Seit Beginn der statistischen Erfassung der Kaiserschnittgeburten in Deutschland im Jahr 1991 hat sich ihr prozentualer Anteil an der Gesamtzahl der Geburten mehr als verdoppelt: Waren 1991 noch 15,3% aller Geburten Sectioentbindungen, kam 2015 fast jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt (31,1%). Damit gehört der Kaiserschnitt in Deutschland zu den häufigsten operativen Eingriffen. So wie alle operativen Eingriffe birgt auch der Kaiserschnitt ein erhöhtes Risiko.
Insbesondere durch eine Kampagne des Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF) wurde ich 2014 auf die steigenden Kaiserschnittraten in Deutschland aufmerksam. Der AKF wies auf zahlreiche Ungereimtheiten im Hinblick auf die medizinische Notwendigkeit hin, da die Steigerungsraten regional zwischen 15 und 36 Prozent schwankten. Meiner Meinung nach konnte und kann eine solche Spannbreite nicht medizinisch begründbar sein. Es müssen andere strukturelle, organisatorische und ökonomische Gründe vorliegen, die dazu beitragen, dass der Anteil der normalen Geburten zurückgeht bzw. die Entscheidung für einen Kaiserschnitt begünstigt. So wird vermutet, dass Geburtshelfer*innen unter anderem aufgrund von Angst vor Komplikationen und späteren Schadensersatzklagen dazu bewegt sein könnten, nicht alleine oder nicht vorrangig nach medizinisch-fachlichen Kriterien zu entscheiden. Bekannt ist außerdem, dass Kaiserschnittgeburten höher vergütet werden als Vaginalgeburten. Erstaunlich war auch der Rückgang der am Sonntag geborenen Kinder.
Das frauengesundheitspolitische disziplinärübergreifende Netzwerk des AKF setzt sich zudem für eine höhere gesellschaftliche Beachtung und Wertschätzung des Wochenbetts ein. Diese Haltung wird auch im Positionspapier „Es ist höchste Zeit, das Wochenbett als wichtige Phase des Geburtsprozesses gesellschaftlich anzuerkennen“ deutlich.
In Brasilien kommt beispielsweise schon jedes zweite Baby per Kaiserschnitt zur Welt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert aufgrund weltweiter Beobachtungen, die Anzahl von Kaiserschnitten zu begrenzen und kritisiert die verharmlosende Darstellung von Kaiserschnitten ohne medizinische Indikation. Das soll sich ändern. Gefordert werden unter anderem die Entwicklung von evidenzbasierten Leitlinien, die Evaluierung geburtshilflicher Maßnahmen (z.B. Geburtseinleitungen) und die generelle Veröffentlichung der Kaiserschnittraten von Kliniken.
Mein Ziel: Erstellung einer evidenzbasierten S3-Leitlinie zum Kaiserschnitt
Als Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für Frauengesundheit kümmere ich mich auch um die Rahmenbedingungen der für Mutter und Kind, für die ganze Familie so bedeutsamen Phase der Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Ich habe bewirkt, dass sich das Bundesgesundheitsministerium verstärkt mit dieser Thematik befasst(e).
Mein Ziel war und ist, dass die zuständigen Fachgesellschaften eine interdisziplinäre hochwertige S3-Leitlinie zum Kaiserschnitt entwickeln. Diese soll künftig Ärzt*innen eine wissenschaftlich begründete Entscheidungshilfe für oder gegen einen Kaiserschnitt bieten, soll dabei helfen, dass Kaiserschnitte nur dann vorgenommen werden, wenn sie medizinisch wirklich notwendig sind. Die Koordinierung dieses Erstellungsprozesses erfolgt durch die extra geschaffene Koordinierungsstelle „Kaiserschnittforschung“ an der Universität Frankfurt.
Die S3-Leitlinie „Die Sectio caesarea“ ist bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) angemeldet und soll Ende September 2017 veröffentlicht werden.
Studien „rund um den Kaiserschnitt“ und ihre Ergebnisse
Aufgrund meiner Intervention wurden im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums vier Forschungsprojekte durchgeführt, die sich mit wichtigen Versorgungsfragen befassen. Es fand eine „Systematische Auswertung des aktuellen Forschungsstands zum Kaiserschnitt“ statt. Die vier Forschungsprojekte befassen sich mit relevanten Versorgungsfragen und wurden alle im Januar 2017 in einer Lang- bzw. Kurzfassung veröffentlicht. Durchgeführt wurden:
- eine Studie zur Schwangerenberatung,
- eine Studie zum OP-Zeitpunkt,
- drei Studien zu den Risiken der Kaiserschnittentbindung (Erhoben und bewertet werden sollte der derzeitige Forschungsstand zum Einfluss von Arzneimitteln (Antibiotika und Oxytocin) vor beziehungsweise nach der Kaiserschnittgeburt sowie die aktuelle Datenlage zu Standard Operating Procedures (SOPs) beim Kaiserschnitt.), und
- eine Studie zu Schwangeren nach Kaiserschnitt.
Zentrale Ergebnisse sind unter anderem:
- Nach einem Notkaiserschnitt oder einer traumatischen Geburt zeigt eine psychotherapeutische Beratung positive Effekte im Hinblick auf die Depressionsrate und auf posttraumatische Stressreaktionen.
- Vor der 39. Schwangerschaftswoche sollte kein „freiwilliger“ Kaiserschnitt durchgeführt werden, da die Wahrscheinlichkeit für eine neonatale Morbidität sonst erhöht ist.
- Die Antibiose vor der Geburt verringert im Vergleich zur postpartalen antibiotischen Prophylaxe die maternale infektionsassoziierte Morbidität signifikant. Insbesondere sinkt das Risiko für eine Endometritis und/oder Endomyometritis und für Wundinfektionen. Auch die Dauer des Krankenhausaufenthalts war für die Mutter bei präpartaler Verabreichung signifikant verkürzt – allerdings nur um 0,14 Tagen.
- Derzeit liegt keine Evidenz dazu vor, ob sogenannte Standard Operation Procedures (SOP) Kaiserschnitte sicherer machen.
- Es sind weitere qualitativ hochwertige Studien erforderlich, die sich umfangreich sowohl mit der diagnostischen Güte als auch mit der Qualität der Effekte der Diagnosen befassen.
Botschaft an die werdenden Mütter und die Geburtshelfer*innen
Ein Kaiserschnitt darf nicht verharmlost werden. Jeder Kaiserschnitt ist ein operativer Eingriff mit gesundheitlichen Risiken für die Mutter als auch für das Kind. Er sollte wirklich nur dann vorgenommen werden, wenn eine medizinische Notwendigkeit besteht. Mit den vorliegenden Studien erhöhen wir die Übernahme weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Geburtshilfe. Der Schutz von Mutter und Kind muss immer im Zentrum stehen.