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Queer Community: Von vor Ort in den Deutschen Bundestag

„Auf ein Wort mit Mechthild Rawert“ mit VertreterInnen der LGBTTI-Community

Das alljährliche Frühstück in meiner Reihe „Auf ein Wort mit Mechthild Rawert“ mit VertreterInnen der LGBTTI-Community fand am 29. Mai 2013 in den Räumen der Berliner Aids-Hilfe statt. Gleich zu  Beginn wurde eine der Funktionen dieses gemeinsamen Frühstückes genutzt: Das Netzwerken - untereinander wurden Hinweise auf Veranstaltungen ausgetauscht. Auch dieses Jahr nehme ich einen bunten Strauß an politischen vor Ort-Erwartungen mit in den Deutschen Bundestag.

Mit einer Schweigeminute haben wir zu Beginn der fünf Opfer und der acht Verletzten des rassistisch motivierten heimtückischen Brandanschlages auf das Haus der türkischstämmigen Großfamilie Genç in Solingen gedacht. In der Nacht zum 29. Mai 1993, vor zwanzig Jahren, brannte der Dachstuhl nieder. Die Opfer starben an Rauchvergiftung, an Hitzeschock, beim Sprung aus dem Dachgeschoss, andere erlitten schwerste Verbrennungen.

Unser erste einhellige Forderung: Keine Regierung darf die Programme gegen Rechtsextremismus und Rassismus, für Demokratie und Toleranz kürzen! Wir alle teilen damals wie heute die Haltung: So etwas darf nie wieder geschehen. Gestärkt werden muss eine demokratische Zivilgesellschaft, gefördert werden müssen Träger und Maßnahmen, mit denen gegen Rechtsextremismus und Rassismus aktiv Gesicht gezeigt wird.

Gesellschaftspolitik anpacken

Mit den Worten "Mechthild, auch letztes Jahr fand das Frühstück bei der Berliner Aids-Hilfe statt, und ich sehe mit Freude, dass in der Zeit darauf du wirklich all die Themen, insbesondere die „Pille danach“ und „Intersexualität“ angegangen bist, welche wir hier alle gemeinsam für wichtig und notwendig hielten und halten" - gab Ute Hiller, Leiterin und Geschäftsführerin des Vereins, den Startschuss für die rege Diskussion.

Am Austausch nahmen VertreterInnen der Berliner Aids-Hilfe, vom Rogate Kloster Sankt Michael zu Berlin bzw. dessen Förderverein, von der Schwulenberatung Berlin, vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD), vom House-of-Queer Sisters e.V., von der Arbeitsgemeinschaft Lesben und Schule in der SPD (Schwusos), von der Stadtteilzeitung Schöneberg, der Lesbenberatung Berlin e.V. und LesMigras, vom Jugendhilfeträger gleich & gleich und vom Zentrum "Kommunikation und Bildung", kurz KomBi, einer vom Senat geförderten und in Deutschland beispiellosen Institution der Jugend- und auch Erwachsenenbildung, teil.

Leider hat die Bundesregierung meinem Antrag auf Rezeptfreiheit der „Pille danach“ auf Levonorgestrel (LNG) - Basis nicht zugestimmt, aber wir SozialdemokratInnen behandeln das Thema im Bundesrat. Auch ich mache an diesem Thema in der nächsten Legislaturperiode weiter. Es geht doch um nichts weniger als das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihre reproduktive Gesundheit.

Inklusion bedeutet Vielfalt

Das normative Konzept der Zweigeschlechtlichkeit ist zu hinterfragen. Erfreut zeigen sich alle ob der „Fortschritte“ bei der Durchsetzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit für trans- und intergeschlechtliche Menschen seit unserem Frühstück 2012. Dazu beigetragen hat auch meine Fraktion vor Ort-Veranstaltung „Intersexuelle Menschen anerkennen - Selbstbestimmung im Identitätsgeschlecht“ mit ExpertInnen und Betroffenen in der Zwölf-Apostel-Kirche im vergangenen September. Nicht nur, dass ich Empfehlungen aus der Debatte in den Antrag Drucksache 17/13253 „Rechte intersexueller Menschen stärken“ der SPD-Bundestagsfraktion einbringen konnte. Berichten konnte ich, dass mittlerweile drei Anträge zur Intersexualität vorliegen, eine wirklich Fortentwicklung in dieser Legislaturperiode aber nicht zu erwarten ist. Eine abschließende Beschlussfassung erfolgt im Ausschuss für Gesundheit am 12. Juni. Auch in dieser Runde plädieren die einen für den Wegfall jeglicher Angaben zur Kategorie Geschlecht, andere votieren für eine Ausweitung der Kategorien „weiblich“ und „männlich“. Zu begrüßen ist, dass die Themen Intersexualität, Transsexualität, Transgender zwischenzeitlich viele Menschen beschäftigen. Die Tabuisierung scheint durchbrochen.

Erfreulicherweise führte die Veranstaltung in kirchlichen Kreisen laut Bruder Franziskus, Rogate-Kloster, „als direkte Folge innerkirchlich dazu, über Geschlecht als Kategorie zu debattieren“. Petra Nowacki, Stv. Bundesvorsitzende und Vorsitzende der Schwusos Tempelhof-Schöneberg, berichtete davon, dass der Berliner SPD-Landesparteitag am 25. Mai 2013 beschlossen hat, die eigenen Parteiformulare auf möglich Diskriminierungen durchforsten zu lassen. Der Vorschlag von Frau Franziskus, eine Veranstaltung zum Thema „Ist Geschlecht eine Kategorie“ wurde positiv begrüßt. Ein Top mehr für meine „to do Liste“.

Ehe für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften öffnen

Alle Anwesenden begrüßen das neue Gesetz zur Gleichstellung von schwulen und lesbischen Paaren in Frankreich, welches nach monatelangen Debatten und Protesten vor einigen Tagen offiziell in Kraft getreten ist. Wir SozialdemokratInnen stehen für die Öffnung der Ehe, für Gleichstellung bei der Adoption und im Steuerrecht. Wir alle sind gespannt auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil, gehen aber von einer weiteren Klatsche für Frau Merkel aus. Schon längst ist die Lebensrealität in Deutschland bunter und vielfältiger, als manche notorische SäkularisierungsverweigererInnen ihren AnhängerInnen vormachen. Die SPD wird die Öffnung der Ehe in das Programm der ersten 100 Regierungstage übernehmen.

Vielfalt braucht nachhaltige finanzielle Unterstützung

Kirstin Manuka, Lesbenberatung, verweist auf Ungleichheiten bei der Verteilung öffentlicher Gelder. Das Prinzip Gender Budgeting muss bei Schwulen-, Lesben- und Transprojekten unbedingt implementiert werden. Die aktuelle Kürzungsankündigung von Gesundheitssenator Czaja verunsichert diejenigen, die im psychosozialen Bereich des Gesundheitswesens, die für Menschen in „besonderen gesundheitlichen Bedarfslagen“ tätig sind. Dazu gehören die Queer-Projekte für lesbische, bisexuelle und transidente Menschen. Notwendig ist ein aktives Engagement der Zivilgesellschaft hinsichtlich der Berliner Haushaltsdebatten zur Verteilung der Gelder im Rahmen der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ (ISV).

Mehrere Anwesende bedauernt, dass es parteien- und fraktionsübergreifend auch in der LGBTTI- Community „an Offenheit und Transparenz von dem, was in der Pipeline ist“, fehlt. Petra Nowacki empfiehlt dennoch eine Mobilisierung der Abgeordneten. Die Schwusos sind dabei, die bisherige Ausgestaltung der Initiative zu analysieren und werden - in Kooperation mit den Lesben und Schwulen in der Union (LSU) - Vorschläge für einen Regierungsantrag zum neuen Doppelhaushalt machen.

Gute Arbeit und Entlohnung auch für Beschäftigte im Queer-Bereich
Ute Hiller verweist darauf, dass es in den Projekten seit langem keine tarifliche Angleichung mehr gegeben habe, dass die Arbeit bei gleichbleibender bzw. sinkender Finanzierung zu erfolgen hat. Nicht tragbar sei die häufige Verlagerung von Arbeit auf Freiwillige, zumal niemand eine Reduzierung der geleisteten Qualität wolle. Insbesondere neue Projekte stünden zu oft auf nur „wackeligen Füssen“, das diene der Nachhaltigkeit der Arbeit nicht.

Aktuelle Erwartungen an den Deutschen Bundestag

Auf meine Frage: „Welche Erwartungen werden an den Bundesgesetzgeber gestellt?“ wurden u.a. genannt:

  • Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung für Menschen ohne Krankenversicherung bzw. für Menschen „sans papier“: HIV- und Syphilis Tests „für alle, die es brauchen“, anonymer Krankenschein
  • Verbesserung des Gesundheitswesen durch Verkürzung der Wartezeiten auf Reha-Maßnahmen
  • Stärkere Aktivitäten im europaweiten Kampf gegen Homophobie
  • Trans- und Intersexualität „normalisieren“ und nicht in „Sondergesetzen“ behandeln
  • Empfehlungen des Ethikrats hinsichtlich der Entschädigungsvorschläge für die „sehr verletzten intersexuellen Menschen“ übernehmen
  • Verbesserung der Kodierung gesundheitlicher Leistungen, damit einzelne überhaupt abrechnungsfähig werden;
  • Grundsätzliche Ablehnung von „kosmetischen Operationen“ bei Kindern
  • Eine stärkere Aufarbeitung  zum § 175 des deutschen Strafgesetzbuches, Rehabilitierung der Toten und Diskriminierten der NS- Zeit und Ehrung der noch wenigen Lebenden, die während der Nazidiktatur verurteilt wurden (Für beide Teile Deutschlands wurde der § 175 erst 1994 ersatzlos aufgehoben)
  • Die gesundheitliche Situation von Flüchtlingen verbessern
  • Einsatz für eine Untersuchung zum Leben von queeren Jugendlichen heute
  • Die Bildungsarbeit über queere Lebensformen in der Kita und in den Schulen ausbauen, die entsprechende Fortbildung für ErzieherInnen und LehrerInnen ausbauen
  • Weltweite Durchsetzung des Leitbildes der „aidsfreien Generation“, dieses zum Grundelement für die weltweite Verwirklichung von Menschenrechten, von sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlichem Wohlstand machen - auch und gerade in und für europäische Staaten
  • Sich innerhalb der EU dafür einsetzen, dass Russland/Belarus/Ungarn/Ukraine wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen gegen die LGBTTI-Community verstärkt anprangert werden


Terminhinweise

  • 14. Juni 2013, 19.30 Uhr: Ökumenischer Gottesdienst anlässlich des 21. Stadtfestes des Regenbogenfonds in der Zwölf-Apostel-Kirche
  • 26. Oktober 2013 : Gedenkveranstaltung in der Apostel-Kirche für die Opfer bisheriger Methoden zur Behandlung von Intersexuellen stattfindet unter dem Motto: „Die es nicht geschafft haben“

Versprochen habe ich Georg Härpfer, Schwulenberatung Berlin, einen gemeinsamen Besuch bei TrIQ, einem sozialen Zentrum, welches sich für trans-, intergeschlechtliche und queer lebende Menschen in Berlin und darüber hinaus einsetzt.

Ich bedanke mich bei den TeilnehmerInnen für die wieder anregende Diskussion und nehme alle Anregungen gerne mit. Wir sehen uns bald wieder.