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Zu Gast beim Mittagstisch der Parlamentarischen Linken

Wie soll der linke SPD-Flügel sozialdemokratische Politik gestalten? Was bedeuten „Solidarität und Freiheitsrechte wahren“ zu Zeiten einer europaweiten Wirtschafts- und Vertrauenskrise? Was lehren 24 Jahre in der Politik? - Fragen, die die Parlamentarische Linke in der SPD-Bundestagsfraktion während eines Mittagtisches mit Johano Strasser und Wolfgang Thierse diskutierte.

Als Praktikantin von Mechthild Rawert besuchte ich am 25. Juni zum ersten Mal den Mittagstisch der Parlamentarischen Linken (PL) in der Parlamentarischen Gesellschaft. Die Mitglieder der PL trafen sich aufgrund der letzten Sitzungswoche in dieser zu Ende gehenden 17. Legislaturperiode in dieser Mitgliederkonstellation auch zum letzten Mal. Diese dienstäglichen Treffen in jeder Sitzungswoche dienen der gemeinsamen Beratung und Austausch auch mit geladenen Gästen.

Zu Gast waren dieses Mal der ehemalige PEN-Präsident Prof. Dr. Johano Strasser sowie Wolfgang Thierse, MdB und Vizepräsident des Deutschen Bundestages.

Politisches Urgestein: Wolfgang Thierse blickt auf 24 Jahre Amtszeit zurück
Nach 24 Jahren in der Politik machte Wolfgang Thierse einen Rückblick auf seine verschiedenen Funktionen und Aufgaben. Ausführlich ging er auch auf seine politische Geschichte als Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei der DDR ein. Der Gegensatz von Ost-West-Sozialdemokratie sei noch immer präsent, so wie es die ökonomisch-sozialen Differenzen auch seien. Wolfgang Thierse bedauerte, dass die Zahl „ostdeutsche Biographien“ in der SPD abnehme. Sie seien schließlich diejenigen, die ein Verständnis für eine spezifische ostdeutsche Sozialdemokratie schaffen können. Diese ostdeutschen Biographien fehlten an vielen Stellen.

Wissenschaft meets Politik: Johano Strassers kulturwissenschaftliche Perspektive auf die SPD
Johano Strasser, ehemaliger Präsident der deutschen Schriftstellervereinigung PEN, sprach aus der kulturwissenschaftlichen Perspektive über die Haltung und Politik der SPD. Er sensibilisierte seine ZuhörerInnen für eine Politik, die auf kulturelles Verständnis ausgelegt ist und die soziale, rechtliche und materielle Voraussetzungen dafür schafft, dass Menschen von ihren Freiheitsrechten, den höchsten Werten in unserer Gesellschaft, tatsächlich Gebrauch machen können. Protestbewegungen in Südeuropa aber auch in der Türkei zeigten, was bei Nichtschaffung dieser Voraussetzungen geschehe. Gerade in Europa, das sich vielleicht zu Unrecht als bester Vertreter der Menschenrechte darstelle, müsse „echte Solidarität“ gelebt werden. Hieraus ergeben sich die Aufgaben für eine „Fortschrittpartei SPD“, wie die SPD es sein und bleiben möchte.

Vor allem die Zukunft der Arbeit stelle die Herausforderung des 21. Jahrhunderts dar, so Strasser. Er erwarte eine weiter fortschreitende Automatisierung mechanischer Arbeit. Es bleibe nur noch solche Arbeit übrig, die nicht effizient ersetzt werden kann: personenbezogene Dienstleistungen. Strasser spricht von der Notwendigkeit der „Humanisierung der Arbeit“. In den personenorientierten Bereichen seien Beschäftigte weitaus zufriedener. Dennoch privilegiere unsere heutige Gesellschaft die Arbeitsbereiche, die rationalisiert werden können, und benachteiligt jene - durch schlechte Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen - zukunftsträchtigen Bereiche. Hier liege die Zukunft sozialdemokratischer Politik, auch einer Politik, die auf Europäischer Ebene gemeinschaftlich verfolgt werden sollte.

Für mich war die Teilnahme an diesem interessanten Austausch während des letzten PL-Mittagstisches vor der Sommerpause und vor Ende der 17. Legislaturperiode zwischen Wissenschaft und Politik sowie zwischen Genossinnen und Genossen verschiedener Generationen und politischer Hintergründe sehr interessant. Bei so viel anregenden Gedanken und Intellekt hätte ich fast das gute Essen vergessen. Na dann, Mahlzeit!

Dorte Fischer