Wir haben 2014 eine Reihe von Fortschritten in der Migrations- und Flüchtlingspolitik erreicht. Viele wichtige sozialdemokratische Vorhaben des Koalitionsvertrages wurden umgesetzt oder auf den Weg gebracht, z.B. wie die weitgehende Abschaffung der Optionspflicht oder das stichtagsunabhängige Bleiberecht für Geduldete.
Zurzeit müssen wir uns wieder mit Angst- und Stimmungsmache gegen EinwandererInnen, Asylsuchende und Muslime auseinandersetzen. Genannt sei hier nur die üble Hetze von „PEGIDA“ (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) oder Kundgebungen gegen Flüchtlingsunterbringungen. Mit rassistischem Populismus und Hass wird versucht, in der Mitte der Gesellschaft Fuß zu fassen. Dabei werden diffuse Ängste vor angeblicher Überfremdung, wirtschaftlichem Abstieg und „dem Islam“ geschürt. Sorgen und Ängste, die es in der Bevölkerung wegen der hohen AsylbewerberInnenzahlen in Deutschland (181.000 Erst- und Folgeanträge bis Ende November 2014) oder der Probleme der Kommunen bei der Unterbringung von Schutzsuchenden gibt, nehmen wir ernst und stellen uns auch den Debatten. Auch für die aktuelle Debatte zur PEGIDA gilt: Informieren hilft! Deshalb möchte ich mit einem kurzen Faktencheck über die Einwanderung nach Deutschland und insbesondere eine ausführlichere Zusammenstellung darüber informieren, was wir in der Integrations- und Migrationspolitik 2014 alles unternommen haben.
Auf der anderen Seite erlebe ich eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz und Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge. Viele engagierte BürgerInnen und viele Initiativen helfen den Flüchtlingen konkret vor Ort. Diesen Menschen möchte ich an dieser Stelle Danke sagen!
Als Gesundheitspolitikerin begrüße ich, dass die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration im nächsten Jahr die Themen Gesundheit und Pflege stärker in den Fokus rückt.
Kurzer Faktencheck: Einwanderung nach Deutschland
2013 sind 1,2 Millionen Menschen zu uns eingewandert. Gleichzeitig wanderten 798.000 Menschen aus, sodass sich insgesamt ein Wanderungsgewinn von 437.000 Personen ergibt. Von den EinwandererInnen kommen zwei Drittel (64%) aus der Europäischen Union. Und eben nicht aus der Türkei oder den muslimisch geprägten Staaten des Nahen Ostens oder Nordafrikas, wie viele vermuten, wenn ich bei öffentlichen Veranstaltungen nach einer Einschätzung frage; oder wie es PEGIDA als angebliche „Islamisierung“ unseres (Abend-)Landes suggeriert.
Hauptherkunftsland ist – seit 1996! – mit großem Abstand Polen; es folgen Rumänien und Italien. In die Türkei wandern übrigens seit Jahren mehr Menschen aus, als von dort zu uns kommen (Saldo 2013: -4.000). Die EinwandererInnen haben überwiegend gute Qualifikationen und bringen unsere Wirtschaft und den Arbeitsmarkt voran. Für die Debatte über die sog. „Armutszuwanderung“ aus Rumänien und Bulgarien wurde die These der „sozialen Hängematte“, in die sich Einwanderer „bei uns“ legen würden, eindrucksvoll widerlegt werden: Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist bei RumänInnen und BulgarInnen in Deutschland gestiegen. Und die jüngste Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass die EinwandererInnen unsere Sozialkassen füllen: Pro Jahr zahlt jede/r AusländerIn im Schnitt 3.300 Euro mehr Steuern und Sozialabgaben in Deutschland ein, als sie/er an Transferleistungen erhält! Für 2012 rechnet die Studie mit einem Überschuss von 22 Milliarden Euro durch die Beiträge der ausländischen Bevölkerung in Deutschland. Diese Daten und Fakten müssen wir aktiv in die Breite der Gesellschaft kommunizieren, damit die geistigen Brandstifter bei den Menschen keine Chance haben, wenn sie Ängste vor sozialem Abstieg „wegen der Ausländer“ schüren.
Neben den Daten und Fakten ist natürlich auch wichtig, dass wir unsere Einwanderungsgesellschaft aktiv und solidarisch gestalten. Deshalb in der Folge ein Überblick über die integrations-, migrations- und flüchtlingspolitischen Maßnahmen im Jahr 2014:
Integrationspolitische Maßnahmen 2014
Unser Land ist viel besser, offener und erfolgreicher, als es PEGIDA und andere PessimistInnen uns weismachen wollen. Deutschland ist im Jahr 2014 bei der Integrationspolitik insgesamt gut aufgestellt. Das zeigt ausführlich der
„10. Bericht zur Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“ (Drs. 18/3015). Die Zahlen des Berichtes zeigen: Deutschland ist nach den USA das zweitbeliebteste Einwanderungsland in der OECD. Es kamen 2013 dauerhaft 465.000 Menschen neu in unser Land. Heute leben über 16 Millionen Menschen mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“ in Deutschland, also jede/r Fünfte. Es ist auch unser sozialdemokratischer Verdienst, dass heute niemand mehr ernsthaft bestreitet, dass wir ein Einwanderungsland sind und für ein gutes Miteinander gleiche Teilhabechancen für alle Menschen in Deutschland brauchen.
Zur Gestaltung unserer Einwanderungsgesellschaft sind insbesondere drei wichtige Gesetze und Maßnahmen des Jahres 2014 zu nennen:
- Wir haben die Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht weitgehend abgeschafft: Wer in Deutschland als Kind ausländischer Eltern geboren wird, bekommt die deutsche Staatsangehörigkeit und kann sie auch mit Eintritt der Volljährigkeit behalten, ohne die ausländische Staatsangehörigkeit der Eltern abgeben zu müssen, sofern er in Deutschland aufgewachsen ist. Bisher mussten sich alle Optionskinder mit dem Erwachsenwerden entscheiden, welche der beiden Staatsangehörigkeiten sie wieder abgeben.
- Endlich wird es eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete in einem neuen § 25b im Aufenthaltsgesetz geben. Viele zehntausende Geduldete werden davon profitieren und müssen nicht mehr wie bisher tagtäglich in Angst vor der Abschiebung leben und im wahrsten Sinne des Wortes auf gepackten Koffern leben. Dafür haben wir uns gemeinsam mit den Kirchen, Flüchtlingsorganisationen und den Gewerkschaften lange eingesetzt. Das parlamentarische Verfahren steht nunmehr in 2015 an.
- Die Integrationskurse zum Spracherwerb haben wir nachhaltig stärken können. Seit 2005 haben über 1,4 Millionen Menschen die Kurse besucht und die deutsche Sprache – also die Voraussetzung jedweder Integration – gelernt. Im parlamentarischen Verfahren zum Bundeshaushalt 2014 konnten wir die Mittel um 40 Millionen auf 244 Millionen Euro erhöhen und im Haushalt 2015 verstetigen.
Migrations- und flüchtlingspolitische Maßnahmen in 2014
Wer vor Krieg oder Verfolgung flieht, der sucht Schutz, Hoffnung und Perspektiven für sich, seine Familie und seine Kinder. 2014 sind viele Menschen zu uns geflohen, wir erwarten ca. 200.000 Asylanträge. Deshalb ist es wichtig, die Länder und Kommunen zu entlasten, die Asylverfahren unter Beibehaltung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu beschleunigen und mehr Integrationsangebote für die Schutzsuchenden zu bieten. Es ist richtig, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und den Menschen so früh wie möglich Zugänge in unsere Gesellschaft zu öffnen – zu Arbeit und Beschäftigung, zu Sprachkursen und Schulen. Dann können aus Flüchtlingen auch neue NachbarInnen werden.
- Der Arbeitsmarktzugang für AsylbewerberInnen und Geduldete ist bereits nach drei Monaten möglich (bisher 9 bzw. 12 Monate). Hier wird nach 15 Monaten Aufenthalt die Vorrangprüfung der Bundesagentur für Arbeit komplett entfallen (diese prüft, ob nicht ein deutscher StaatsbürgerIn oder EU-BürgerIn die jeweilige Stelle besetzen könnte), bei einigen Berufen entfällt die Vorrangprüfung sofort (akademische Berufe und Engpassberufe).
- Um AsylbewerberInnen und Geduldeten Bewegungsfreiheit zu ermöglichen, haben wir endlich die sog. Residenzpflicht abgeschafft. Nach drei Monaten, also der Phase der Erstaufnahme, dürfen sich die Menschen frei im Bundesgebiet bewegen. Bisher mussten sie um Erlaubnis bei der zuständigen Behörde fragen, um temporär den jeweiligen Landkreis oder das Land verlassen zu dürfen. Eine Wohnsitzauflage wird beibehalten, um gerechte Kostenteilung zwischen den Kommunen zu gewährleisten.
- Der Bund und die Länder entlasten die Kommunen: In 2015 stellt der Bund 500 Millionen Euro über einen einmaligen Festbetrag an der Umsatzsteuer zur Verfügung. Weitere 500 Millionen Euro folgen in 2016, wenn die finanzielle Belastung der Länder unverändert fortbesteht. Die hälftige Refinanzierung der vom Bund jeweils zur Verfügung gestellten Beiträge wird durch die Länder über einen Zeitraum von zwanzig Jahren übernommen. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben überlässt Flächen zur Unterbringung von Flüchtlingen künftig mietzinsfrei, so sparen Kommunen und Länder jährlich 25 Millionen Euro. Das Baurecht wurde ebenfalls geändert, damit schneller Gebäude für die Unterbringung gebaut und genutzt werden können – auch auf siedlungsnahen Grundstücken und ggf. in Gewerbegebieten.
- Die Bundesregierung und die Länder haben über Sonderkontingente 25.000 syrische Bürgerkriegsflüchtlinge aus den Anrainerstaaten Syriens aufgenommen. Insgesamt sind seit 2011 über 70.000 syrische StaatsbürgerInnen zu uns gekommen. Weitere EU-Staaten sollten diesem Beispiel folgen.
- Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ist endlich verfassungskonform und sichert ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das hatte die Vorgängerregierung nicht geschafft. Im AsylbLG werden die Leistungen erhöht. Bereits nach 15 Monaten (statt bisher 48) gibt es Leistungen entsprechend SGB XII. Gruppen mit bestimmten humanitären Aufenthaltstiteln werden sofort oder nach kurzer Zeit in die Regelsysteme des SGB II oder XII überführt. Endlich gilt nach drei Monaten der Grundsatz: Geld- statt Sachleistungen! Und alle Kinder haben ab dem ersten Tag Anspruch auf das Bildungs- und Teilhabepaket.
- Um angesichts steigender Asylantragszahlen zügige Verfahren für alle AntragstellerInnen zu sichern, haben wir im zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zusätzliche 300 Stellen im Bundeshaushalt 2014 eingerichtet. Im Bundeshaushalt 2015 sind weitere 350 Stellen hinzugekommen. Das Amt wird besonders aussichtsreiche Anträge syrischer und irakischer AsylbewerberInnen prioritär behandeln.
- Zur Ehrlichkeit gehört, dass mich eine Entscheidung in diesem Zusammenhang schmerzt: Die Westbalkanstaaten Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien sind als sogenannte sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Diese Entscheidung war bereits in den Koalitionsverhandlungen gefällt worden. Die Union hatte ihr Entgegenkommen bei den Verbesserungen für Flüchtlinge an diesen Punkt gekoppelt. In der Diskussion über den Gesetzentwurf versuchten CDU/CSU zudem noch Montenegro und Albanien als sichere Drittstaaten zu erklären. Dieses Ansinnen konnten wir SozialdemokratInnen abwehren. Fakt ist, dass StaatsbürgerInnen aus diesen drei Staaten 2013 nur in 0,3% der Fälle eine Anerkennung erhielten, aber zeitweise über 20% aller Anträge ausmachten.
Bessere Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen
- Für mich als Gesundheitspolitikerin ist wichtig, dass es in der Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge voran geht. 2015 fördern wir Projekte zur gesundheitlichen Aufklärung von Flüchtlingen mit 500.000 Euro. Mit der Reform des AsylbLG wurde ein Nothelferanspruch geschaffen, welcher die medizinische Versorgung von Flüchtlingen in Eilfällen sowie die Kostenerstattung für die ÄrztInnen und weitere HelferInnen regelt.
- Darüber hinaus einigten sich Bundesregierung und Bundesländer darauf, ein Konzept zu erarbeiten, um interessierten Flächenländern die Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu ermöglichen. Im Jahr 2015 soll dazu ein Gesetzentwurf vorgelegt werden. So würde den Flüchtlingen der Umweg über die Ausländerbehörde oder zuständige Sozialämter vor einem Arztbesuch erspart bleiben. Vorbild ist hier das Bremer Modell, wo die Hansestadt Bremen mit der AOK eine entsprechende Vereinbarung getroffen hat.