Die öffentliche Fachveranstaltung „Kinderwunsch trifft Politik - Wie kann Politik ungewollt kinderlose Paare unterstützen“ war Plattform für den Dialog zwischen betroffenen Paaren, ÄrztInnen, WissenschaftlerInnen und VertreterInnen politischer Parteien. Mit ihr begann am 9. November der 4. Kongress des Dachverbands Reproduktionsbiologie und -medizin e.V. im Langenbeck-Virchow-Haus. Im Mittelpunkt stand die Frage, warum sich Frauen und Männer nicht mehr automatisch FÜR Kinder entscheiden und warum immer später für die Verwirklichung ihres Kinderwunsches. Was sind die wirklichen Hintergründe für das veränderte Verhalten bei der Familiengründung? Welchen Beitrag kann die Reproduktionsmedizin leisten, indem sie Paare bei der Verwirklichung ihres Kinderwunsches unterstützt?
Unter der Moderation von Martin Spiewak, DIE ZEIT, diskutierten dazu drei Politikerinnen - Miriam Gruß (FDP), Stefanie Vogelsang (CDU) und ich für die SPD – ein Arzt - Dr. med. Andreas Tandler-Schneider, Fertility Center Berlin – und eine Vertreterin der Pharmaindustrie - Britta Woldt, Merck Sharp & Dohme GmbH. Betroffene Frauen und Männern empfinden die existierenden Regularien zur Kostenübernahme einer Künstlichen Befruchtung als willkürlich (Ehepflicht, Altersbeschränkungen, nur 3 Versuche). Es wird als ungerecht empfunden, die medizinischen Möglichkeiten nicht auszuschöpfen. Diese Einstellung kann ich verstehen; zumal bei der Entwicklung dieser Kriterien 2004 eine Budgetdeckelung intendiert gewesen ist. Das Land Mecklenburg-Pommern will im kommenden Jahr eine Bundesratsinitiative starten, um den Eigenanteil der Paare von jetzt 50 Prozent auf 25 Prozent zu reduzieren. Die für die Kassen erhöhten Kosten sollen durch Steuermittel ausgeglichen werden. Damit wäre sichergestellt, dass die Erfüllung des Kinderwunsches nicht mehr von der finanziellen Situation der betroffenen Paare abhängig ist. Von den Kolleginnen der Regierungskoalition wurde über ein am Vorabend im Haushaltsausschuss vereinbartes 10 Millionen-Programm von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder berichtet. Das wurde vom Publikum eher verhalten aufgenommen. Gleiches galt für die Absicht, im zur Zeit beratenen Versorgungsstrukturgesetz die Künstliche Befruchtung zum Wettbewerbsfaktor zwischen den Krankenkassen machen zu wollen.
Wissenschaft trifft Politik
Der Berliner Mikrosoziologe und Familienforscher Professor Hans Bertram hatte in seinem Vortrag „Das demographische Dilemma“ unmittelbar vor der Podiumsdiskussion darauf verwiesen, dass Gesellschaft und Politik die gesellschaftlichen Wandlungsprozessen zu verschlafen haben. Frauen unter 30 Jahren haben in Deutschland heute weniger Kinder als in anderen Ländern. Das hat viele reale Gründe: Die heutige junge Generation leide unter einer hohen Unsicherheit, u.a. durch prekäre, durch befristete Berufsstrukturen. Im Gegensatz zu den 60/70 Jahren habe heute die ältere Generation im Verhältnis mehr Geld als die junge. Prof. Bertram fordert einen Wandel im Umgang mit den Ressourcen Zeit - Geld - Infrastruktur. Seine abschließende Aussage: Wenn wir die „männliche Lebenslaufperspektive“ nicht überwinden, werden wir alle anderen Probleme nicht lösen.
Prof. Dr Heribert Kentenich, Chefarzt der Frauenklinik an den DRK Kliniken Westend und Fertility Center Berlin, führte „Das soziale und juristische Dilemma in der Reproduktionsmedizin“ aus. Er kritisierte die Restriktionen bei der Künstlichen Befruchtung. Da heute 30 Prozent der Paare nicht verheiratet sind, entspricht die Koppelung der Finanzierung an den Ehestatus nicht der gesellschaftlichen Realität. Auch die Altersbegrenzungen wurden von ihm kritisiert.
Seit zwei Jahren arbeiten Expertinnen und Experten im Arbeitskreis „Fertilität und gesellschaftliche Entwicklung“. Ihre Diskussionsbeiträge sind veröffentlicht im Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie. Hier sind u.a. das Kongressprogramm und dazugehörige Abstracts zum 4. DVR-Kongress zu finden, ebenso im Archiv die sehr aufschlussreichen Charts von Prof. Dr. Bertram.