Das breite Bündnis SPD Friedenau, die evangelische Philippus-Nathanael-Kirchengemeinde, das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, die Jusos Berlin, die AG Migration und Vielfalt in der SPD Berlin, das ADC Bildungswerk e.V. und das Deutsch-Israelische Nachrichtenmagazin HaOlam.de hatten für Sonntag, den 02.09.2012 um 12:00 am Grazer Platz zu einer Solidaritätskundgebung für und mit Rabbiner Daniel Alter und seiner Familie aufgerufen - und rund 1500 Menschen aus Friedenau und ganz Berlin kamen. Sie alle zeigten Gesicht gegen Antisemitismus und Rassismus, machten deutlich: Jüdisches Leben gehört zu Berlin. No-go-Areas darf es für niemanden geben.
„Shalom Alechem, Friede sei mit Euch, Salam Aleikum“ begrüßte Rabbiner Daniel Alter die Anwesenden und bedankte sich für die gezeigte Solidarität. Er stellte klar: „Ich habe das Jochbein gebrochen bekommen, aber meinen Willen, mich für den interreligiösen Dialog und die Verständigung von Völkern und Nationen einzusetzen, haben diese Typen nicht gebrochen“. Daniel Alter war am 28. August von vier mutmaßlich arabischstämmigen Jugendlichen beleidigt, geschlagen und verletzt worden. Daniel Alter rief dazu aus, weiterhin Gesicht zu zeigen für ein tolerantes, für ein offenes Berlin „das werden sie uns nicht nehmen!“. Zuvor hatten schon Dilek Kolat, Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Levi Salomon vom Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, Serge Embacher für die SPD Friedenau, Hermann Dreer als direkter Nachbar von Daniel Alter, Mechthild Rawert, Bundestagsabgeordnete für Tempelhof-Schöneberg, Kevin Kühnert für die Jusos Berlin und Pfarrer Thomas Lübke, Philippus-Nathanael-Kirchengemeinde, gesprochen.
Den Worten der Solidarität müssen politische und zivilgesellschaftliche Taten folgen
Mit dieser kraftvollen Kundgebung machten die Mitglieder jüdischer, muslimischer und christlicher Vereine und Organisationen, verschiedener Parteien - gesehen habe ich Vertreterinnen und Vertreter der SPD, Bündnis90/Die Grünen und der Linkspartei - türkischstämmige TaxisfahrerInnen, Mitglieder von Laib und Seele, viele Friedenauerinnen und Friedenauer und viele Berlinerinnen und Berliner gemeinsam deutlich: Jeder Mensch hat das Recht angstfrei zu leben, jeder hat das Recht sich im öffentlichen Raum angstfrei zu bewegen. Wir zeigen als zivilgesellschaftlich engagierte Bürgerinnen und Bürger unübersehbar Gesicht gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Wir bekennen uns zu unserem weltoffenen und tolerantem Berlin. In unserer Stadt sind Wertschätzung und Respekt für jeden Menschen Handlungsmaxime. Wir wollen als Nachbarn friedlich zusammenleben.
„Jüdisches Leben gehört zu Berlin“, darauf verwies Integrationssenatorin Dilek Kolat und forderte die islamischen Verbände auf, sich intensiver als bisher mit dem Antisemitismus in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen. Es muss mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden. Der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Levi Salomon, warnte davor, Antisemitismus als alleiniges Problem einer Randgruppe zu sehen. Antisemitismus entspringe der Mitte der Gesellschaft, eine Aussage die von allen Rednerinnen und Rednern geteilt wurde. Zwar werden die allermeisten antisemitischen Straftaten aus rechtspopulistischen und rechtsextremen Motiven heraus begangen, zwar handelt es sich herbei zumeist um rechtsextreme Täter. Aber ein latenter Antisemitismus ist bei viel zu vielen Menschen spürbar. Salomon unterstützte die Forderung von Integrationssenatorin Kolat: Es muss eine stärkere Auseinandersetzung mit dem speziellen Antisemitismus in islamischen Verbänden stattfinden.
Die Würde des Menschen ist unantastbar
Auch die Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert verurteilte den abscheulichen Überfall auf Daniel Alter. Und: „Ich fordere die vier jungen Männer auf, Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen und sich dem Rechtsstaat zu stellen.“
Für uns alle gilt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So besagt es Artikel 1 unseres Grundgesetzes und in Artikel 4 wird die Religionsfreiheit gewährleistet. Rawert streicht heraus, dass im Artikel 1 auch stehe: Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Politik ist gefordert, auf jeder Ebene. „Ich finde die von der Bundesrepublik vorgenommenen Kürzungen in den Programmen der Sozialen Stadt verwerflich, ebenso die Kürzungen in den Programmen, die Jugendlichen Chancen auf eine nachholende Bildung ermöglichen“, kritisiert die Bundestagsabgeordnete scharf. Sie fordert: „Wir müssen die jungen Menschen stärker erreichen, unabhängig davon ob sie Juden, Moslems oder Christen sind. Wir brauchen mehr Aufklärungs- und Bildungsarbeit gerade mit den Jugendlichen, die aus sozial schwachen und bildungsarmen Familien kommen.“
Rawert verwies darauf, dass die Einführung der Extremismusklausel politisch antidemokratisch gewirkt hat, den Projekten, die vor Ort gegen Antisemitismus und Rassismus arbeiten, die Luft abschnürt. „Es kann nicht sein, dass bei Projekten gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit gekürzt wird. Ich finde es verwerflich, wenn zivilgesellschaftlichen Initiativen pauschal Extremismus unterstellt wird. Diese sogenannte Extremismusklausel be- und verhindert demokratisches Engagement. Sie gehört abgeschafft“, forderte Rawert.
Friedliches Zusammenleben ist möglich
Rabbiner Daniel Alter hat in einem Artikel einmal gesagt: „Im Judentum geht es in erster Linie nicht um die Theorie, sondern um die Praxis“. Ein liebevoller Umgang, Menschlichkeit, Wärme und Herzlichkeit ist das, was jüdisches Leben ausmacht. „Ich finde, das gilt nicht nur für jüdisches Leben, es gilt für unserer gesamtgesellschaftliches Zusammenleben. Wer am Freitag auf dem Dürerplatz das von Jugendlichen aus allen bezirklichen Jugendfreizeitstätten organisierte Straßenfest „Fremd sein - Fremd gemacht werden“ besucht hat, weiß dieses. Ich danke allen, die sich hierfür engagiert haben. Nutzen wir Gelegenheiten wie diese, auch mit den Jugendlichen zu reden, über ihre Träume vom gemeinsamen Leben in Vielfalt.“
Auf einem großen Banner konnten alle Teilnehmenden der Kundgebung ein Bekenntnis gegen Gewalt und Antisemitismus namentlich unterzeichnen - es hängt nun für alle sichtbar im Friedenauer Kiez.