Die Praktikantinnen der Verwaltung des Deutschen Bundestages Josephine Wenzel und Luisa Fritsch führten am 15. Juni 2012 das folgende Interview mit der SPD-Bundestagsabgeordenten Mechthild Rawert aus Tempelhof-Schöneberg:
Was war der Auslöser für Sie in die Politik zu gehen?
Ich wollte nicht mehr einfach nur „Zaungast“ sein. Es ist immer leicht zu meckern, egal über was. Meistens ist meckern gegen etwas gerichtet; ich wollte jedoch etwas aktiv tun und gestalten sowie einen kleinen Beitrag für eine bessere Welt leisten.
Was waren Ihre Anreize oder Motive in die SPD einzusteigen?
Als ich überlegte in eine Partei einzutreten, standen zwei zur Debatte; neben der SPD waren das auch DIE GRÜNEN. Im Hinblick auf die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, hat mir die SPD mehr zugesagt. DIE GRÜNEN „bedienen“ eher noch eine bestimmte Klientel. Das Miteinander in der Gesellschaft zu stärken, war und ist ein großer Antrieb für mich.
Was waren Ihre ersten Erfahrungen, die Sie nach dem Einstieg in die SPD 1987 gemacht haben?
Eine der ersten Erfahrungen war, dass mich einzelne Frauen „an die Hand genommen haben“ und mir Wege geebnet haben, später auch Wege in Funktionen. Ich wurde relativ schnell ASF-Kreisvorsitzende in Schöneberg. Es ist also nicht so, dass man immer die „Ochsentour“ gehen muss; erfreulicher Weise geht es auch anders.
Haben Sie ein Lebensmotto? Und wenn ja welches?
Ich möchte daran mitwirken, die Welt solidarischer auszugestalten. Diesbezüglich möchte ich „eine Spur hinterlassen“.
Ein Punkt der Abgeordnetenhauswahl Berlin letzten Jahres lautet: Interkulturelle Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer stärken. Was lässt sich darunter genau verstehen? Wie könnte man es umsetzen?
Es ist wichtig in Berlin zu lernen, dass in Berlin die Welt zu Hause ist. Allein in Tempelhof-Schöneberg leben Menschen aus über 180 verschiedenen Nationen. Wir alle, so wir nicht direkt in Berlin geboren wurden, kommen mit unterschiedlichem kulturellem Gepäck hier an. All dies verdient Wertschätzung. Gleichzeitig ist es notwendig, sich auf gemeinsame Maßstäbe für das Zusammenleben zu verständigen. Das didaktisch zu fördern halte ich für eine wichtige Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern. Die Zugänge zu gewissen Bildungsstufen sind mit Nichten leistungsgerecht. Hierfür gibt es eine Menge an Schulungsangeboten für die Lehrerinnen und Lehrer; die Schule als Gesamtorganisation muss sich hier stark machen. Auch in der Schülerschaft selbst muss sich ein Bewusstsein dafür entwickeln. Die Vielfältigkeit im Bildungspersonal wäre hierfür ein guter Vorreiter.
Wie stehen Sie zum Thema Frauenquoten? Befürworten bzw. lehnen Sie es ab?
Ich bin eine absolute Anhängerin einer Frauenquote. Die Hauptmotivation ist, dass ich möchte, dass es Leistungsgerechtigkeit gibt. Die jungen Frauen sind so gut ausgebildet wie keine Generation zuvor. Wir haben die Situation, dass die jungen Frauen bessere Schulabschlüsse haben als die jungen Männer. Das mit dem Bessersein hört schlagartig auf, wenn der Übergang ins Berufsleben erfolgt. Ich finde es fürchterlich ungerecht, dass die jungen Frauen die so genannte „Bildungsrendite“ nicht erhalten. Alle auf Freiwilligkeit basierenden Ansätze in der Wirtschaft haben in der Vergangenheit nicht gefruchtet, deshalb wollen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein Gesetz. Beispiele aus anderen Ländern zeigen uns, dass paritätisch geführte Unternehmen auch wirtschaftlich stärker sind. Partnerschaftlichkeit muss in der gesamten Gesellschaft auf neuer Ebene umgesetzt werden. Gerade die jungen Menschen verlangen auch danach. Politik hat hierfür gute und diskriminierungsfreie Rahmenbedingungen zu schaffen.
Was halten Sie vom geplanten Betreuungsgeld?
Davon halte ich überhaupt nichts und lehne es strikt ab. Die von Schwarz-Gelb als Begründung herangezogene Wahlfreiheit ist eine Farce und wer das sagt, der lügt. Die für das Betreuungsgeld veranschlagten mehreren Milliarden Euro sind sinnvollerweise für den Ausbau von Kindertagesstätten und von Betreuungsangeboten zu verwenden. In Studien der OEZD wurde nachgewiesen, dass gerade in finanziell schwächeren Familien, Frauen so von einer Berufstätigkeit abgehalten werden. Auch im Hinblick auf die Altersversorgung von Frauen ist dies eine Katastrophe. Es ist schlichtweg eine Fernhalteprämie der Kinder von Bildung sowie der Frauen vom Arbeitsmarkt. Das Betreuungsgeld ist zukunftsfeindlich.
Haben Sie Vorbilder in der Politik? Wenn ja wen?
Ich finde Gesine Schwan ganz toll. Sie ist ein taffe, lebendige, herzliche und authentische Frau, die viel in ihrem Leben erreicht hat. Zusätzlich setzt sie auch immer wieder neue Denkanstöße für unser Zusammenleben in der Demokratie.
Was war der schönste/schlimmste Moment in ihrer politischen Karriere?
Der schönste war der, als ich das erste Mal in den Deutschen Bundestag gewählt wurde. Die verlorene Bundestagswahl 2009 war die schlimmste Erfahrung.
Inwiefern verändert man sich durch seinen Beruf als Politikerin?
Das könnten andere Menschen besser beurteilen als ich selbst. Ich selber kann mir ja gar nicht vorstellen, wie ich mich in den letzten Jahren weiterentwickelt hätte, wenn ich nicht „hauptberuflich“ in die Politik gegangen wäre. Vom Charakter her habe ich mich, so glaube ich, nicht sehr verändert. Ich hänge an meiner Familie, liebe es mit Freundinnen und Freunden zusammen zu sein und lese immer noch gerne Krimis. Ich sehe es als großen Vorteil an, dass ich vor meiner politischen Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete schon anderweitig erwerbstätig gewesen bin.
Welches politische Thema liegt Ihnen besonders am Herzen?
Als Gesundheitspolitikerin liegt mit der gleiche Zugang zur gesundheitlichen Versorgung und zu einer würdevollen Pflege sehr am Herzen. Ganz aktuell ist mir die Verbreitung der Botschaft „Organspende rettet Leben“ und der Kampf gegen die Abzocke von Patientinnen und Patienten durch die Individuellen Gesundheitsleistungen, genannt IGeL, sehr wichtig.
Vielen Dank für das Gespräch und ein schönes Wochenende.
Josephine Wenzel und Luisa Fritsch
Praktikantinnen bei der Verwaltung des Deutschen Bundestages - Referat ZT 4 (Teilbereich Etagendienst)