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Öffentliche Anhörung zur Rezeptfreiheit der „Pille danach“

Ziel der Anträge der SPD-Bundestagsfraktion „Rezeptfreiheit von Notfallkontrazeptiva - Pille danach - gewährleisten“ (Drs. 17/11039) sowie der Fraktion DIE LINKE „Die Pille danach rezeptfrei machen“ (Drs. 17/12102) ist die Rezeptfreiheit der "Pille danach" mit dem Wirkstoff Levonorgestrel. Darüber wurde in einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Dr. Carola Reimann (SPD) am Mittwoch, 24. April 2013, kontrovers debattiert. Die Anhörung ist auch von Seiten der Bundesländer mit Spannung erwartet worden. SPD und Grüne wollen über den Bundesrat durchsetzen, dass Frauen die "Pille danach" ohne Rezept bekommen können. Die rot-grün regierten Bundesländer haben Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen damit beauftragt, eine entsprechende Initiative auszuarbeiten. Die Anhörung kann hier nachverfolgt werden:
http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2013/43633849_kw17_pa_gesundheit_pille/

Aus medizinischer Sicht spricht nichts dagegen, das Mittel zur Notfallverhütung mit dem Wirkstoff Levonorgestrel rezeptfrei zugänglich zu machen. Der Einzelsachverständige Prof. Dr. Horst Lübbert (Gynäkologe) plädierte als einer der wenigen Ärzte entschieden für eine Freigabe von Levonorgestrel. Schließlich habe dieser Wirkstoff schon eine „ungewöhnlich lange Sicherheitsgeschichte“. Er werde seit 40 Jahren eingesetzt und es würden Erfahrungen aus über zwanzig Jahren mit Millionen Anwendungen in 79 Ländern einschließlich der USA mit der rezeptfreien Abgabe vorliegen. In dieser Zeit seien keine bedrohlichen Nebenwirkungen oder gesundheitlichen Schäden bekannt geworden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stufe die „Pille danach“ dementsprechend als gesundheitlich unbedenklich ein. Widerstände dagegen seien möglicherweise eher berufsständisch als medizinisch begründet.

Für die Aufhebung der Rezeptpflicht für die "Pille danach" braucht es eine Veränderung der Arzneimittelverschreibungsordnung. Die Nutzung der „Pille danach“ soll nach einer Beratung durch ApothekerInnen und nicht erst nach der Konsultation einer FrauenärztIn oder einer Notfallambulanz möglich werden. Es gebe weder medizinische, pharmazeutische oder ethische Gründe für die Rezeptpflicht der LNG-Pille, argumentiert die Sachverständige Dr. Gudrun Ahlers vom Deutschen Pharmazeutinnen-Verband (dpv). Auch der Verband der Pharmazeutinnen und Pharmazeuten ist ebenso wie die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) davon überzeugt, dass ApothekerInnen mit ihrer Beratung eine sichere Anwendung der Pille danach gewährleisten können. „Dass Apotheker gut beraten können, haben sie in den vergangenen 20 Jahren unter Beweis gestellt“, sagte Professor Martin Schulz (ABDA). „Ich gehe nicht davon aus, dass jemand annimmt, dass die Apotheker in Deutschland schlechter beraten als ihre Kollegen in anderen Ländern“.

Die Vertreterinnen vom pro familia Bundesverband und dem Arbeitskreis Frauengesundheit (AKF) rückten das Selbstbestimmungsrecht der Frau in den Vordergrund. Dr. Ines Thonke vom pro Familia Bundesverband machte an Bespielen deutlich, dass mit der Rezeptfreiheit der „Pille danach“ die sexuellen und reproduktiven Rechte der Frauen  auch in Deutschland gestärkt werden. Unbedingt dazu gehöre der niedrigschwellige Zugang zu einer Notverhütungsmethode. Kritisiert werden "Versorgungslücken": Die seitens der ÄrztevertreterInnen immer wieder herausgestellte notwendige „ausführliche gynäkologische Beratung findet aus unserer Sicht nicht statt“. Weder in der Klinik tätige noch niedergelassene Frauenärzte hätten im Versorgungsalltag die Zeit, jede Frau mit dem Wunsch nach einer Notfallkontrazeption so ausführlich wie hier immer wieder gefordert zu beraten. Außerdem seien Frauen hauptsächlich an Wochenenden auf die Pille danach angewiesen und würden beim ärztlichen Bereitschaftsdienst häufig keine FrauenärztIn, sondern VertreterInnen anderer ärztlicher Fachrichtungen antreffen. Diesen fehle die Kompetenz für eine ausführliche gynäkologische Beratung. Der notwendige Arztbesuch verzögere daher die Einnahme nur unnötig. „Bei einer bekannten höchsten Wirksamkeit des Präparats in den ersten zwölf bis 24 Stunden ist das sehr problematisch“, sagte Thonke. Zudem könnten viele Opfer von Vergewaltigungen anfänglich mit keinem Menschen über die erduldeten Qualen, über das Verbrechen reden. Auch einem Arzt, einer Ärztin würden sie sich nicht anvertrauen können/wollen. Dies sei aber derzeit Voraussetzung, um im Notfall die Pille danach verschrieben bekommen zu können. Auch würden Frauen häufig berichten, bei ihrem Anliegen, die "Pille danach" zu bekommen, entwürdigend behandelt zu werden. Eine Beibehaltung der Rezeptpflicht sei daher „willkürlich und politisch motiviert“.

So kann man es formulieren, zumal Erfahrungen aus anderen Ländern auch zeigen, dass es z.B. keinen Zusammenhang zwischen einer Rezeptfreiheit und der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche gibt.  Die Rezeptfreiheit der „Pille danach“ existiert bereits in 79 europäischen und außereuropäischen Staaten. Studien belegen: In internationalen Leitlinien (zum Beispiel der WHO) existieren keine Kontraindikationen für die Anwendung von LNG zur Notfallverhütung.

Dank jahrelanger Aufklärungsbemühungen verhüteten viele Jugendliche zuverlässig, berichtete die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Dr. Elisabeth Pott. Untersuchungen der BZgA hätten gezeigt, dass die Pille danach in Deutschland überwiegend von Frauen verwendet wird, die eigentlich verhüten, bei denen es aber eine Verhütungspanne gegeben hat. „Bei uns gehen junge Leute sehr verantwortlich mit der Pille danach um“, betonte Dr. Pott. Das werde sich auch mit der Freigabe der Notfallkontrazeption nicht ändern. Damit widerlegte sie die gerade von Kritikern der Pille danach geäußerte Befürchtung, die Entlassung der Pille danach aus der Verschreibungspflicht führe zu einem sorgloseren Umgang vor allem junger Menschen mit Sexualität. Die „Pille danach“ werde in Deutschland häufig bei Verhütungsunfällen eingesetzt. „Das sind Ausnahmesituationen, die für einen verantwortlichen Umgang sprechen“. Dr. Pott hält einen schnellen und niedrigschwelligen Zugang deshalb für wichtig. Die Informiertheit zur „Pille danach“ und ihre Akzeptanz sei insbesondere bei deutschen Frauen hoch. Bei den türkischen Frauen der ersten Generation, bei Migrantinnen überhaupt, ist die Bekanntheit mit 25%  dagegen sehr viel niedriger. Hier bedarf es noch mehr Aufklärungsarbeit.

Eine große Rolle spielte in der Anhörung die Vergleichbarkeit der Wirkstoffe Levonorgestrel (LNG) und (UPA). Die Studienlage dazu referierte der Einzelsachverständige, Prof. Dr. Horst Lübbert. Während für die Pille danach auf LNG-Basis (Kosten ca. 18 Euro) umfangreiche Studien vorgenommen wurden, ist die Datenlage bei Ulipristalacetat (Kosten ca. 35 Euro) sehr dürftig.

Auch die demokratischen PharmazeutInnen schließen sich der Forderung nach Rezeptfreiheit an. Der Wunsch nach einer Freigabe komme „von der Basis und aus den Beratungsstellen, so Ulrich Hagemann, Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten e.V. (VDPP). Gleichzeitig habe eine Studie belegt, dass Ulipristalacetat „nicht als neuer Standard angesehen“ werden könne.

Von den Expertinnen und Experten wurde auch klar formuliert, was jeder und jede wissen muss: Die „Pille danach“ sorgt für die Verhinderung einer ungewollten Schwangerschaft - sie ist keine Abtreibungspille! Sie verhindert oder verschiebt den Eisprung, so dass keine Befruchtung stattfindet. Hat eine Befruchtung bereits stattgefunden, verhindert die Pille danach die Einnistung in die Gebärmutter. Ist eine Einnistung der befruchteten Eizelle schon geschehen, wirkt die Pille danach nicht mehr. Deshalb muss die Pille danach auf LNG-Basis so schnell wie möglich, spätestens 72 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr, eingenommen werden.

Einig waren sich die meisten Experten darin, dass das Präparat nicht als "Allheilmittel" in der Werbung angepriesen werden sollte. Ein Problem sahen sie auch darin, dass ein rezeptfrei erhältliches Mittel nicht von den Krankenkassen erstattet werde. "Pro Familia" trat bei der Anhörung für einen Zugang für alle ein. Die Beratungsstelle bat aber den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu prüfen, ob junge Frauen die "Pille danach" kostenfrei bekommen könnten. Annette Nahnhauer von den GKV verwies jedoch darauf, dass eine Kostenübernahme für rezeptfreie Medikamente nur bei "schwerwiegenden Erkrankungen" möglich sei. Die Nichterstattungsfähigkeit dieses Arzneimittel solle aber "kein Grund sein, die ´Pille danach` nicht rezeptfrei zur Verfügung zu stellen", so Thonke.

Für die Entlassung der „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Levonorgestrel aus der Verschreibungspflicht muss die Arzneimittelverschreibungsordnung geändert werden. Da dies gemeinsam von Bundestag und Bundesrat erfolgen muss, bin ich weiter in Kontakt mit den Verantwortlichen im Bund und den Bundesländern. Ich begrüße, dass derzeit von den Ländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen eine Gesetzesinitiative vorbereit wird, die die Rezeptfreiheit zum Ziel hat.