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„Familie ist überall dort, wo Menschen füreinander sorgen.“ - Sommerfrühstück zum Thema Demografischer Wandel


„Familie ist überall dort, wo Menschen füreinander sorgen.“
„Der demografische Wandel muss demokratisch gestaltet werden. Es geht um Verteilungsfragen, um Solidarität und um Schutz vor Diskriminierung. Ich will, dass alle Menschen in unserer Gesellschaft an diesem Prozess teilhaben und teilnehmen“, sagte Mechthild Rawert zur Eröffnung ihres Sommerfrühstücks zum Thema „Demografischer Wandel“ am 24. August in der Pflegeresidenz Bavaria II in Tempelhof. Dieses Sommerfrühstück fand in der schon traditionellen Reihe „Auf ein Wort Frau Rawert“ statt.

Der Einladung der Tempelhof-Schöneberger Bundestagsabgeordneten waren Vertreterinnen und Vertreter des Pflegestützpunkts Pallasstraße, der Sozialstation Friedenau, der Pflegestation Meyer und Kratzsch, der GamBe gGmbH, der Debeka Berlin, des Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V (AKF) sowie des Werkhaus Anti-Rost e.V. gefolgt. Sie diskutierten in entspannter Atmosphäre über die Gestaltung des demografischen Wandels und erarbeiteten gemeinsame Handlungsansätze. Ebenfalls gekommen waren Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) und der Sprecher des Arbeitskreises Gesundheit und Soziales der SPD-Fraktion Tempelhof-Schöneberg Rainer Baack.  


Für die gastgebende Pflegeresidenz Bavaria II begrüßte Geschäftsführer Dr. Harry Düngel alle Anwesenden herzlich und betonte die hohe Bedeutung eines regelmäßigen Austausches zwischen Politik und Praxis. In der anschließenden Vorstellungsrunde wurde schnell deutlich, dass der demografische Wandel vielschichtige Herausforderungen mit sich bringt. „Für uns ist Demografie mittlerweile ein zentrales Thema, weil die Alterung der Gesellschaft den Bedarf an Pflegeleistungen deutlich erhöht. Die Gesellschaft steht vor immer größeren Herausforderungen, junge Menschen für eine Ausbildung im Bereich der Pflegeberufe zu gewinnen“, erklärte Michael Kassin von der Debeka Berlin. In der Praxis sei ein akuter Pflegekräftemangel zu beklagen, der auch mit der jahrzehntelangen geringen Anerkennung und Entlohnung der Arbeit in Pflegeberufen zusammenhängt. „Aufgrund einiger schwarzer Schafe - die es zweifelsohne gibt - findet derzeit eine Kriminalisierung der Pflegedienste insgesamt in den Medien statt“, beklagte Sabine Schumacher von der Pflegestation Meyer und Kratzsch. „Dabei wird leider übersehen, unter welchen schwierigen Bedingungen auch die ambulanten Dienste eine gute Arbeit verrichten. Das schadet uns natürlich bei der Suche nach jungen und qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern.“

Für die Pflegeresidenz Bavaria II konnte Leiterin Sibylle Schneider-Scheunemann berichten, dass derzeit 7 junge Frauen und Männer in der Einrichtung ausgebildet werden. „Deshalb ist der Fachkräftemangel bei uns noch nicht dramatisch. Gleichzeitig wissen wir aber, dass auch die Azubis unter der geringen gesellschaftlichen Anerkennung der Pflegeberufe insbesondere in der Altenpflege leiden. Viele von ihnen wollen versuchen, ein Medizinstudium anzuschließen oder den Beruf nach der Ausbildung noch einmal zu wechseln.“ Frau Hall-Freiwald vom Pflegestützpunkt Pallasstraße ergänzte, dass lediglich ein kleiner Anteil der bei Besuchen im Pflegestützpunkt befragten Schülerinnen und Schüler tatsächlich einen Pflegeberuf aufnehmen will.   

Die Unterstützung junger Leute ist auch eines der Hauptanliegen des Werkhauses Anti-Rost mit Sitz in Mariendorf. „Wir möchten jungen Menschen die Möglichkeit geben, die Arbeit mit Älteren kennen zu lernen und durch Praktika bei uns die Übergänge zwischen Schule und Beruf zu erleichtern“, erklärte Helga Mond von Anti Rost e.V..   

Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler berichtete von bereits bestehenden Kooperationen zwischen Schulen und Unternehmen in Tempelhof-Schöneberg, an denen sich vor allem die großen Industrienetzwerke im Bezirk beteiligen und lud dazu ein, unter Vermittlung des Bezirksamts weitere Kooperationen einzugehen.


„Die Ausbildung neuer Fachkräfte ist Aufgabe aller Betriebe“, fasste Mechthild Rawert die Diskussion zusammen. „Wir wollen junge Menschen für die vielfältige und interessante Gesundheitsbranche gewinnen, ihnen eine Ausbildung und „Gute Arbeit“ ermöglichen. Es muss möglich sein, im Gesundheitswesen bis zum regulären Renteneintrittsalter gesund tätig zu sein. Hierfür muss die gesellschaftliche, aber auch die finanzielle Anerkennung der Gesundheits- und Pflegewirtschaft steigen.“ Um alle Unternehmen bei der Ausbildung in die Pflicht nehmen zu können, schlug Mechthild Rawert einen umlagefinanzierten Ausbildungsfonds vor.

Angelika Schöttler unterstrich die Forderung nach einer flächendeckenden Infrastruktur im Bezirk. „Wir beobachten einen Generationswechsel in vielen Kiezen und einen hohen Bedarf an zusätzlicher Unterstützung für ältere Menschen. Auch das Bild von Familie ändert sich schnell: „Familie ist überall dort, wo Menschen füreinander Sorge tragen. Wir müssen gleichzeitig die Angebote für ältere Menschen ausbauen und den Jüngeren eine Perspektive geben. Beides darf nicht gegeneinander ausgespielt werden.“ Auch forderte sie eine gemeinsame Kampagne der Sozialverbände zur Vermittlung eines positiven Bilds der Sozialwirtschaft.

Dr. Harry Düngel unterstrich diese Forderung ausdrücklich. Er kritisierte mit Nachdruck die einseitig auf zunehmende private Finanzierung ausgerichtete Pflege- und Gesundheitspolitik der schwarz-gelben Bundesregierung. Häufig wird wegen finanzieller Not häusliche der stationären Pflege vorgezogen. „Hier stellt sich die Frage nach der Zukunft der solidarischen Gesellschaft ganz deutlicht“, ergänzte Dr. Düngel. Auch Frau Friedel-Franzen vom Nachbarschaftsheim Schöneberg stellte die Finanzierungsschwierigkeiten für betroffene Familien dar.

Bezahlbarer Wohnraum als Voraussetzung für Nachbarschaftshilfe

Als weiteren Handlungsbedarf formulierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Schaffung von ausreichend barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum. „Häufig werden existierende Helfernetzwerke zerstört, wenn finanzielle Not einen Umzug aus der bekannten Nachbarschaft erforderlich macht“, erklärte Frau Hall-Freiwald. Auch Nils Barz von der GamBe gGmbH unterstrich den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum für die Betreuung von Menschen mit Behinderung.

Den Schutz von Frauen mit Behinderungen stärken

Mit besonderer Sorge diskutierten die Anwesenden den Bericht von Karin Bergdoll vom Arbeitskreis Frauengesundheit zu den zunehmenden Fallzahlen und den enormen gesundheitlichen Folgen von Gewalt gegen Frauen im Kontext häuslicher und stationärer Pflege. „Hier möchten wir die Bundespolitik auffordern, die bekannten Gegebenheiten sehr viel stärker ins Rampenlicht zu stellen und die Bundesregierung nach Gegenmaßnahmen zu befragen. Insbesondere die erschreckend hohen Zahlen von Gewalt gegen schutz- und hilfebedürftige Frauen mit Behinderung lassen keinen Aufschub zu“, sagte Karin Bergdoll. „Es wurde auch Zeit, dass sich die Bundesregierung endlich intensiver mit der „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland“ beschäftigt hat. Die Vergabe einer repräsentativen Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend darf aber nur der Anfang sein. Haushaltspolitisch untersetzte Taten sind gefordert.“ Mechthild Rawert sagt zu, die Bundesregierung nach ihren konkreten Handlungsabsichten auch im Hinblick auf den Haushaltsplan 2013 zu befragen. Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) in Tempelhof-Schöneberg hat sich bereits mit den vorliegenden Ergebnissen der Studie befasst und sieht großen Handlungsbedarf auch im eigenen Bezirk.

Mit der solidarischen Bürgerversicherung gegen die Privatisierung von Lebensrisiken

Zum Abschluss der mehr als zweistündigen regen Diskussion berichtete Mechthild Rawert von den Beschlüssen der SPD-Bundestagsfraktion für eine umfassende Pflegereform und zur gerechteren Finanzierung der Pflegeleistungen durch die Bürgerversicherung Pflege. „Wir sehen erneut, dass jegliche Fantasien einer Steuersenkungspolitik falsch und gefährlich sind. Wir fordern eine ausreichende finanzielle Ausstattung für die Kommunen, damit diese in der Lage sind, eine Infrastruktur aufzubauen, die es den Menschen erlaubt, so lange wir möglich in ihren Wohnungen und im häuslichen Umfeld zu bleiben. Der gesundheitliche Fortschritt hat jeder und jedem von uns ein längeres und gesünderes Leben geschenkt. Jetzt geht es darum, unser Solidarsystem gegen die weitere Privatisierung von Lebensrisiken zu schützen. Wir müssen und wollen dafür Sorge tragen, dass niemand zurück gelassen wird“, schloss Mechthild Rawert das diesjährige Sommerfrühstück und dankte dem Team der Pflegeresidenz Bavaria II im Namen aller für die Gelegenheit dieses Besuchs.

 

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120824_SPD-Der Demographische Wandel ist politisch gestaltbar.pdf140.78 KB