Die Louise-Schroeder-Medaille wurde im Rahmen einer Feierstunde im Abgeordnetenhaus von Berlin am 17. April an Dr. Christine Bergmann verliehen. Christine Bergmann ist wie Louise Schroeder eine große Berlinerin. Die gelernte Pharmazeutin und Sozialdemokratin war die letzte und zugleich erste Vorsteherin einer frei gewählten Berliner Stadtverordnetenversammlung während der Zeit der DDR (Mai 1990 bis Januar 1991). Sie war Bürgermeisterin von Berlin und Senatorin für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen (1991 bis 1998) und Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im ersten Kabinett von Gerhard Schröder (1998 bis 2002).
Mit der Louise-Schroeder-Medaille des Berliner Abgeordnetenhauses werden Persönlichkeiten oder Institutionen geehrte, „die dem persönlichen und dem politischen Vermächtnis Louise Schroeders in hervorragender Weise Rechnung tragen und sich in besonderer Weise Verdienste um Demokratie, Frieden, sozial Gerechtigkeit sowie die Gleichstellung von Männern und Frauen erworben haben“.
Louise Schroeder, ein „Glückfall für Berlin“
Ralf Wieland, Präsident des Abgeordnetenhaus von Berlin, erinnerte an Louise Schroeder (SPD). Die gebürtige Hamburgerin war seit 1910 Sozialdemokratin und 1919 eine der ersten weiblichen Abgeordneten der Nationalversammlung. Die engagierte Sozialpolitikerin war bis 1933 Mitglied des Reichstages. Gesundheitlich schwer angeschlagen ging sie nach Kriegsende nach Berlin, nahm sofort die Arbeit für die SPD wieder auf, engagierte sich für die Wiederzulassung der Arbeiterwohlfahrt. Als stellvertretende Bürgermeisterin Berlins übernahm sie von Mai 1947 bis Dezember 1948 kommissarisch die Amtsgeschäfte für den Oberbürgermeiser Ernst Reuter. Von den Berlinerinnen und Berlins wurde sie liebevoll „Mutter Berlins“ genannt, da sie sich mit all ihrer Kraft für die Freiheit der Stadt einsetzte. Sie war eine Kümmerin, sie kämpfte leidenschaftlich für die notleidenden Menschen im Nachkriegs-Berlin.
Louise Schroeder war in den Augen der Berlinerinnen und Berliner ein „Glücksfall für Berlin“ - wie Christine Bergmann auch. Beide haben in Berlin in Zeiten eines Umbruchs politische Verantwortung getragen, Christine Bergmann in Zeiten der geteilten Stadt mit dem Ziel Berlin als Ganzes zu gestalten. Ralf Wieland machte deutlich, dass es für ihn eine große persönliche Freude sei, seine 1. Louise-Schroeder-Medaille gerade an Christine Bergmann verleihen zu können.
Christine Bergmann, ein guter Mensch
Dagmar Reim, Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, hielt die Festrede. Obgleich sie am Anfang die rhetorische Frage stellte, ob es langweilig sei, über einen guten Menschen zu reden, wolle sie genau das tun, über einen guten Menschen reden. Sie stellte den politischen Lebensweg von Christine Bergmann, die als 50jährige politisch von 0 auf 100 startete, freundschaftlich und respektvoll vor, beschrieb die Arbeit und Erfolge von Christine Bergmann in den Feldern Schutz vor Häuslicher Gewalt, beim Ausbau von Kindertagesstätten gemäß der Devise „Krippen und Kitas seien keinesfalls des Teufels“, bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen. Dagmar Reim erinnerte auch an das von Gerhard Schröder genutzte „böse Wort vom Gedöns“, welches sich als Klebrig erwiesen hätte.
Obgleich Christine Bergmann die häufig von Männern genutzte Masche „warum bellen, wenn Mann auch beißen kann“ keineswegs verkörpere, stehe sie mutig zu ihren politischen Überzeugungen. So habe Christine Bergmann 1994 sich auch gegenüber dem damaligen chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng für den hohen Stellenwert der Menschenrechte ausgesprochen und angemahnt, dass jedes System, das seine Kritiker ausgrenze und einsperre, zum Scheitern verurteilt sei. Li Peng brach daraufhin seinen Staatsbesuch vorzeitig ab.
Christine Bergmann sei eine vorausschauende Politikerin, habe bereits 1999 auf die durch Demenz erzeugten Probleme für die Älteren und für die Gesellschaft hingewiesen. 2010 übernahm sie auf Bitten der Bundesregierung die Position der sogenannten Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs und habe sich auch hier auf die Seite der Opfer gestellt, fordere von der Bundesregierung Ergebnisse. Ihr Glaube, die Gemeinschaft in der Kirchengemeinde, in der Synode sei für Christine Bergmann eine Quelle der Kraft.
Dagmar Reim betonte, sie habe die hellblauen Augen der jetzt 72-jährigen Christine Bergmann funkeln sehen wollen, daher diese als Preisträgerin ertragen müsse, was Siegmund Freud einmal gesagt habe: „Gegen Angriffe kann man sich wehren, gegen Lob ist man machtlos.“
Christine Bergmann, Kämpferin für Gleichstellung, Gerechtigkeit und Demokratie
In ihrer eigenen Rede betonte Christine Bergmann, dass sie sehr dankbar für die Erfahrungen sei, die sie habe machen dürfen. Die Leistungen der häufig als „Sozialtanten“ diskreditierten Frauen, wie Louise Schroeder eine war, dürfe ihrer Meinung nach nicht vergessen werden. Sie erinnerte an die Mahnung von Louise Schroeder, dass Finanz- und Wirtschaftspolitik auch Grundlage „für eine gute Sozialpolitik“ sei.
Zwar schreibe das Grundgesetz im Artikel 3, Satz 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Noch seien wir weit von der Gleichstellung entfernt.
Der andauernde Kampf der Frauen um Gleichstellung während des gesamten Lebensverlaufs sei sehr aktuell, wie sich an den Diskussionen um Entgeltgleichheit und um das Betreuungsgeld zeige. Absurd seien die Diskussionen um die Frauenquote – vor allem angesichts der vielen existierenden Quoten in Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. Es sei sehr erfreulich, dass sich zunehmend mehr Frauen gegen die gläsernen Decken wehren. Die Quote zwinge zu genauerem Hinschauen. Dieses sei auch dringend notwendig, da Studien längst bewiesen hätten, dass der Ausschluss von Frauen „gegen die ökonomische Vernunft“ sei. Angesichts des Tempos der augenblicklichen Gleichstellungspolitik sei angesagt; „Wir nutzen die nächsten 200 Jahre die Quote und dann prüfen wir mal“.
Sie habe den Eindruck, dass die Bundesregierung ihren eigenen ersten Gleichstellungsbericht von 2011 gar nicht gelesen habe. Es fehle eine konsistente Gleichstellungspolitik. Das Gutachten der unabhängigen Sachverständigenkommission "Neue Wege - gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf" verweise gerade auf diesen Mangel. Gleichstellung sei aber Voraussetzung für Fortschritt und Innovation. Gleichstellung sei auch eine Frage der Gerechtigkeit. Erst die gleiche Teilnahme und Teilhabe von Frauen und Männern in allen Bereichen der Gesellschaft bedeute die volle Verwirklichung von Demokratie. Und um dieses Ziel zu erreichen, müsse gelten: Jetzt sind wir dran!
Im Anhang finden Sie die Laudatio von Dagmar Reim und die Dankrede von Christine Bergmann als pdf.