Krankenhäuser sind einem zunehmendem Wettbewerbs- und Innovationsdruck unterworfen. Grund genug für die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) am 09. Januar im DGB-Haus über "Prekäre Arbeitsverhältnisse, ungleiche Entlohnung und extreme Arbeitsbelastung im stationären Gesundheitswesen - Was tun?" zu diskutieren.
Unter Leitung von Volker Prasuhn, AfA-Vorsitzender in Tempelhof-Schöneberg, und Sven Meyer, AfA-Vorsitzender in Reinickendorf, fand zusammen mit den ReferentInnen Christel Riedel, Projektleiterin Forum Equal Pay Day, Business and Professional Women - Germany e.V., Volker Gernhardt, ver.di, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender Vivantes, und Mechthild Rawert, Mitglied des Gesundheitsausschusses, Bundestagsabgeordnete für Tempelhof-Schöneberg, ein Dialog mit den zahlreich anwesenden GewerkschafterInnen und Betriebs- und Personalräten statt. Volker Prasuhn verwies darauf, dass rund 60 Prozent der Betriebskosten im stationären Gesundheitswesen Lohnkosten seien und diese häufig als Stellschraube für Einsparungen genutzt würden. Zugenommen habe die Zahl der privaten Betreiber und ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse. Gesundheit und Pflege seien aber keine Ware, wie die Merkel-Regierung es zunehmend propagiert. Von einer SPD-geführten Regierung wird eine Kurskorrektur zu Gunsten der Beschäftigten erwartet.
Reformbedarf im stationären Gesundheitswesen
In den 2174 Krankenhäusern Deutschlands hat zwischen 1999 und 2009 aus Kosteneinsparungsgründen ein Abbau von 9,3 Prozent der Vollzeitstellen stattgefunden, so Mechthild Rawert. Nicht alle Qualifikationsniveaus sind gleichermaßen betroffen: Während die Zahl der Fachkräfte auf einem niedrigeren Niveau als bislang angenommen relativ konstant blieb - 1,1 Millionen Beschäftigte auf 825.654 Vollzeitstellen - wurde vor allem bei den Gesundheits- und KrankenpflegehelferInnen (minus 27,7 Prozent) und Ungelernten (minus 13 Prozent) eingespart. Zeitgleich fand und finden auch heute Privatisierungen, finden Auslagerungen von Leistungen in Unternehmenstöchter statt. Zu beobachten ist auch eine Tarifflucht und die zunehmende Beschäftigung von LeiharbeitnehmerInnen. Parallel ist eine deutliche Zunahme der Fallzahlen bei zunehmend kürzeren Verweildauern bei steigender Behandlungskomplexität der PatientInnen zu beobachten. Vor allem steigen die fachlichen Anforderungen an die Pflegefachkräfte. Die Leistungsverdichtung und Erhöhung der Arbeitsbelastung führt zunehmend auch im Krankenhaus zum Burn-Out bei Beschäftigten.
Alle - Politik, öffentliche, gemeinnützige und private Krankenhausträger, Gewerkschaften, Krankenkassen, etc. - sind gefordert, einen Wandel der Beschäftigungsbedingungen zu bewirken. Ohne diesen Wandel ist der dringendst gebotenen Fachkräftesicherung nicht beizukommen. Ohne eine Verbesserung des „Arbeitsplatzes Krankenhaus“ wird eine am Wohl der PatientIn orientierte stationäre Gesundheitsversorgung nicht ausreichend möglich sein. Nur mit neuen Versorgungsstrukturen und -prozessen können jetzige und künftige Probleme im Bereich der Gesundheit und Pflege angegangen und die dafür erforderlichen Arbeitskräfte gewonnen werden.
Finanzierung
Die 1972 eingeführte duale Krankenhausfinanzierung - die betrieblichen Kosten werden bundesseitig über die Krankenkassen und über Steuerzuschüsse erbracht, während die Investitionskosten von den Ländern getragen werden - gehört auf den Prüfstand.
Nach Jahren der Diskussion wurden 2004 Fallpauschalen eingeführt. Im Krankenhaus erbrachte Leistungen (z.B. Übernachtung, Pflege, Speisenversorgung, die meisten Arzneimittel und Medizinprodukte) werden auf der Grundlage eines jährlich weiterentwickelten Fallpauschalen-Katalogs vergütet. Zunehmend stellt sich die Frage, ob die durch die Pflege erbrachten Leistungen in ihrem Wert in den mittlerweile rund 1.200 Fallgruppen (G-DRG) und circa 150 ergänzenden Zusatzentgelten für bestimmte Behandlungen, insbesondere Operationen, entsprechend abgebildet sind. Mit der fallpauschalierten Vergütung sollten Anreize zur wirtschaftlichen Umstrukturierung der stationären Leistungserbringung und Kapazitäten gemacht werden. Das ist gelungen. Heute stellen sich angesichts der in einigen Bereichen überproportionalen Mengendynamik einzelner medizinischer Leistungen neue Fragen: Existieren einheitliche und akzeptierte Indikationsstandards oder bietet das DRG-System zunehmend Fehlanreize zur Erhöhung der Mengenzahl in für das jeweilige Krankenhaus wichtigen strategischen Bereichen? Auch eine Überversorgung ist keine am PatientInnenwohl orientierte Gesundheitsversorgung. Beispiele in den aktuellen Diskussionen sind z.B. die überproportionale Zunahme der Kaiserschnitte oder die vielen Knie- und Hüftoperationen, die sich aufgrund der demografischen Entwicklung alleine nicht immer erklären lassen.
Auf dem Prüfstand: Berufliche Bildung, Professionalität und Arbeitsgestaltung
Zu den zentralen Zukunftsaufgaben eines modernisierungsorientieren Gesundheitswesen gehört die Fachkräfteentwicklung und Fachkräftesicherung. Unbestritten ist, dass die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen und bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit neuen Anforderungen an die Qualifikation und Kompetenz der einzelnen Berufsbilder sowie an die Arbeitsgestaltung einschließlich der interdisziplinäre Kooperation aller Beteiligten in den jeweiligen Krankenhäusern verbunden ist. Das zeigen auch die aktuellen Debatten um die Zusammenführung der Pflegeberufe, um eine neue generalistische Pflegeausbildung, um die Akademisierung der Pflege. Fakt ist: Ohne neue berufliche Qualifikationen und Kompetenzen wird es nicht möglich sein, die neuen Strukturen, Prozesse und Angebote der Gesundheitsversorgung im stationären und ambulanten Sektor, in der Prävention und Rehabilitation, in der palliativen Versorgung sicherzustellen.
Gute Arbeit in der Sozialen Gesundheitswirtschaft
Mit rund 4,7 Millionen Beschäftigten und einem Anteil von fast 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist die Gesundheitsversorgung ein bedeutender Wirtschaftssektor in Deutschland. Angesichts des medizinisch-technischen Fortschritts und des demografischen Wandels ist von einem weiteren Ansteigen auszugehen.
Dennoch wurde der Gesundheitssektor lange Zeit überwiegend als Kostenfaktor und Bremse ökonomischer Entwicklung wahrgenommen. Dies machen die Debatten um die Höhe der Beitragssätze immer wieder deutlich.
Ein Paradigmenwechsel tut not: Eine soziale Gesundheitswirtschaft, in der „Gute Arbeit“ auf Seiten der Beschäftigten zu mehr Gesundheit und Lebensqualität für die gesamte Bevölkerung führt, ist vor allem Impulsgeber für Innovationen, Beschäftigung und regionale Entwicklung. Eine soziale Gesundheitswirtschaft befördert das qualitative Wachstum der gesamtgesellschaftlichen Wirtschaft und Wohlfahrt. Die soziale Gesundheitswirtschaft zielt nicht nur auf ein rein quantitatives Wachstum, sondern zuerst auf mehr gesunde Lebensjahre und eine bessere Lebensqualität, auf gute Arbeit und auf qualitatives Wachstum. Damit verbunden ist eine neue Betrachtungsweise von Dienstleistungsarbeit, von personenorientierten Dienstleistungen als Garant für Wachstum und steigende Beschäftigung.
Diesen Erfordernissen wollen wir mit unserem sozialdemokratischen Konzept der „Guten Arbeit“ auch im stationären Gesundheitswesen nachkommen: Mit der Durchsetzung des allgemeinen und flächendeckenden Mindestlohn und mit fairen Regeln, um unsichere Beschäftigung und Niedriglöhne zurückzudrängen, Leiharbeit und ungewollte Teilzeit einzugrenzen und die unbefristete und ordentlich bezahlte Arbeit zu stärken. Außerdem gehören Fragen der Gesundheit am Arbeitsplatz und der souveränen Gestaltung der Arbeitszeit zu einer neuen Ordnung für Arbeit. Wir wollen sicherstellen, dass die belastenden Arbeitsbedingungen und -zeiten attraktiveren Bedingungen weichen und eine angemessene Bezahlung der Arbeitskräfte erfolgt.
Equal Pay im Gesundheitswesen
Dass Frauen im Durchschnitt immer noch 22 Prozent weniger verdienen als Männer ist ein Skandal. Dieses wurde zu Recht von Christel Riedel, Projektleiterin des beim BPW Germany, Business and Professional Women - Germany e.V., angesiedelten Forum Equal Pay Day skandalisiert. Der am 21. März 2013 stattfindende „Equal Pay Day“ stellt die mit dem Thema „Lohnfindung im Gesundheitswesen - viel Dienst, wenig Verdienst“ die Gesundheitsbranche in den Mittelpunkt. Mich freut dieses, sind doch Frauen gerade hier mehrheitlich beschäftigt. Um equal pay „gleiches Geld für gleiche und gleichwertige Arbeit“ für Frauen und Männer zu erzielen, bedarf es noch vieler konzertierter Aktionen, bedarf es der Umsetzung u.a. fachlich angemessener Leistungsbewertungen und Vergütungen, mehr Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, mehr Rechte für Teilzeitkräfte und auch eines „familienfreundlichen Krankenhauses“. Weitere Informationen und interessante Videos sind auf der Website www.equalpayday.de zu finden.
„Von sicheren zu unsicheren Arbeitsverhältnissen. Kann das der Weg der öffentlichen Krankenhäuser in Berlin sein?“ - dieser Frage stellte sich Volker Gernhardt, ver.di, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender Vivantes. Und beantwortete sie nach einer dezidierten Darstellung zur Situation der Beschäftigten bei Vivantes mit einem klaren Nein.
Rege Diskussion
In der Diskussion wurde - unter Hinweis auf die anstehende Bundestagswahl - immer wieder darauf verwiesen:
- Die Glaubwürdigkeit der SPD hängt von der Realisierung von „Guter Arbeit“ und einer neuen „Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“ ab.
- Das Entgeltgleichheitsgesetz muss im Interesse einer gerechten Bezahlung von Frauen umgesetzt werden.
- Die Vermittlung durch die Jobcenter muss qualifiziert werden.
- Zu wenig Personal führt zu Todesfällen bei den PatientInnen.
- Der gewerkschaftliche und berufsständische Organisationsgrad unter den Beschäftigten ist zu gering.
- Betriebe der Kommunalen Wirtschaft müssten Vorbilder hinsichtlich der Qualität der Arbeitsbedingungen sein.
- Die Rechte der Beschäftigten sind auszubauen: u.a. das Recht von Teilzeitkräften auf einen Vollzeitarbeitsplatz, auf Fort- und Weiterbildung.
- Auch in Gesundheitsunternehmen muss ein Demografie-Management stattfinden, müssen alternsgerechte Arbeitsplätze existieren.
- In ihren Rechten stark beschnitten sind Pflegende in der häuslichen Umgebung - vor allem wenn diese aus dem Ausland kommen. Hier bedarf es einer stärkeren Regulierung.
- Zu beobachten ist eine De-Qualifizierung der Pflege, Modelle der Delegation und Substitution sind nicht ausreichend umgesetzt.
Vereinbart wurden weitere Veranstaltungen zur Sozialen Gesundheitswirtschaft auch zusammen mit der ASG, der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gesundheitswesen. Ich freue mich auf den Austausch.