(Erschienen in der Berliner Stimme Nr.14/15 - 65. Jahrgang 11. Juli 2015)
"Viel Licht und viel Schatten"
Mechthild Rawert: Schwierige Abwägung beim Gesetz zum Bleiberecht
Seit der ersten Lesung am 25. Februar 2015 war mir klar, in diesem Gesetz sind Licht und Schatten zugleich – macht es doch ganz besonders die unterschiedlichen Standpunkte in der Migrations-, Integrations-, Flüchtlings- und Asylpolitik zwischen CDU/CSU und SPD deutlich. Für mich war auch klar, ich werde mich nicht enthalten, sondern am Ende nach sorgsamer Abwägung der bis zur 2./3. Lesung noch erreichten Ergebnisse mit Ja oder Nein stimmen. Ich habe am 2. Juli letztlich mit Ja gestimmt.
Trotz der erreichten Fortschritte besteht kein Anlass zum Jubeln. Um über meine Entscheidung und gleichzeitig meine Haltung zu einzelnen Punkten des Gesetzes zu informieren, habe ich noch am gleichen Tag eine fünfseitige Persönliche Erklärung abgegeben.
Keine Sozialdemokratin, kein Sozialdemokrat hat sich die Entscheidung zu diesem Gesetz einfach gemacht. Als Landesgruppe Berlin hatten wir zu diesem Thema den Juso-Landesvorstand eingeladen und eine inhaltlich sehr gute Diskussion geführt.
Bleiberecht für langjährig Geduldete
Im Gesetz werden wichtige humanitäre Vorhaben aus dem SPD-Regierungsprogramm und dem Koalitionsvertrag umgesetzt. Endlich wird ein stichtagsunabhängiges Bleiberecht für langjährig Geduldete bei nachhaltiger Integration eingeführt. Dafür haben sich Flüchtlingsorganisationen, Kirchen und Gewerkschaften viele Jahre eingesetzt. Nach Angaben von PRO ASYL leben mehr als 75.000 Menschen seit sechs Jahren oder länger ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland. Das sind mehr als 75.000 Menschen, die seit Jahren gezwungen sind, ein Leben auf Abruf zu führen. Eine Rückkehr in ihr Herkunftsland ist für die allermeisten von ihnen undenkbar und in Deutschland sind sie bisher nur befristet geduldet. Immer wieder droht ihnen die Abschiebung. Sie alle konnten ihre Zukunft nicht gestalten, weil sie in Deutschland keine sichere Lebensperspektive hatten. Das wird sich mit dem neuen Bleiberecht ändern.
Verschärfungen bei der Aufenthaltsbeendigung
Allerdings machten mir die Verschärfungen der repressiven Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung die Zustimmung zum Gesetzentwurf sehr schwer. Die Kritik von Flüchtlingsorganisationen, Verbänden und der SPD Berlin an diesem Teil des Gesetzes ist berechtigt. Es ist der SPD-Bundestagsfraktion gelungen, im parlamentarischen Verfahren den Repressionscharakter einiger Regelungen zu entschärfen. Einige der kritisierten Regelungen setzen bisheriges Richterrecht um und stellen damit keine Verschärfung der bisherigen Praxis dar – aber auch keine Verbesserung. Für sehr problematisch halte ich die Einführung eines viertägigen Ausreisegewahrsams. In den Verhandlungen mit der Union stellte sich leider heraus, dass CDU/CSU ohne diese Regelung das Gesetz als Ganzes nicht mitgetragen hätte.
Ein weiterer großer Kritikpunkt sind die Einreise- und Aufenthaltsverbote. Der SPD ist es immerhin gelungen, den Anwendungsbereich der Verbote auf Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten, deren zweiter Asylfolgeantrag abgelehnt wurde, zu begrenzen. Zudem sollen die Verbote bei unverschuldeten Duldungsgründen nicht verhängt und bei Vorliegen der Voraussetzungen für Bleiberecht oder humanitären Aufenthalt aufgehoben werden.
Das Gesetz ist ein „klassischer Kompromiss“ der Großen Koalition. Ohne die Hinnahme von Verschärfung repressiver Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung sind die Verbesserungen beim Bleiberecht zu meinem sehr großen Leidwesen nicht durchsetzbar gewesen.