Der 27. Januar 1945, der Befreiungstag von Auschwitz durch die Rote Armee, wurde 1996 bundesweit zum internationalen Gedenktag an die Opfer der nationalsozialistischen Willkür und Diktatur ausgerufen. Seitdem ist der gesetzlich verankerte Gedenktag ein fester Bestandteil der Gedenkkultur in breiten Teilen der Bevölkerung geworden. Seit Jahren begehe ich diesen unverzichtbaren Gedenktag mit einer Erinnerungsveranstaltung an wechselnden Gedenkorten in meinem Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg. Unter dem Motto „Erinnerung braucht einen Ort“ fanden sich am 26. Januar 2014 ca. 100 Gäste im Nachbarschafts- und Familienzentrum Lichtenrade in der Finchleystraße 10 ein, um der Häftlinge des Zwangsarbeiterlagers Lichtenrade ehrend zu gedenken.
In meiner Begrüßung habe ich besonders dem Friedenauer Rabbiner Daniel Alter, Beauftragter gegen Antisemitismus und für interreligiösen Dialog der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, dem Dritten Botschaftssekretär der Botschaft der Russischen Föderation, Wassilij Galaktionov und der stellvertretenden Bezirksvorsteherin der BVV Tempelhof-Schöneberg Ingrid Kühnemann für ihr Kommen gedankt. In meiner Gedenkrede erinnerte ich an die verschiedenen Opfergruppen aus vielen europäischen Nationen, die in Lichtenrade unter der NS-Gewaltherrschaft leiden mussten bis hin zum Tod durch Erschöpfung und Verhungern. Historischen Zeugnissen nach waren in diesem Lager, einem Außenlager des KZ Sachsenhausen, polnische Zivilisten und Zwangsarbeiter interniert, die das Kennzeichen „P“ tragen mussten, dazu kamen russische und ukrainische Arbeitskräfte, die sogenannten „Ostarbeiter“, jüdische ZwangsarbeiterIinnen, italienische Militärinternierte, Tschechen, Belgier und französische Kriegsgefangene. Die Baracken in Lichtenrade waren ein Gefangenen- und Arbeitslager für Häftlinge aus allen europäischen Nationen. Niemanden in Lichtenrade blieb das damals verborgen. Schließlich mussten die erbarmungswürdigen Häftlinge in zerlumpten Kolonnen durch die Bahnhofstraße zu ihrem Arbeitseinsatz gehen.
KZ-Außenlager Lichtenrade von Sachsenhausen – direkt vor der Haustür
In ihrem Vortrag „KZ-Außenlager Lichtenrade von Sachsenhausen – direkt vor der Haustür“ sprach Ruth Zantow, Mitglied der Geschichtswerkstatt Lichtenrade e.V., eine Projektgruppe der Berliner Geschichtswerkstatt e.V., sehr lebendig und beeindruckend über die jahrelangen Mühen der Projektgruppe, Details und Fakten zum Zwangsarbeiterlager Lichtenrade ans Licht zu bringen. Nur Erinnern reicht nicht aus, sagte Frau Zantow. Die Erinnerung muss in konkrete Handlungen umgesetzt werden. So stellte sie, von Fotos unterstrichen, Interviews mit Zeitzeugen vor, wies auf die regelmäßigen Führungen der Geschichtswerkstatt Lichtenrade und auf die zahlreichen Verlegungen von Stolpersteinen in Lichtenrade hin, um deutlich zu machen, dass die Vergangenheit, gerade vor der eigenen Haustür, unabdingbar Mahnung für heute und morgen bleiben muss.
Gedenkkultur in Tempelhof-Schöneberg
Tempelhof-Schöneberg ist ein Bezirk mit hervorragender Erinnerungskultur, getragen von den verschiedensten AkteurInnen. Das machte Melanie Kühnemann in ihrem anschließendem Beitrag deutlich. Als Vorsitzende des Ausschusses für Bildung und Kultur zeigte sie die über den Bezirk hinaus bedeutenden Beispiele dafür auf: von der Dauerpräsentation im Rathaus Schöneberg „Wir waren Nachbarn“ über den Geschichtsparcour Papestraße, das Flächendenkmal im Bayerischen Viertel „Orte des Erinnerns“ bis hin zu Ehrung von Widerstandskämpfern z.B. in Form der Benennung „Erich-Hermann-Platz“ in Lichtenrade. Die Gäste erfuhren von ihr, dass ganz aktuell in den Bezirksgremien eine rege Diskussion zur angemessenen Gestaltung des Gedenkortes für Annedore und Julius Leber geführt wird. Ziel ist es, den noch erhaltenen Ort der ehemaligen Kohlehandlung von Julius Leber in der Torgauer Straße in ein Erinnerungszeichen für hohen zivilen Widerstand gegen die NS-Diktatur umzuwandeln.
Kranzniederlegung am Denkmal
Nach einer Schweigeminute begaben sich die Gäste auf den winterlichen Weg zum Bornhagenweg, wo sich das Lichtenrader Denkmal für die ZwangsarbeiterInnen des Außenlagers Sachsenhausen seit 1987 befindet. Hier konnten die Anwesenden zum Gedenken rote Rosen niederlegen. Der feierliche Blumenschmuck wurde ergänzt durch die Kränze der italienischen Botschaft und der Botschaft der russischen Föderation. Um die Geschichte dieses denkwürdigen Erinnerungsplatzes noch mehr in den Blick der Öffentlichkeit zu rücken, soll im Jahr 2015, siebzig Jahre nach Kriegsende und nach der Befreiung des Lichtenrader Zwangsarbeiterlagers eine informative Hinweistafel den Ort ergänzen.
Weitere Eindrücke von der Gedenkveranstaltung finden Sie in meinem Fotoalbum auf flickr.