oder schweren Mehrfachbehinderung in Arztpraxen des Regelversorgungssystems oft nicht adäquat behandelt werden (können):

  • Fehlende Barrierefreiheit von Arztpraxen
  • Deutlich erhöhter Zeitbedarf (teilweise > 2 Stunden) für Anamnese und Diagnostik (Angst, Abwehr, Schreien)
  • Fehlende Kommunikationsfähigkeit der betroffenen Patienten sowie fehlende Kommunikationskompetenz und -bereitschaft der niedergelassenen Ärzte und ihrer Praxisteams
  • Fehlende Fachkompetenz niedergelassener Ärzte (so existieren z.B. für Erkrankungen von Menschen mit Behinderungen die einer besonderen Beachtung bedürfen, keine medizinischen Leitlinien)
  • Andere Gewichtung und Häufung von Erkrankungen im Vergleich zu nichtbehinderten Patienten (Stichworte Multimorbidität, Polypharmazie)

Obwohl nun bereits mehr als 18 Monate seit Inkrafttreten des Gesetzes vergangen sind, wurden nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 8. November 2016 bundesweit lediglich 15 Anträge von den KV-Zulassungsausschüssen positiv beschieden; bei einer Gesamtzahl von 76 Anträgen für Ermächtigungen.

Für den KV-Zulassungsbezirk Berlin liegen drei Anträge vor:

  •  Spastikerhilfe Berlin eG (Standort Prettauer Pfad), Antragstellung April 2016
  • Ev. Krankenhaus Elisabeth Herzberge, Antragstellung November 2016
  • Charité Berlin (Standort Mitte oder Virchowklinikum), Antragstellung Frühjahr 2016

Kein Berliner Antragsteller hat bis zum heutigen Datum eine Einladung für eine erste Verhandlung vor dem Zulassungsausschuss erhalten. Das muss sich ändern.

Kampf für den Aufbau von MZEB’s, insbesondere in Berlin

Für mich ist entscheidend, wie wir nun in der Realisierung vorankommen und was ich von der Bundesebene aus insbesondere für die Gründung von MZEBs in Berlin noch tun kann. Deswegen bleibe ich am Ball. Es wird noch im April ein Fachtreffen stattfinden, um weitere Schritte zu beraten.