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„Mechthild will´s wissen“: Zu Besuch im Domizil Alt-Mariendorf

 Die Eigenständigkeit der Bewohner*innen in einer liebevollen Atmosphäre fördern, ist das erklärte Ziel des Domizils Alt-Mariendorf. Dort war ich im Rahmen meiner alljährlichen Sommertour zu Vereinen, Unternehmen und Einrichtungen in Tempelhof-Schöneberg am 19. Juli 2017 zu Besuch.  Ich danke Ulrike Waldhecker, Heimleiterin, Kirsten Frenzel, Personalmanagerin und Birsen Kuru, Pflegedienstleiterin für unser interessantes, informatives und aufschlussreiches Gespräch.

Nun da sich die Aufregung um das große gesetzgeberische Reformpaket rund um die Pflege etwas gelegt hat, wollte ich wissen wie es den Einrichtungen selbst mit den neuen Gesetzen geht und wie es ihrer Meinung nach mit deren Umsetzung voran geht, ob zügig oder langsam, oder auch noch gar nicht.

Das Domizil im Überblick

Das Domizil Alt-Mariendorf besteht seit 2009 und zählt mit seinen 63 Plätzen für pflegebedürftige Menschen noch zu den kleinen Einrichtungen seiner Art. Das Domizil gehört zum Unternehmen hesena, welches noch vier weitere Einrichtungen bundesweit betreibt. Die im Domizil Alt-Mariendorf lebenden Menschen können zwischen Einzel- und Doppelzimmern mit eigenem Bad wählen und ihre Zimmer nach Wunsch gestalten. Es gibt verschiedene Wohnbereiche, darunter einer, der speziell für dementiell erkrankte Menschen zuständig ist. Außerdem gibt es einen Wachkoma-Bereich und einen Bereich, in dem betreutes Wohnen angeboten wird.

Meine Gesprächsteilnehmerinnen teilten mir ihre Sorge mit, dass kleinere Einrichtungen wie dieses am Mariendorfer Damm in Folge der Umstrukturierungen durch die Pflegestärkungsgesetze und die sicherlich notwendigen Erhöhungen der Gehälter in der Altenpflege nicht mehr bestehen bleiben können. Das wäre schade. Ich werde die Frage der Unternehmensgröße für das Weiterbestehen einer Einrichtung der Langzeitpflege im Blick behalten.

Leiharbeit in der Pflege

Angesichts der Arbeitsmarktsituation in der Pflege wird es immer schwieriger die Fachkraftquote von 52 Prozent beim Stammpersonal einzuhalten, so die Personalmanagerin. Deshalb müssten sie zunehmend auf Pflegefachkräfte von Leasingfirmen zurückgreifen. Die über Leasingfirmen kommenden Pflegefachkräfte würden jedoch häufig einen sehr hohen Stundenlohn verlangen und würden damit oft mehr verdienen als festangestelltes Stammpersonal in der Pflege. „Die Einrichtungen sind durch die Erfüllungspflicht in Bezug auf den Personalschlüssel erpressbar geworden.“ Zudem müsste eine Art Provision für die Vermittlung der Leasingkräfte gezahlt werden. Sollte dann eine der Leasingkräfte doch ins Stammpersonal des Unternehmens wechseln wollen, müsste die Einrichtung eine „Ablösesumme“ zahlen.

 Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?

Sowohl stationäre Pflegeeinrichtungen als auch ambulante Pflegedienste werden behördlich durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen, kurz MDK, überprüft und bewertet. Eine solche Kontrolleseiauch unbedingt notwendig, so die drei Frauen unisono. Es gäbe aber auch noch weitere Kontrollen u.a. durch die Heimaufsicht, etc.. Kritisiert wird der damit verbundene enorme Zeitaufwand, die dann bei der Betreuung der Bewohner*innen verloren ginge. Krankenhäuser hingegen, in denen beispielsweise Medikamentenmissbrauch viel wahrscheinlicher wäre, würden seltener kontrolliert werden. Hinzu käme, dass zwar die mit den Pflegestärkungsgesetzen eingeführte Dokumentationsvereinfachung durchaus fortschrittlich sei, diese aber noch nicht kompatibel seien mit der Befragung durch den MDK.

Pflegequalität transparent machen

Diskutiert wurde auch der sogenannte „Pflege-TÜV“. Bürger*innen wollten eine verlässliche Information über die Pflegeanbieter, das sei auch ihr gutes Recht, denn sie wollen ja den für sie passenden Pflegedienst bzw. die für sie passende Pflegeeinrichtung finden. Gemeinsam sind wir der Meinung, dass der sogenannte „Pflege-TÜV“ mit seinem Gesamtnotensystem ehr verschleiert als zur Aufklärung beiträgt. Der Grund ist im Widerstand an einer konstruktiven Mitarbeit einzelner Pflegeanbieter zu finden. Aus diesem Grunde haben wir Gesundheitspolitiker*innen bereits 2015 im Pflegestärkungsgesetz II ( § 113b SGB XI) einen neuen Qualitätsausschuss etabliert. Hiermit schaffen wir neue Strukturen der Selbstverwaltung zur Qualitätssicherung. Aufgabe dieses Ausschusses ist es, bis Ende 2017 wissenschaftliche Verfahren festzulegen, wie wir die Pflegequalität einer Pflegeeinrichtung oder eines ambulanten Pflegedienstes besser objektiv messen und transparent darstellen können. Leider hörte ich diese Tage, dass das Gremium, welches aus Vertreter*innen der Pflegekassen und -anbietern besteht, angekündigt hat, die von uns gesetzte Frist nicht einhalten zu können. Die Gründe kenne ich nicht, aber ich bin verärgert darüber, da dieses zulasten der Ratsuchenden geht.

Selbstvertretung der Pflegenden stärken

Wie in vielen sozialen Berufen ist der Organisationsgrad auch in den Gesundheitsberufen recht bescheiden. Dies bestätigen auch meine Gesprächspartnerinnen. Ein Grund sei, dass sich viele Pflegende sich durch die zuständigen Verbände nicht richtig vertreten fühlten. Ich bin der Meinung: Wer denn, wenn nicht Pflege selbst soll die Interessen der Pflege bündeln und vertreten? Deshalb kämpfe ich für die Einführung einer Pflegekammer. Kammern sind das Selbstverwaltungsgremium bei den heilkundlichen Berufen - Ärzt*innen haben ihre Ärztekammer, Apotheker*innen haben ihre Apothekerkammer. Pflegende brauchen ihre Pflegekammer.  

Pflege zu einem attraktiven Lebensberuf machen

Der Berufe Pflege muss attraktiver werden, die Rahmenbedingungen müssen so gestaltet sein, dass Auszubildende auch in der breiten Branche Pflege bleiben. Wie dringend wir Rahmenbedingungen in der Pflege ändern müssen, hat mir der Besuch eines Bildungszentrums für Pflegeberufe gezeigt, während dessen folgende Fragen an die Schüler*innen gestellt wurden:

Erstens: Wer von den Auszubildenden pflegt gerne? Es stehen fast alle jungen Menschen auf.

Zweite Frage: Wer von den Auszubildenden würde den Beruf Pflege seinen Freund*innen empfehlen? Es stehen nur noch cirka Zweidrittel der jungen Erwachsenen auf.

Dritte Frage: Wer glaubt noch in fünf Jahren im Beruf tätig zu sein? Es steht nur noch die Hälfte auf.

Gründe für diese Erwartungshaltung war nicht in erster Linie die Entlohnung sondern waren die aus Sicht der Auszubildenden unzureichenden Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen.

Wir waren uns im Gespräch einig: Die Aufgabe ist riesig – packen wir sie an. Es geht um die Würde der Pflegeempfänger*innen, es geht um Pflegequalität und es geht um gute Rahmenbedingungen für den Beruf.

Gute Pflege für alle

In sämtlichen Gremien zum Thema Pflege sollte die Fachlichkeit den Fachkräften, also jenen, die tatsächlich bereits Erfahrungen in dem Berufsfeld der Pflege gesammelt haben, überlassen werden, regte die Personalmanagerin an. Wir brauchen qualitativ hochwertige Einrichtungen, die auch bezahlbar sind. Der Pflegeberuf ist nicht nur ein mental schwieriger, sondern auch ein körperlich sehr anstrengender Beruf, deswegen sollte das Rentenalter zumindest im Bereich der Pflege auf 60 Jahre mindestens herabgesetzt werden, riet die Pflegedienstleiterin und in einem waren sich alle drei Frauen einig. Die Politik müsse sich an die Ausbildung setzen, sie nicht nur um einiges attraktiver machen, sondern auch bundesweit einheitlich gestalten. Die Bildung ist Länderhoheit und kann von jedem Bundesland anders gestaltet werden. Durch das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern, darf sich der Bund nicht in die Bildung einmischen, was dazu führen könnte, dass 16 unterschiedliche Ausbildungszeiten und auch 16 unterschiedliche Abschlüsse in der Pflegeausbildung innerhalb Deutschlands existieren und der Abschluss aus einem Bundesland in einem anderen nicht anerkannt wird. Wir haben das Kooperationsverbot schon insofern aufgelockert, als dass der Bund nun in die Sanierung maroder Schulen investieren kann, doch das reicht noch nicht.