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So arm wie lange nicht, so reich wie nie zuvor!

Die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich wird größer. Zu diesem Ergebnis kommt der 4. Armuts-und Reichtumsbericht. Er hat schon als Entwurfsfassung eine neue Debatte über staatliche Umverteilung ausgelöst. Eingemischt hat sich mittlerweile auch Bundeskanzlerin Merkel und vor einer neuen Belastung von Vermögenden gewarnt.

Der Armuts-und Reichtumsbericht ist ein Bericht der deutschen Bundesregierung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands. Erstellt wird er im Bundesministerium für Arbeit. Der spezielle Fokus liegt auf Armut und deren Bekämpfung. Auf Druck der SPD wird im Bericht auch die Entwicklung des Reichtums untersucht. Zum Bericht gehören politische Maßnahmen, mit der die Bundesregierung die Lebenslage und die Verwirklichungschancen gesellschaftlich sozial Benachteiligter verbessern will.

Bisher liegt der Bericht nur in einer Entwurfsfassung vor. Die Bundesregierung hat ihn noch nicht offiziell veröffentlicht. Eigentlich hätte sie dieses fristgemäß im Juni tun müssen. Doch offensichtlich sind die Ergebnisse zu brisant und außerdem: Mal wieder kann sich die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht einigen, welche Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und zur Regulierung des Reichtums notwendig sind.

Schluss mit politischer Schönfärberei
Die Bundesregierung unternimmt nichts zur Armutsbekämpfung, will dieses aber durch Geheimniskrämerei verschleiern. Am 08. November hat die SPD-Bundestagsfraktion, initiiert durch die AG Verteilungsgerechtigkeit, der ich angehöre, eine Konferenz zusammen mit zahlreichen GewerkschafterInnen und VertreterInnen von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden zum 4. Armuts- und Reichtumsberichts durchgeführt. In ihrer Eröffnung verwies Hilde Mattheis, Sprecherin der AG Verteilungsgerechtigkeit und Vorsitzende der Forums Demokratische Linke 21, darauf, dass die Haltung der Bundesregierung, die soziale Spaltung unserer Gesellschaft würde sich durch den demografischen Wandel praktisch wie von selbst ändern, zynisch ist. Die Bundesregierung will zum sozialen Zusammenhalt mit menschenwürdigen Existenzbedingungen nicht beitragen, es müsste dann nämlich umfairteilt werden.

Politik muss sich aber kontinuierlich mit der Verteilungsfrage von Armut und Reichtum und der damit verbundenen politischen Gestaltung auseinandersetzen, forderte Frank Walter Steinmeier, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Steinmeier verwies auf die zunehmende Schere zwischen Arm und Reich. Die Ungleichheit nimmt zu. Die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: 16 Millionen Menschen bzw. fast 20 Prozent der Bevölkerung sind von Armut und/oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Die „untere“ Hälfte der Haushalte verfügt nur über rund ein Prozent des Nettovermögens. Dagegen besitzen 10 Prozent der Haushalte über 50 Prozent des gesamten Nettovermögens. Die Menschen in Deutschland sind zeitgleich „so arm wie lange nicht, so reich wie nie zuvor“, so Steinmeier. Ein weiterer Befund des Berichtes zeigt deutlich: Während die Privatvermögen einiger Weniger wachsen, wird der Staat immer ärmer. Das Vermögen privater Haushalte addiert sich auf eine Rekordsumme von 4,8 Billionen Euro, dagegen ist das Nettovermögen des deutschen Staates ist in den letzten 20 Jahren um 800 Milliarden Euro zurückgegangen!
Eine Demokratie lebt von sozialer Gerechtigkeit. Es braucht politische Gegensteuerung durch eine gerechte Steuerpolitik, damit der Staat seine Handlungsfähigkeit im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger behält.

Gewerkschaften und Sozialverbände kritisieren Untätigkeit der Bundesregierung
Auch die Gewerkschaften betrachten die zunehmende soziale Spaltung mit großer Sorge. Dr. Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall, kritisierte die häufige gezielte Unter-und Übertreibung im 4. Armuts-und Reichtumsbericht. Zwar wird die Minderung der Erwerbslosigkeit immer wieder lobend erwähnt, verschwiegen werden aber die verfestigte Armutsentwicklung von 14 bis 16 Prozent, die zunehmende Prekarisierung von Arbeit und der Rückgang der Normalbeschäftigung bei gleichzeitiger Zunahme von Leiharbeit und Teilbeschäftigung. Auch die Arbeitslosenquote bei Menschen über 50 Jahren ist kaum zurückgegangen. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist durch die atypischen Beschäftigungsverhältnisse stark geprägt. Die auf dem Arbeitsmarkt vorherrschende allgemeine Verunsicherung muss beendet werden.
Dr. Judith Kerschbaumer, Leiterin des Bereichs Sozialpolitik bei verdi, teilt die Positionen der IG. Vehement kritisierte sie, dass der Bericht nicht nach Geschlecht oder nach Ost und West unterscheidet - dabei sind die jeweiligen Lebenswirklichkeiten, die „ Soziale Lage und Sicherheit im Alter“ nicht miteinander vergleichbar. Das zeigt sich insbesondere beim Thema Altersarmut.
Neben Armut existiert unsäglicher Reichtum. Darauf verwies Dr. Markus M. Grabka, DIW (Berlin), und erläuterte diese Aussage mit Ausführungen zu „Privates Vermögen, seine Verteilung und Auswirkungen der Ungleichverteilung“. So hat sich das Volksvermögen in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Es gibt eine „explosionsartige Zunahme von Vermögensmillionären“. In Deutschland leben derzeit rund 950.000 MillionärInnen. Deren Reichtum ist zu 63 Prozent aufgrund von Erbschaften entstanden. Die Folgen sozialer Ungleichheit sind eine hohe Selektivität im Bildungswesen - noch immer bestimmt zu einem hohen Maße die soziale Herkunft den Bildungserfolg - und unterschiedliche gesundheitliche Lebensqualitäten. Auch die Lebensdauer unterscheidet sich zwischen arm und reich dramatisch.

„Die Bundesregierung prüft, ob und wie über die Progression in der Einkommenssteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann.“ Dieser Satz findet sich als Fazit des Kapitels mit der Überschrift „Vermögende vermögen mehr“ im Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts. Natürlich führt das schnell zum empörten Aufschrei der FDP. Mensch darf gespannt sein, ob dieser Satz bei der offiziellen Eröffnung noch als politische Handlungsabsicht enthalten sein wird.

Joss Steinke, AWO-Bundesverband, kritisierte in seinen Ausführungen zu „Der Sozialstaat, seine Aufgaben und Finanzierung“ das Fehlen von Instrumenten für einen vorsorgenden Sozialstaates. Im Bericht ist kaum die Rede von Prävention, von der Bedeutung lebensbegleitender Bildung, vom Aufbau hochwertiger öffentlicher Güter und Dienstleistungen wie der frühkindlichen Bildung oder eines umfassenden Gesundheitswesen. So bleibt der Bericht Stückwerk. Der alleinige Fokus auf staatliche Transferleistungen als Ausdruck eines Sozialstaates ist ein Rückschritt. Die AWO-ISS-Studie zu Lebenslagen und Lebenschancen bei Kindern und Jugendlichen hat sehr deutlich gemacht, dass es um viel mehr geht als „nur um mehr Geld“: Um armutsbedingte ungleiche Bildungschancen zu vermeiden, bedarf es eines qualitativ hochwertigen Ausbaus der Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten und des unbedingten Verzichts auf eine frühe Selektion. Der frühere AWO-Bundesvorsitzende Wolfgang Schmidt äußerte sich zu dieser Studie in Bezug auf die Eltern wie folgt: „Von den meisten der in der Untersuchung befragten „armen“ Eltern wird eine nur schwer vorstellbare Stärke verlangt, ihre Situation täglich zu bewältigen und für ihre Kinder zu sorgen“. Diese Anstrengung ist gesellschaftlich mit mehr Respekt und Achtung zu honorieren.

Außerdem äußerte Joss Steinke die Befürchtung, dass bei der Finanzierung „freiwilliger Projekte“ durchgängig gekürzt wird. Dabei stehe im Bericht: "Staatliches kann nicht durch privates Engagement ersetzt, sondern bestenfalls ergänzt werden."

Sozialdemokratische Forderungen
Zur Bekämpfung der Spaltung der Gesellschaft fordert die SPD-Bundestagsfraktion u.a.:
•    Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohn für alle
•    Nicht nur anständige Mindestlöhne, sondern auch anständige Tariflöhne und allgemeinverbindliche Regelungen dazu
•    Die Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 49%
•    die Wiedereinführung der Vermögenssteuer.

Das Wichtigste aber ist: Politik ist nicht machtlos! Wir alle müssen den Mut zur Gestaltung unserer Gesellschaft haben. Nur so können wir die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern.

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